Inhalt
Mitte der 1950er Jahre wird in einer westdeutschen Stadt der Bürgermeister Zwischenzahl am Tag seiner Amtseinführung erschossen. Täterin ist die Jüdin Ruth Bodenheim, die sich mit dem Mord am Tod ihrer Eltern rächen will: Als SA-Mann war Zwischenzahl offensichtlich an der Deportation ihrer Eltern ins KZ während des Krieges beteiligt. Ruth hat ihre schrecklichen Erlebnisse und den Tod ihrer Eltern nicht verkraftet und will den Bürgern der Kleinstadt die Augen öffnen.
Auch ihr liebevoller Ehemann Dr. Martin kann Ruths Gerechtigkeitssinn und ihr Bohren in der Vergangenheit nicht abwenden. Sie will keine Abfindung, sondern einen offenen Prozess. Beeindruckt von Ruths Beharrlichkeit, den schwierigen Fall Zwischenzahl an die Öffentlichkeit zu bringen, beschließt der Staatsanwalt Dr. Hoffmann ihre Verteidigung vor Gericht zu übernehmen.
Die Ausstattung dieser Filmseite wurde durch die DEFA-Stiftung gefördert.
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In Westdeutschland feiern die alten Eliten des NS-Staates sich selbst und ihren nicht unerheblichen Anteil am Wirtschaftswunder: Zwischenzahl nimmt, unter martialischen Wagner-Klängen, die Gratulationen seiner Unterstützer aus der Wirtschaft und aus dem Adel entgegen. Harzburger Front reloaded. Bevor er sich nichtsahnend dem Anliegen der ersten „Bürgerin“ seiner Amtszeit, die offiziell noch gar nicht begonnen hat, widmet: Ruth lässt dem Wende-Demokraten keine Minute zu weiteren Ausflüchten, Verdrehungen und Lügen – sie schießt ihn einfach über den Haufen.
Und das, nicht der einzige Regiefehler Joachim Haslers, mit der Waffe, mit der sie ihn unmittelbar nach der Befreiung durch die Sowjetarmee schon einmal töten wollte. Da war der Vogel aber bereits ausgeflogen, offenbar nach Südamerika, wo bekanntlich zahllose Nazi-Größen Unterschlupf gefunden haben. Die Waffe hat ihr Verlobter und spätere Gatte Dr. Martin, Gerichtsarzt in Ruths Heimatstadt, damals rasch an sich gebracht und unter ihren Augen im Fluss versenkt.
Ruth Bodenheim hat absichtsvoll eine Mappe mit Unterlagen, die Dr. Martin zusammengestellt hat, um ihre Ansprüche auf finanzielle Wiedergutmachung durch die neue (Bundes-) Republik zu sichern, am Tatort zurückgelassen. Es ist das Bekenntnis einer jüdischen Frau, die mit siebzehn in ein Wehrmachts-Bordell nach Polen verschleppt worden ist, als ihre Eltern ins KZ verfrachtet wurden, zu einem alttestamentarischen Racheakt. Den sie umso mehr als gerecht empfinden muss, als sie, psychisch und physisch völlig gebrochen nach Kriegsende zurückgekehrt, erleben muss, wie die Mörder ihrer Eltern schon wieder in Amt und Würden sind. An ein juristisches Verfahren gegen Zwischenzahl ist nicht zu denken.
Und dennoch: Dr. Martin, inzwischen zum Chefarzt bestallt, hat mit viel Geduld und Liebe Ruths im steinernen Herzen verkapselten Lebensgeister wieder wecken können. Beide haben geheiratet, sind Teil des gesellschaftlichen Lebens der Stadt und wenn sie zustimmen würde, könnte er mit der Wiedergutmachungs-Summe eine Villa bauen und sich in dieser eine Arztpraxis einrichten. Doch Ruth will vom Staat kein Geld, weder damals als Ausgleich für den Tod ihrer Eltern im Konzentrationslager, noch jetzt, um ihren Mord am Vielfach-Mörder zu vertuschen.
Staatsanwalt Dr. Hoffmann hat ihr vergeblich ein Angebot unterbreitet, sich in Rom eine neue Existenz aufzubauen. Und Dr. Martin vergeblich gefleht, nicht auch noch sein Leben zu zerstören. So kommt es zum perfiden Deal der Obrigkeit mit dem Zwischenzahl-Rechtsanwalt Dr. Schäure und dem Klinikdirektor: Ruth soll per Gutachten für psychisch krank erklärt werden und hinter den Mauern einer geschlossenen Anstalt verschwinden. Und Dr. Martin könnte nach seinem Urlaub wieder auf den Chefarzt-Sessel zurückkehren...
Joachim Haslers Romanadaption reiht sich scheinbar nahtlos ein in die politisch-propagandistischen Defa-Filme zur Unterstützung der DDR-Kampagne gegen das kapitalistische Westdeutschland. Vier Jahre nach Errichtung des „antifaschistischen Schutzwalls“ kann von einem Wettlauf der Systeme auf Augenhöhe längst nicht mehr gesprochen werden. So muss der Kalte Krieg auf ideologischer Ebene fortgeführt werden: Wenn die DDR schon nicht der wirtschaftlich erfolgreichere deutsche Staat ist, so doch der moralisch bessere.
„Chronik eines Mordes“ ist jedoch kein simpler Kampagnenstreifen. Weil er gesamtdeutsche Akzente setzt: Aus Ruths Bruder David, den ausgerechnet der amerikanischer Besatzungsoffizier Liban zur Ausbildung in ein französisches Internat geschickt hat, ist inzwischen ein international gefeierter Pianist geworden. Er gibt, auch als besonderes Geburtstagsgeschenk für seine Schwester, die als Ehrengast in der ersten Reihe unter allen Honoratioren sitzt, in seiner Heimatstadt ein Open-Air-Konzert. Zu sehen aber ist kein abstrakter Ort, der irgendwo in Westdeutschland liegen könnte, sondern ein weltweit bekanntes architektonisches Juwel, der Innenhof des prächtigen Dresdner Barockpalastes Zwinger.
Wird in den Dialogen des Films nicht vor der eigenen Haustür gekehrt, so doch in den Bildern. Auffallend ist zudem, dass die DDR nicht als positive Alternative dargestellt wird wie etwa in Joachim Haslers 1963er Anti-Nato-Streifen „Nebel“. Schließlich gibt es im verrotteten, dem Untergang geweihten BRD-System doch noch einen Juristen mit Gewissen: Staatsanwalt Dr. Hoffmann legt sein Amt nieder, um Ruth Bodenheim als Verteidiger zu Seite stehen zu können.
Pitt Herrmann