Die Wand
Die Endzeit auf dem Schirm. Krisen-Kino made in Germany
Quelle: Concorde, DIF, © Concorde Filmverleih |
Paula Kalenberg, Franz Dinda |
Zu den ewig wiederkehrenden Themen des Kinos gehört es, sich die Zerstörung der Welt vorzustellen. Oder sagen wir: der Welt, wie wir sie kennen. Naturkatastrophen, menschengemachte Desaster, Alien-Invasionen, die Verwandlung von Demokratien in grausame Diktaturen, Zombie-Plagen, Epidemien – die Lust am eigenen Untergang wird nirgends so genüsslich und vielfältig zelebriert wie im Kino. Je nach persönlicher Verfassung kann man derlei Geschichten als willkommenen, wohligen Schauer betrachten, oder als Warnung: Es ist alles nicht so stabil, wie wir glauben. Und am Unberechenbarsten ist immer die Natur. In dieser Hinsicht, könnte man sagen, imitiert das Leben zur Zeit die Kunst.
Nun mag einem nach fünf Wochen zwischen Wohnzimmer, Schlafzimmer und Küche der Sinn eher nach Reisefilmen, Roadmovies und Weltraumabenteuern stehen – Hauptsache raus und weg. Andererseits sollte man die erbauliche Wirkung von filmischen Apokalypsen, Dystopien und Endzeitszenarien nicht unterschätzen – frei nach der Devise: Covid-19 ist schlimm, doch schau mal da: Es könnte noch viel schlimmer sein!
Und wenngleich man bei solchen Themen instinktiv an großes Hollywoodkino denkt, findet sich gerade auch in der deutschen Filmgeschichte eine Reihe spannender Werke, angefangen bei Fritz Langs "Metropolis" (1926), dem Mutterwerk aller filmischen Dystopien.
Auch Peter Fleischmanns beklemmendes Virus-Drama "Die Hamburger Krankheit" von 1979 mutet auf unheimliche Weise plötzlich sehr aktuell, wenn nicht sogar visionär an.
Wir aber wollen uns auf Arbeiten aus diesem Jahrtausend konzentrieren, die Auswahl ist erstaunlich groß, die Themen scheinen Filmschaffende umzutreiben. Und falls sich jemand einen "Endzeit-Binge" geben möchte: Fast alle der folgenden Filme sind bei den einschlägigen Streaming-Portalen und VoD-Anbietern erhältlich – nähere Infos zu jedem Film gibt es natürlich bei filmportal.de.
Nehmen wir als dramaturgischen Startpunkt Lars Kraumes "Die kommenden Tage" aus dem Jahr 2010. Der Film spielt zwischen 2012 und 2020, damals eine "nahe Zukunft", in der die Weltwirtschaft erodiert, die Weltpolitik in die Brüche geht und die gesellschaftliche Situation in Deutschland zusehends instabil wird. Terrorismus und Kriege um Ressourcen breiten sich aus. Zu seinem Kinostart war das hochkarätig besetzte und ungeheuer realistisch inszenierte Drama ein Riesenflop – vielleicht war Kraume mit seiner Negativ-Utopie einfach zehn Jahre zu früh dran?
Hier geht es zum Trailer von "Die kommenden Tage".
Das nächste Kapitel in einer filmischen Chronologie des Untergangs wäre Alain Gsponers viel gelobte Ödön-von-Horvath-Verfilmung "Jugend ohne Gott" aus dem Jahr 2017. Die heute gültige Zivilgesellschaft existiert nicht mehr. Gefühle und moralische Werte sind ohne Bedeutung. Alles ist auf Leistung und Effizienz ausgerichtet. Die "Schwachen" werden ausgesondert und leben in Slums. Ort der Handlung ist ein hermetisch abgeriegeltes Hochleistungscamp in den Bergen, wo alljährlich die besten Schulabgänger*innen gegeneinander antreten, um sich einen Platz an einer der weltweit fünf Elite-Unis zu erkämpfen. Doch einer der neuen Schüler, gespielt von Jannis Niewöhner, beginnt das brutale System in Frage zu stellen.
Hier geht es zum Trailer von "Jugend ohne Gott".
Noch einen Schritt weiter geht Gregor Schnitzlers "Die Wolke" (2006). Hier wird jedwede gesellschaftliche Ordnung durch ein Atomreaktorunglück aufgelöst. Zehntausende Menschen sterben sofort, Tausende mehr sind verseucht. Eine todbringende radioaktive Wolke zieht über das Land hinweg. Pläne für den Ernstfall gibt es nicht, Anarchie macht sich breit. In dem Chaos versucht eine 16-Jährige (hervorragend: Paula Kalenberg), mit ihrem kleinen Bruder vor der Gefahr zu fliehen… Beim Bayerischen Filmpreis gewann Schnitzlers intensive und bewegende Bestsellerverfilmung den Preis als Bester Jugendfilm.
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Die nächste Eskalationsstufe bildet "Endzeit": Zwei Jahre nach einer Zombie-Apokalypse sind Weimar und Jena die letzten Schutzräume der Menschheit. Im Stadtinneren herrscht ein autoritäres Regime, draußen die Untoten. Als die 22-jährige Vivi und die 26-jährige Eva sich zwischen den Städten wiederfinden, müssen sie gemeinsam den Kampf gegen die Zombies aufnehmen. Dabei treffen sie auf eine geheimnisvolle Frau: ein Mischwesen aus Mensch und Pflanze – ist sie der nächste Schritt in der Evolution? Spannend ist "Endzeit" nicht nur als Mischung aus Horrorthriller, Sci-Fi-Utopie und Coming-of-Age-Geschichte, sondern auch unter Genre-Gesichtspunkten, denn die schwedische Regisseurin Carolina Hellsgård hat hier gewissermaßen den ersten feministischen Zombiefilm inszeniert.
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Geht es noch aussichtsloser als nach einer Zombie-Apokalypse? Ja, geht es, in "Hell" aus dem Jahr 2011. Die sengende Sonne hat die Erde in ein unwirtliches Ödland verwandelt (da ist sie wieder, die unberechenbare Naturgewalt). Sämtliche Wasserquellen sind ausgetrocknet, Pflanzen und Tiere gänzlich ausgerottet. Die wenigen überlebenden Menschen müssen sich mit Handschuhen und Masken schützen (klingt vertraut?). Eine kleine Freundesgruppe hofft, in den Bergen letzte Wasserquellen zu finden. Doch sie sind dabei nicht allein… "Hell" zeichnet das vielleicht pessimistischste aller Endzeit-Szenarien, denn hier ist neben der Natur der Mensch des Menschen größter Feind.
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Wem das alles zu finster ist: Es geht auch anders. Von einer philosophischen, dabei nicht minder radikalen Seite nähert sich "Die Wand" (2012) dem Thema Isolation. In der Verfilmung von Marlen Haushofers Bestseller stößt eine Frau (Martina Gedeck) während eines Ausflugs zu einer Berghütte plötzlich auf eine unsichtbare Wand, hinter der es kein menschliches Leben zu geben scheint. Allein mit einem Hund, einer Katze und einer Kuh muss sie versuchen, zu überleben. Ihre Gedanken hält sie in Aufzeichnungen fest – nicht wissend, ob sie jemals jemand lesen wird. Mit seinem existentialistischen Tonfall kommt "Die Wand" dem "Corona-Lebensgefühl" vielleicht am nächsten. Faszinierend ist er bereits durch Martina Gedecks eindringliche Schauspielleistung, die ihr unter anderem den Preis der deutschen Filmkritik einbrachte.
Hier geht es zum Trailer von "Die Wand".
Dann gibt es Filme, in denen Menschen sich freiwillig ins "social distancing" begeben – bezeichnenderweise wird das im Kino gerne mit Humor aufbereitet. Zum Beispiel in der Komödie "Südsee, eigene Insel" (1999). Da täuscht eine in Geldnot geratene Mittelstandsfamilie ihren Sommerurlaub vor, um vor den Nachbarn das Gesicht zu wahren. Für die Dauer der Ferien verstecken sich Vater, Mutter und Tochter im Keller. Selbst der Gang zum Supermarkt wird zum Versteckspiel, und ein "Kellerkoller" ist ohnehin vorprogrammiert.
Hier geht es zum Trailer von "Südsee, eigene Insel" auf YouTube.
Ganz und gar bizarr wird es in Nikias Chryssos‘ hoch gelobtem "Der Bunker" (2015) über eine Familie, die in einem unterirdischen Bunker mitten im Wald lebt: gemütlich eingerichtet, mit allem, was das kleinbürgerliche Herz begehrt – nur eben ohne Tageslicht und gänzlich ohne Kontakt zur Außenwelt. Als die skurrile Familie einen jungen Studenten als Untermieter aufnimmt, gerät ihre verschrobene Welt ins Wanken. "Der Bunker" lässt sich in seiner grotesken Radikalität kaum wirklich einordnen. Von manchen Kritikern wurde er als eine Kombination aus David Lynch und Helge Schneider beschrieben: Surreale Eigentümlichkeit trifft auf puren Aberwitz – eine Mischung, die vielleicht auch die Stimmungslage in unserer eigenen häuslichen Quarantäne ganz gut beschreibt.
Hier geht es zum Trailer von "Der Bunker".