Berlinale Classics 2022 zeigen sieben Weltpremieren von digital restaurierten Filmklassikern und Wiederentdeckungen

Die Sektion Berlinale Classics der Berlinale 2022 hat ihre finale Auswahl von insgesamt sieben digital restaurierten Filmen vorgestellt, die als Weltpremieren präsentiert werden.

 

Mit "Mamma Roma" wird in diesem Jahr Pier Paolo Pasolinis 100. Geburtstag gefeiert und Jean-Luc Godards "Notre Musique" präsentiert das Werk eines weiteren Altmeisters des europäischen Kinos. Zugleich werden mit "Kawaita hana" und "Suzhou he" frisch restaurierte Filmklassiker aus Asien vorgestellt. In höchster Qualität wiederentdeckt werden kann auch Jiří Menzels Berlinale-Gewinner "Skřivánci na niti" ("Lerchen am Faden") sowie die britische Rockoper "Tommy" mit Musik der Band The Who. Vervollständigt wird das Programm durch den von der Deutschen Kinemathek restaurierten Stummfilm "Brüder", der mit einer neuen, modernen Musikinterpretation präsentiert wird.

"Mamma Roma"
Italien 1962
von Pier Paolo Pasolini
mit Anna Magnani, Ettore Garofolo, Franco Citti, Silvana Corsini, Luisa Loiano
Weltpremiere der digital restaurierten Fassung (4K DCP)

"Mamma Roma" ist ein frühes neorealistisches Meisterwerk von Pier Paolo Pasolini mit der großen Charakterdarstellerin Anna Magnani. In dem Sozialdrama geht es um eine Prostituierte, die am sozialen Aufstieg gehindert wird, weil ihr Sohn auf die schiefe Bahn gerät. Mit seinem zweiten Film beschwor Pasolini Elend und Eros des italienischen Subproletariats. In eine christliche Ikonografie zwischen Abendmahl und Kreuzigung eingebettet, zeichnet "Mamma Roma" den Passionsweg zweier gesellschaftlicher Außenseiter*innen. Die Restaurierung durch CSC – Cineteca Nazionale erfolgte auf der Grundlage des ursprünglichen 35-mm-Negativs sowie einer optischen Tonspur, die von RTI-Mediaset in Zusammenarbeit mit Infinity+ und Cine34 zur Verfügung gestellt wurde. Durch die Integration einiger Teile, die von einem Positiv stammen, das in der CSC - Cineteca Nazionale aufbewahrt wird, aber in früheren Versionen fehlten, war es möglich, die ursprüngliche Fassung des Films wiederherzustellen.

"Kawaita hana"
Japan 1964
von Masahiro Shinoda
mit Ryo Ikebe, Mariko Kaga, Takashi Fujiki, Naoki Sugiura, Shin’ichiro Mikami
Weltpremiere der digital remasterten Fassung (4K DCP)

Masahiro Shinodas packend erzählte Gangster-Story "Kawaita hana" um einen aus dem Gefängnis entlassenen Auftragsmörder, der einer geheimnisvollen Glücksspielerin verfällt, verklärt das moderne Großstadtleben. Die expressive Hell-Dunkel-Malerei des Films ist der "Ästhetik des Schattens" verpflichtet und so verdichtet sich der in Schwarz-Weiß und Cinemascope gedrehte Film zum existenzialistischen Drama, das Komponist Tore Takemitsu mit einem Cool-Jazz-Score untermalt. "Kawaita hana" wurde von der japanischen Shochiku Co. Ltd. in Zusammenarbeit mit The Japan Foundation digital remastert. Shochiku stellte das originale 35-mm-Negativ für das 4K-Remastering zur Verfügung; Shochiku MediaWorX Inc. war für die Durchführung der Restaurierung verantwortlich.

"Skřivánci na niti" ("Lerchen am Faden")
Tschechoslowakei 1969/1990
von Jiří Menzel
mit Rudolf Hrušínský, Vlastimil Brodský, Václav Neckář, Jitka Zelenohorská
Weltpremiere der digital restaurierten Fassung (4K DCP)

Mit seiner ebenso poetischen wie subversiven Romanze "Skřivánci na niti" entlarvte Regisseur Jiří Menzel die staatliche Reglementierung und Selbstinszenierung der kommunistischen Partei als absurdes Theater, in dem die Funktionäre als komische Figuren agieren. Diese Satire aus dem Prager Frühling, nach Kurzgeschichten von Bohumil Hrabal, ist in einem kommunistischen Umerziehungslager angesiedelt, wo sich "Reaktionäre" und strafgefangene Frauen verbünden. 1969 verboten, wurde der Film 1989 wieder um die zuvor zensierten Szenen ergänzt und 1990 bei seiner Internationalen Premiere auf der Berlinale mit dem Goldenen Berliner Bären prämiert. Diese Filmversion diente auch als Referenz für die digitale Restaurierung, für die als Quellen die Originalbild- und Tonnegative zur Verfügung standen. Durchgeführt wurde die Restaurierung vom Internationalen Filmfestival Karlovy Vary in Zusammenarbeit mit dem Národní filmový archiv, Prag, dem Tschechischen Filmfonds, UPP und Soundsquare.

"Notre Musique"
Schweiz / Frankreich 2004
von Jean-Luc Godard
mit Sarah Adler, Nade Dieu, Rony Kramer, Simon Eine, Jean-Christophe Bouvet
Weltpremiere der digital restaurierten Fassung (4K DCP)

Getreu den Regeln seiner Schuss-Gegenschuss-Dialektik verknüpft Jean-Luc Godard in seinem Spätwerk "Notre Musique" Bilder des Krieges mit filmtheoretischen Lehrsätzen und welterklärenden Aphorismen. So stellt er Fragen nach individueller Schuld und Verantwortung. In einer parallelen Spielhandlung befragen zwei junge Frauen die Gäste einer Buchmesse in Sarajevo nach historischer Schuld und Verantwortung. "Notre Musique" wurde durch Patrick Lindenmaier (Andromeda Film AG) vom 35mm-Negativ in 4K restauriert. Bei der Lichtbestimmung hat das Labor mit dem Kameramann des Films, Julien Hirsch, zusammengearbeitet. Die Digitalisierung wurde ermöglicht durch Loterie Romande, Kanton Waadt, SRG SSR / RTS, Fondation Leenaards sowie durch die Cinémathèque suisse.

"Tommy"
Vereinigtes Königreich 1975
von Ken Russell
mit Ann-Margret, Oliver Reed, Roger Daltrey, Elton John, Eric Clapton, Jack Nicholson, Pete Townshend, Tina Turner
Weltpremiere der digital restaurierten Fassung (4K DCP)

"Tommy" setzte als erster Film eine Rockoper um. Den Aufstieg eines traumatisierten Kindes zum gefeierten Massenidol inszenierte Regieexzentriker Ken Russell als starbesetzte Satire auf das Popmusik-Business. Er verschmolz Hits und Hysterie, Pomp und Pop-Art zu einem sinfonischen Gesamtkunstwerk. Die Songs von The-Who-Mitglied Pete Townshend wurden mit dem "Quintaphonic Sound System" aufgenommen. Die digitale Restaurierung in 4K wurde von Sony Pictures Entertainment vom 35mm-Originalnegativ und einem 35mm-Farbinterpositiv durchgeführt. Als Partner für den 4K-Scan, die digitale Bildrestaurierung sowie die Farbkorrekturen und weitere Anpassungen zeichnen Cineric, Inc. und Roundabout Entertainment in den USA sowie die Prasad Corporation in Indien verantwortlich. David Bernstein ist als Kolorist beteiligt gewesen. Das Audio-Conforming und die Audiorestaurierung führte Deluxe Audio Services durch.

"Suzhou he"
Volksrepublik China / Deutschland 2000
von Lou Ye
mit Zhou Xun, Jia Hongsheng, Hua Zhongkai, Yao Anlian, Nai An
Weltpremiere der digital restaurierten Fassung (4K DCP)

Lou Yes tragische Liebesgeschichte "Suzhou he" um einen Motorradkurier, dem vorgeworfen wird, das Mädchen, das er liebt, entführt und ermordet zu haben, zeigt das Porträt einer entwurzelten Generation vor dem Hintergrund des modernen Shanghai. Auf grobkörnigem 16mm-Material aufgenommen, besticht der Film als chinesische Variante des seinerzeit aktuellen Neo Noir in der Tradition von Hitchcocks "Vertigo". Mit seinen "neorealistischen" Großstadtbildern und Nachtaufnahmen, die eine subkulturelle Gegenwelt darstellen, erschuf Lou Ye ein filmisches Vexierspiel um Illusion und Wirklichkeit. Trotz des Embargos der chinesischen Regierung zum Zeitpunkt der internationalen Veröffentlichung hat "Suzhou he" in seinem Ursprungsland Kultstatus erreicht und gilt heute als Klassiker des modernen chinesischen Kinos. Die digitale Restaurierung startete ausgehend vom originalen A/B Negativ. Der Scan erfolgte bei Screenshot, das Digital Dust-Bust bei The Post Republic. Das Color Grading führte Moritz Peters durch, der Dolby-5.1-Mix entstand bei Basis Berlin Postproduktion durch Ansgar Frerich und Sebastian Tesch.

"Brüder"
Deutschland 1929
von Werner Hochbaum
mit Gyula Balogh, Erna Schumacher, Ilse Berger sowie Hafenarbeitern und Arbeiterfrauen
Weltpremiere der digital restaurierten Fassung (2K DCP)

Dieser Stummfilmklassiker des proletarischen Kinos widmet sich dem Hamburger Hafenarbeiterstreik 1896/97, bei dem sich zwei Brüder feindlich gegenüberstehen. Der eine ist Arbeiterführer, der andere Polizist. Die digitale Restaurierung der Deutschen Kinemathek ist in Kooperation mit dem Filmarchiv Austria und ZDF/ARTE entstanden. Die Aufführung am 13. Februar wird live begleitet von Mitgliedern der Berliner Philharmoniker unter der Leitung von Raphael Haeger. Die neue Filmmusik, eine Komposition von Martin Grütter, ist eine Auftragsarbeit von ZDF/ARTE. Unterstützt wurde die digitale Restaurierung durch das Förderprogramm Filmerbe (FFE).

Quelle: www.berlinale.de