Inhalt
Verzweifelt will der Vater Abbitte für ein tödliches Versagen leisten. Schweigend schleudert der Sohn ihm seinen Hass entgegen. Als ein junger Flüchtling hilfesuchend in ihr Leben tritt, trifft der Vater eine folgenschwere Entscheidung. Durch unerwartete Begegnungen verwebt sich das Schicksal des minderjährigen unbegleiteten Flüchtlings Nama aus Mali mit dem Leben des Berliner Polizeibeamten Stefan und dem seines 72-jährigen Vaters Willi, der selbst Waise und Flüchtlingskind war.
Nama wird mit zahlreichen bürokratischen Hürden und Ablehnung konfrontiert. Sein sehnlichster Wunsch, die Mutter nachzuholen, rückt in immer weitere Ferne. Als Willi ohne Rücksprache und mit Nama im Schlepptau wieder in das gemeinsame Haus zu Stefan zieht, eskaliert die Beziehung zwischen Willi und seinem Sohn aufgrund einer kaum zu überwindenden Schuldfrage aus der Vergangenheit. Willi versucht, in seiner verbleibenden Lebenszeit das zurückzugeben, was er als Kind erfahren hat: Menschen, die ihn nach seiner Flucht aufgenommen und ihm eine Zuhause gegeben haben. Stefan, der tagtäglich mit dem kaum zu bewältigendem Flüchtlingsansturm zu tun hat, erfährt die eindeutigen Antipathien seiner unmittelbaren Umgebung und möchte Nama wieder aus seinem Leben eliminieren.
So viel diese drei Menschen auch trennen mag, so verbindet sie doch etwas zutiefst Universelles: Sie alle suchen nach einem emotionalen Zuhause, in dem die eigenen Wunden – die der Vergangenheit und die der Gegenwart – heilen können.
Quelle: 50. Internationale Hofer Filmtage 2016
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Schnitt. Stefan lässt seinen betagten, in einem Altersheim lebenden Vater Willi vor dem Haus stehen, als der ihm sein Weihnachtsgeschenk, ein Paar neuer Winterhandschuhe, vorbeibringen will. Grußlos, wortlos, als existiere der alte Mann gar nicht. Stefan, der nun allein im Elternhaus wohnt, schiebt die Schuld für sein verkorkstes Leben auf seinen Erzeuger: Nachdem sein Kind bei einem Unfall auf dem Spielplatz ums Leben gekommen und darüber seine Ehe zerbrochen ist, ertrinkt Stefan in Selbstmitleid. Alle Versuche etwa seiner lebenslustigen Kollegin Lena (Alwara Höfels), ihn aus dem Schneckenhaus zu locken, schlagen fehl.
Sechs Wochen später. Nama lässt beim Besuch einer Kirche besagte Handschuhe mitgehen, die Willi nun selbst benutzt. Der 75-Jährige verfolgt den Dieb bis ins Heim - und wird auf ziemlich harsche Weise auch von der sonst so empathischen Susanne hinauskomplimentiert. Nama, der seine Tat bereut und die Handschuhe ins Gotteshaus zurückbringt, wird aufgrund eines Missverständnisses von Willi verletzt. So kommen sich die beiden Einsamen näher.
Vier Monate später. Nama nutzt das W-Lan des Hostels, um mit seiner kranken Mutter daheim in Mali telefonisch in Kontakt zu bleiben. Sein Vorhaben, sie nach Deutschland nachzuholen, ist freilich zum Scheitern verurteilt, wie er bei Manuela Waller (Karoline Eichhorn) auf dem Amt erfährt. Nama versteht inzwischen einige Brocken Deutsch und hat sich, zumal als guter Fußballer, im Heim akklimatisiert. Doch die medizinische Altersbestimmung durch einen seelenlosen Arzt (Anian Zollner) macht alle Integrationsfortschritte zunichte: Nama ist mindestens 18 Jahre und muss das Hostel verlassen, um sich bei der berüchtigten Behörde Lageso um einen Platz in einem Asylbewerberheim zu bemühen.
Als er mit Willis Unterstützung auch noch erfährt, dass seine Mutter gestorben ist, bleibt Nama nur noch Verzweiflung über seine aussichtslose Situation. Aus der ihn Willi befreien möchte, hat er doch als Kind selbst erleben müssen, wie es ist, elternlos aufzuwachsen: Er wurde 1945 auf der Flucht nach Dänemark im Gewühl des Bahnsteigs von seiner Mutter getrennt, die er nicht mehr wiedergesehen hat, und ist bei dänischen Pflegeeltern aufgewachsen.
Doch nach einer Denunziation durch die eifersüchtige Mitbewohnerin Erna (Ursula Karusseit) bleibt dem Heimleiter (Lars Rudolph) keine andere Wahl, als auf die Hausordnung zu pochen und Nama aus dem Seniorenheim zu verbannen. Sodass auch Willi seinen Koffer packt und wieder zurück in sein Haus zieht – zum Entsetzen seines Sohnes Stefan. Und besorgter Nachbarn wie Jens (Jörg Schüttauf), die sich „nicht ausreichend informiert“ fühlen und hinter jedem Flüchtling gleich einen Terroristen vermuten.
Für Nama wird ein Gartenhaus ausgebaut, und weil das Willis Kräfte übersteigt, packen Namas Kumpel aus dem Hostel mit an. Der Plan hat freilich nicht lange Bestand: Erst wiehert der Amtsschimmel in Person einer so resoluten wie unbelehrbaren Sachbearbeiterin (Bettina Stucky), dann schlagen aufrechte Deutsche alles kurz und klein – und Willi krankenhausreif. Erst jetzt dämmert Stefan, dass etwas nicht stimmt im Nachbar-Staate Dänemarks. Zu spät: Als Willi seinen Verletzungen erliegt, hat es kein versöhnendes Gespräch zwischen Vater und Sohn Pohl gegeben. Aber aus der Katastrophe entsteht eine neue Schicksalsgemeinschaft zwischen den beiden Hinterbliebenen...
„Der Andere“ ist nach den beiden jeweils bei der Berlinale uraufgeführten Kinostreifen „Die Fremde“ (2010) und „Zwischen Welten“ (2014) der erste Fernsehfilm der Independent Artists, der Berliner Produktionsfirma der Regisseurin, Autorin und Produzentin Feo Aladag und ihres Gatten Züli Aladag. Er trägt den Untertitel „Eine Familiengeschichte“, wurde am 21. November 2016 vom ZDF erstausgestrahlt, und verbindet, bisweilen zu dick aufgetragen, drei Menschen miteinander, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Die aber die Suche nach familiärer Geborgenheit und, wenn diese nicht erreichbar ist, wenigstens nach einem emotionalen Zuhause verbindet, auch wenn sich Stefan das bis zuletzt nicht eingestehen will. „Der Andere“ setzt nach neunzig Minuten ein kleines, wie die Kerzen in der Kirche flackerndes Licht der Hoffnung...
Feo Aladag, Wienerin des Jahrgangs 1972, hat tolle Laiendarsteller gefunden, allen voran Nama Traore, der selbst unter dramatischen Umständen von Mali nach Deutschland geflüchtet ist und hier erstmals vor einer Kamera stand. Die Regisseurin lernte ihn bei einem Verein für unbegleitete jugendliche Flüchtlinge kennen.
Pitt Herrmann