Halt auf freier Strecke

Deutschland 2010/2011 Spielfilm

Inhalt

Die Nachricht trifft Frank wie ein Schock: Bei dem gerade Mal vierzig Jahre alten Mann wird ein inoperabler Gehirntumor festgestellt. Er hat nur noch wenig Zeit und muss Abschied nehmen von seiner Frau, seinen Kindern und seinem Leben. Die Zeit, die ihm bleibt, will Frank mit seiner Familie verbringen, zu Hause, im erst kürzlich fertig gestellten Einfamilienhaus am Stadtrand.

Die folgenden Wochen werden für die gesamte Familie eine emotionale Herausforderung. Jeder geht anders mit der Situation um: Während Franks Frau Simone sich in die Pflege ihres Mannes stürzt und dabei zusehends an die Grenzen ihrer Kraft gerät, flüchtet sich die pubertierende Tochter in ihren Sport. Der achtjährige Sohn hingegen sucht die Nähe und kümmert sich rührend um seinen Vater, der immer stärker die Kontrolle über seine körperlichen Funktionen und auch über sein Gedächtnis verliert.

 

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Heinz17herne
Heinz17herne
Frank Lange, gerade vierzig Jahre alt geworden, sitzt mit seiner Gattin Simone im Besprechungsraum eines Arztes. Und versteht nichts von dem, was der Mann in Weiß ihm sagen muss. Ausgerechnet ihm, der sich aus dem Gröbsten heraus wähnte: Gerade ist in einem noch grünen Außenbezirk der Hauptstadt Berlin das eigene Nest für die Familie, zu der auch die 14-jährige Tochter Lilly und der achtjährige Sohn Mika gehören, fertig geworden. Auch finanziell eine Kraftanstrengung sondergleichen für den DHL-Logistiker und die BVG-Tramfahrerin.

Und dann diese niederschmetternde Diagnose, deren Tragweite Simone als erste begreift: Gehirntumor, unheilbar und, noch schlimmer, durch seine sensible Lage inoperabel. Frank Lange hat nur noch wenig Zeit, um sich von seiner Familie, von seinem Leben zu verabschieden. Für den Profi Dr. Uwe Träger, der Chefarzt der Klinik für Neurochirurgie am Klinikum Ernst-von-Bergmann in Potsdam spielt sich vor Michael Hammons bei aller kühnen Dynamik des Bildausschnitts kühl-distanziert bleibender Kamera selbst, ein Routinefall. Der dennoch immer wieder eine Herausforderung bleibt ohne allzu deutliche Empathie. Im Gegenteil: Business as usual, da darf zwischendurch auch 'mal ein Telefonanruf durchgestellt werden. Der übrigens ganz real war und nicht im Drehbuch stand wie vieles, was sich spontan am Set ergab.

„Schon ziemlich bösartig“ sei der Tumor, als Lebenserwartung bleiben laut aller bisherigen Erfahrungswerte ein paar Monate. Wenn Bestrahlung und Chemotherapie Wirkung zeigen und das Wachstum des hier personifizierten Tumors, der fortan zum ständigen Begleiter Franks wird, hemmen. Ja, man muss den Kindern die Wahrheit sagen, die volle Wahrheit: Die Ursachen der Erkrankung sind noch unbekannt, die Krankheit demnach ein Schicksal, dass es zu bewältigen gilt. Von der ganzen Familie.

Sagt sich so leicht. Aber Simone nimmt es an, will Frank nicht ins Hospiz abschieben, sondern daheim in gewohnter Umgebung pflegen – bis zum letzten Atemzug. Den Kindern aber wird die volle Wahrheit über Papas wachsende Nervosität und Unbeherrschtheit erst offenbart, als dieser mitten beim fröhlichen Pizza-Schmausen am Küchentisch zusammenbricht und sie als Ursache einen Ehestreit vermuten, den 'mal wieder sie ausgelöst haben. Sechs Wochen Bestrahlung, eine Tortur trotz aller eindrucksvoller Hightech-Medizin.

Frank hat sich schon geraume Zeit von seinen Kollegen verabschieden müssen und hütet, weil ihm das Treppensteigen zunehmend Probleme bereitet, die Sofa-Lagerstatt im Wohnzimmer des Erdgeschosses. Nun muss auch Simone daheim bleiben, sie kann ihren Mann nicht mehr für Stunden allein in der Wohnung lassen. Weil er sich offenbar immer noch nicht seines Zustands bewusst ist, im Bademantel draußen im Garten oder auf dem dahinter liegenden Grünland herumläuft oder mit der Familie ein Wochenende im Tropical Island verbringen will, das dann mittendrin abgebrochen werden muss, weil er seine Kräfte überschätzt hat.

Franks Eltern sind Simone keine Hilfe, zumal sie weit weg irgendwo im Brandenburgischen wohnen. Während Vater Ernst noch um Contenance bemüht ist, bekommt Franks Mutter ihre Emotionen nicht in den Griff – und wäre nur eine zusätzliche Belastung. Zumal sie merkwürdig-esoterischen Selbstheilungs-Therapien das Wort redet. Während Simone schon 'mal zum Eierlikör greift, flüchtet sich die heranwachsende Tochter Lilly, eine vielversprechende Schwimmerin und Turmspringerin, in ihren Sport.

Ihre Mutter und ihre Schwester sorgen für eine temporäre Entlastung Simones, was gerade in der Weihnachtszeit von großer Bedeutung ist. Und der kleine Mika hält eisern zu Papa – wie dessen Arbeitskollege und Freund Stefan, der bei den Langes aushilft, etwa wenn ein neues Hochbett im Kinderzimmer zusammengeschraubt werden muss. Aber spätestens als Frank ins Zimmer seiner Tochter pinkelt, weil er die Toilette nicht gefunden hat, wird der physisch wie psychisch hoffnungslos überforderten Simone klar, dass sie sich professionelle Hilfe ins Haus holen muss: Frank verliert immer stärker die Kontrolle über seine körperlichen Funktionen – und sein Erinnerungsvermögen. Neben der Tagespflege ist es vor allem die sich hier ebenfalls selbst spielende Berlin-Tempelhofer Palliativärztin Dr. Petra Anwar, die der verzweifelten Simone neuen Lebensmut gibt. Welche es nun sogar übers Herz bringt, Ina zu benachrichtigen, Franks Ex-Freundin...

Die zunächst wie eine Dokumentation erscheinende, nach der Uraufführung am 15. Mai 2011 in Cannes mit dem Preis „Bester Film“ in der Reihe Un Certain Regard ausgezeichnete Tragödie „Halt auf freier Strecke“ mag etwas von einem Tabubruch haben wie Andreas Dresens Vorgänger-Streifen „Wolke 9“. In jedem Fall geht sie uns alle an – und als Spiegelbild unserer möglichen Zukunft unter die Haut. Und das ganz ohne etwa durch musikalische Untermalung herbeigeführte rührselig-melodramatische Momente. Dabei stößt der Filmemacher, dessen Vater vor zehn Jahren an einem Gehirntumor gestorben ist, auch an seine Grenzen, die zugleich die Grenzen des Genres Fiktion sind: Frank Lange führt mit seinem i-Phone eine Art Video-Tagebuch, vergewissert sich damit immer wieder selbst in seiner Existenz. Und hält zugleich in Tag- und Nachtträumen Zwiesprache mit dem Tumor in seinem Kopf. Welcher sogar einen Auftritt in Harald Schmidts Late-Night-Show bekommt.

Das sind betont filmkünstlerische Mittel, die Andreas Dresen bewusst einsetzt, um mit der hier notwendigen Kammerspiel-Ästhetik nicht in die Dokfilm-Realismus-Falle zu tappen. Und um die emotionalen Zumutungen für sein Kinopublikum erträglicher zu machen: Es ist halt doch ein Spielfilm, Milan Peschel und Steffi Kühnert sind Schauspieler. Und was für welche! Der Deutschen Erstaufführung am 1. Oktober 2011 beim Filmfest Hamburg folgten der Kinostart am 17. November 2011 und die Erstausstrahlung auf Arte am 19. Mai 2014.

Pitt Herrmann

Credits

Schnitt

Musik

Darsteller

Produktionsfirma

Produzent

Alle Credits

Dreharbeiten

    • 01.11.2010 - 07.01.2011: Berlin, Teltow, Rüdersdorf, Krausnick-Wasserburg
Länge:
3000 m, 110 min
Format:
35mm, 1:1,85
Bild/Ton:
Farbe, Dolby
Prüfung/Zensur:

FSK-Prüfung (DE): 15.08.2011, 128930, ab 6 Jahre / feiertagsfrei

Aufführung:

Uraufführung (FR): Mai 2011, Cannes, IFF;
Kinostart (DE): 17.11.2011

Titel

  • Originaltitel (DE) Halt auf freier Strecke
  • Weiterer Titel (ENG) Stopped on Track

Fassungen

Original

Länge:
3000 m, 110 min
Format:
35mm, 1:1,85
Bild/Ton:
Farbe, Dolby
Prüfung/Zensur:

FSK-Prüfung (DE): 15.08.2011, 128930, ab 6 Jahre / feiertagsfrei

Aufführung:

Uraufführung (FR): Mai 2011, Cannes, IFF;
Kinostart (DE): 17.11.2011

Auszeichnungen

Forum für Filmschnitt und Montagekunst 2012
  • Filmstiftung NRW Schnitt Preis, Spielfilm
Deutscher Filmpreis 2012
  • Filmpreis in Gold, Bester Nebendarsteller
  • Filmpreis in Gold, Bester Darsteller
  • Filmpreis in Gold, Beste Regie
  • Lola in Gold, Bester Spielfilm
Verband der deutschen Filmkritik 2012
  • Bester Darsteller
  • Bester Film
Bayerische Filmpreis 2012
  • Bester Darsteller
  • Beste Darstellerin
  • Bester Film (ex aequo >Hotel Lux<)
FBW 2011
  • Prädikat: besonders wertvoll
IFF Cannes 2011
  • Bester Film, Un Certain Regard
Biberacher Filmfestspiele 2011
  • Goldener Biber