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Nanking 1937. Seit knapp 30 Jahren lebt der Hamburger Kaufmann John Rabe mit seiner Frau Dora in der damaligen chinesischen Hauptstadt. Er leitet die dortige Siemens-Niederlassung. Nun soll er nach Berlin zurückkehren. Das fällt ihm schwer, denn China ist dem Kaufmann ans Herz gewachsen. Während seines Abschiedsballs wird Nanking von Fliegern der japanischen Armee bombardiert, die kurz zuvor bereits Schanghai eingenommen hat. Panik bricht aus, und Rabe öffnet die Tore des Firmengeländes, um seine Arbeiter und ihre schutzsuchenden Familien in Sicherheit zu bringen. Während am kommenden Morgen die Feuer gelöscht sind und die Schäden begutachtet werden, beraten die in der Stadt verbliebenen Ausländer, was sie angesichts der Bedrohung tun können. Der deutsch-jüdische Diplomat Dr. Rosen schlägt vor, eine Sicherheitszone für chinesische Zivilisten einzurichten. John Rabe wird zum Vorsitzenden der Sicherheitszone von Nanking ernannt, weil Deutschland und Japan als "Achsenmächte" im Krieg einander beistehen.
Doch Dr. Wilson, der Chefarzt des örtlichen Krankenhauses, hegt eine große Antipathie gegen den "Nazi" Rabe. Während die kaiserliche japanische Armee mit ungeahnter Brutalität gegen die chinesische Zivilbevölkerung vorgeht, gelingt es Rabe und seinen Mitstreitern, den Japanern die geplante Sicherheitszone abzutrotzen. Hunderttausende strömen in die Zone – weit mehr als erwartet. Schließlich planen die Japaner, die Zone unter einem Vorwand zu stürmen – für Rabe beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit…
Quelle: 59. Internationale Filmfestspiele Berlin (Katalog)
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Nun ist auch die Hauptstand Nanking bedroht, gleich von zwei Seiten – und aus der Luft – erfolgt der Angriff der überlegenen japanischen Armee unter Führung des Generals Matsui, der sich jedoch nicht gegen den so ehrgeizigen wie grausamen Prinzen Asaka durchsetzen kann. Der Onkel des Tenno, des japanischen Kaisers, gibt den Befehl aus, keine Gefangenen zu machen und die Zivilbevölkerung nicht zu schonen. Rabe und seine Frau Dora sitzen bereits auf gepackten Koffern, als der Krieg Nanking erreicht. John Rabe ist in die Unternehmenszentrale nach Berlin zurückgerufen worden, insgeheim ist sein Nachfolger, der überzeugte Nazi Werner Fließ, jedoch nur eingesetzt worden, um das Werk abzuwickeln. Denn China gehört nun zur Einflusssphäre des deutschen Verbündeten Japan. Mitten hinein in die große Abschiedsparty fallen die ersten Bomben auf Nanking und John Rabe beschließt spontan, so lange im Land und in „seiner“ Firma zu bleiben, bis zumindest die ganze „Siemens-Familie“ in Sicherheit ist.
Bis zur Gründung einer auch von den Japanern anerkannten Internationalen Sicherheitszone bietet die gewaltig dimensionierte Hakenkreuzflagge der Nankinger NSDAP-Ortsgruppe den Siemens-Mitarbeitern und ihren Familienangehörigen Schutz vor japanischen Luftangriffen. John Rabe wird aufgrund seiner großen Verdienste, für die er jüngst mit einem hohen chinesischen Orden aus der Hand des Präsidenten Chiang Kai-Schek ausgezeichnet worden ist, aber auch als NSDAP-Parteimitglied und Deutscher, also Angehöriger eines mit Japan verbündeten Staates, als Leiter der Sicherheitszone gewählt. An seiner Seite eine illustre und dabei keineswegs immer einige Gruppe von europäischen Honoratioren der Stadt um den amerikanischen Arzt und Direktor des Kuluo-Hospitals, Dr. Robert Wilson, einem trinkfesten Raubein und überzeugten Antifaschisten.
Darunter die französische Leiterin der Mädchenschule Valérie Dupres, welche das eigene Leben für ihre Schützlinge aufs Spiel setzt, der amerikanischen Professor Lewis Smythe und der anglikanische Pfarrer John Magee. Unterstützt wird John Rabe zudem von einem jungen deutschen Diplomaten mit jüdischen Wurzeln, Dr. Georg Rosen, der das Dritte Reich ganz offiziell in Nanking vertritt, seitdem das Diplomatische Corps vor den anrückenden Japanern geflohen ist auf dem letzten Schiff, das Nanking verlassen konnte. Welches sogleich von japanischen Flugzeugen ins Visier genommen wird, auch Rabes Gattin Dora ist unter den Passagieren...
Wenn man nach mehr als zwei hochspannenden, ja elektrisierenden Stunden aus dem Kino kommt, kann man es gar nicht fassen, dass „John Rabe“ auf einer wahren Geschichte beruht. Wurden die Tagebücher des Kaufmanns (1882 bis 1950), der als zweiter Oskar Schindler 250.000 Menschen das Leben rettete, doch erst posthum gefunden und die 800 Seiten erstmals 1996 ediert. So wurde auch die von Erwin Wickert herausgegeben Biographie „John Rabe - Der gute Deutsche von Nanking“ erst ein später Erfolg.
Florian Gallenberger hat nicht nur einen mit historischen Schwarzweiß-Bildern durchsetzten Historienfilm drehen wollen, sondern auch ein Melodram für die große Leinwand. Etwa mit der Familienbande zwischen John Rabe und seiner verschollenen Gattin Dora, mit der zarten „Geschichte“ zwischen Valérie Dupres und dem „Witwer“ Rabe, oder mit der Liaison zwischen Dr. Rosen und der College-Schülerin Langshu, die sich als begeisterte Fotografin, mehr noch als heimliche Versorgerin ihres kleinen Bruders Wan ständig in Todesgefahr gebracht hat. Auch an skurrilen Szenen fehlt es nicht, angefangen bei den mit dem Hitlergruß Spalier stehenden Siemens-Arbeitern auf dem Hof und der segensreichen Wirkung der Hakenkreuz-Flagge über die Zusammenkunft der Nankinger Partei-Ortsgruppe unter dem Porträt des englischen Königs, weil den Raum sonst ein britischer Verein nutzt, und das Festhalten an gesellschaftlichen Konventionen wie der britischen Teezeremonie mitten im Chaos des kriegszerstörten Nanking bis hin zu Doras Napfkuchen, der quasi eine eigene kleine Rahmengeschichte darstellt.
Was man Florian Gallenberger dagegen vorwerfen muss, ist die völlig ahistorische Schwarz-Weiß-Zeichnung: Es gibt in seinem Film nur Gute oder Böse. Zwar auch böse Deutsche wie den Nazi Werner Fließ oder gute Japaner wie den jungen Major Ose, der die Kriegsverbrechen seines obersten Befehlshabers keineswegs billigt und Wilson in letzter Minute vor der geplanten Liquidierung der Sicherheitszone warnt. Aber sonst sind die Figuren sehr eindimensional gezeichnet, das beginnt beim Titelhelden, dessen Widersprüchlichkeit bei aller bewundernswerten Zivilcourage völlig ausgeblendet wird, und reicht bis zu den japanischen Invasoren, denen allein Mord, Raub und Vergewaltigungen vorbehalten bleiben – bis hin zur brutalen Hinrichtung von Rabes Fahrer Chang. Das ZDF strahlte „John Rabe“ am 31. Oktober 2011 erstmals aus – in einer 172-minütigen Langfassung.
Pitt Herrmann