Winterblume
Winterblume
Ulrich von Thüna, epd Film, Nr. 10, Oktober 1997
Es gibt Filme, denen die innere Wahrheit das Wichtigste ist und die ästhetische Form sich daraus ableitet. Ist die Geschichte wahr, wird sie erzählt, ohne lange die Stilfrage zu stellen. "Winterblume" gehört zu diesen Filmen, Sözen geht es nicht um Kunst, sondern um Überzeugung. Er will den Zuschauer überzeugen, daß es ein solches Geschick wie das des türkischen Arbeiters Mehmet Umut tatsächlich gegeben hat. Er wird nicht zum Ankläger, sondern beschreibt dieses Schicksal nur, wobei wir natürlich deutlich spüren, wo die Sympathie des Regisseurs und Autors liegt und was er sagen will: eine Gesellschaft wie die der Bundesrepublik darf so nicht mit ihren Ausländern umgehen.
Es heißt, die Geschichte basiere auf einer authentischen Begebenheit und daran zweifeln wir keinen Augenblick. Die ersten Bilder setzen den Ton: eines morgens erscheint plötzlich bei einem türkischen Ehepaar die Polizei und führt ohne Haftbefehl oder sonstige Legitimation (?) den Ehemann in Handschellen ab. Er wird abgeschoben. Zurück in der Türkei erlebt er das Elend von Gelegenheitsjobs bei dem verzweifelten Versuch, Geld für eine Rückkehr nach Deutschland zu verdienen. Schließlich ergaunert er sich das Geld für eine Schlepperorganisation und dann beginnt die lange Reise durch den Balkan bis Budapest, wo die Probleme sich zuspitzen.
Der Regisseur weiß, wovon er redet. Er selbst ist Türke, freilich privilegiert, denn er konnte hier studieren und arbeitet seit Jahren als Journalist und Filmemacher. In dieser Geschichte kann man das Erfundene nicht vom Vorgefundenen der wahren Geschichte trennen und das ist gut so. Zwar mag die Atmosphäre im Hinterzimmer des Schlepperchefs in Istanbul etwas zu kinohaft geraten sein. Aber das ist die einzige Einschränkung. Die Verzweiflung der Ehefrau in Deutschland, die ein obsiegendes Urteil des Verwaltungsgerichts erhalten hat, das aber nicht umsetzen kann, ist ebenso glaubhaft wie das Versagen des Behördenapparates. Die Männer und Frauen, die der Schlepper im Bus in Richtung Paradies sprich Bundesrepublik karrt, sind nicht der filmübliche pittoreske Mikrokosmos und auch die Wartezeit in Budapest in all ihrer Verzweiflung und Hoffnung wirkt realistisch.
Der Autor beschönigt nichts bei den Deutschen und nichts bei seinen Landesleuten. Menschlichkeit läßt sich ebenso wenig wie Herzlosigkeit oder Ganoventum an einen Paß heften. Sözen wollte nicht das große Drama schaffen. Er zeigt vielmehr die Alltagstragödie unterprivilegierter Menschen, die Fremde in ihrer Heimat und in ihrem Aufenthaltsland geworden sind. Mit knappem Budget und einem exzellenten Kameramann (Franz Rath) ist ein ebenso sehens- wie nachdenkenswerter Bericht entstanden.