Das 45. Berlinale Forum zeigt insgesamt 43 Filme im Hauptprogramm, davon 31 als Welt- und zehn als internationale Premiere. Die diesjährigen Special Screenings werden in einer weiteren Pressemitteilung bekannt gegeben.
Eröffnet wird das diesjährige Programm mit dem bisher wohl anarchischsten, entfesseltesten Film des Kanadiers Guy Maddin. "The Forbidden Room" kommt als nicht enden wollender, scheinbar chaotischer, aber doch stets bedeutungsvoller erotisch-klaustrophobischer Alptraum daher. Die zahllosen fantastischen Handlungsstränge des Films sind inspiriert von realen, eingebildeten und fotografischen Erinnerungen an verschollene Werke der Stummfilmzeit, denen auch die Ästhetik halbzerstörter viragierter Filmkopien fabelhaft huldigt.
Die Besinnung auf klassische Motive der Film-, Kunst- und Literaturgeschichte, oft in radikalen Neuinterpretationen, zieht sich wie ein roter Faden durch das Programm des Forums 2015. So nimmt sich die chinesische Produktion "K" von Emyr ap Richard und Darhad Erdenibulag Kafkas Romanfragment "Das Schloss" an und verlegt die Auseinandersetzung des tapferen Landvermessers mit einer undurchschaubaren Bürokratie kurzerhand in die Innere Mongolei der Jetztzeit.
Überaus aktuell legt der französische Regisseur Rabah Ameur-Zaïmeche die Bibel aus. Sein in betörend schöner algerischer Wüstenkulisse gedrehter Spielfilm "Histoire de Judas" ("The Story of Judas") entfernt nicht nur den Keil, den andere zwischen Jesus und Judas getrieben haben, seine auf menschliches Maß gestutzte, sinnlich-genügsame Erzählung der letzten Tage Jesu widersetzt sich jeglichen Spaltungsversuchen zwischen den Religionen.
Eine Verbeugung vor dem Werk von Chris Marker ist Jem Cohens jüngstes Werk "Counting", ein persönlicher, essayistischer Streifzug durch Metropolen unserer Welt in 13 Kapiteln: New York, Moskau, St. Petersburg, Istanbul, Porto… Und immer wieder erscheinen Katzen im Bild.
Von existenziellen Krisen, Selbstvergewisserung und Neuorientierung handeln zahlreiche der diesjährigen Filme. Das gilt für das Thema Migration, etwa in dem dänisch-serbischen Found-Footage-Film "Flotel Europa" von Vladimir Tomic oder dem Dokumentarfilm "Hotline" von Silvina Landsmann, der sich mit den Leidenswegen von in Israel gestrandeten afrikanischen Flüchtlingen beschäftigt. Es betrifft aber auch die vermeintlich heile Welt der selbstzufriedenen westlichen Gesellschaften.
Die deutsche Regisseurin Sonja Heiss geht mit ihrem Spielfilm "Hedi Schneider steckt fest" ("Hedi Schneider is Stuck") ein besonderes Wagnis ein. Mit treffsicherem Gespür für Komik nimmt sie sich eines ernsten Themas an. Die fröhliche Welt einer mustergültigen Kleinfamilie gerät unvermittelt aus den Fugen, als die unbekümmerte Hedi, gespielt von Laura Tonke, plötzlich Panikattacken erleidet. Das Glück, das die Protagonisten des Films für selbstverständlich hielten, erscheint urplötzlich unerreichbar, die Welt fragil und ungewiss.
Auch Nina, die Hauptfigur von Sacha Polaks Spielfilm "Zurich", wird durch ein schockartiges Ereignis aus der Bahn geworfen. Die junge Frau taucht in der anonymen Welt der Autobahnen und ihrer Raststätten unter, bleibt rastlos in Bewegung, um nicht zurückzuschauen. Die Regisseurin folgt ihr dabei aus nächster, fast schon intimer Nähe und lässt den Zuschauer die Trauerarbeit unmittelbar miterleben.
An einem Wendepunkt sind auch Catherine (Elisabeth Moss) und Virginia (Katherine Waterston) angelangt, die besten Freundinnen in Alex Ross Perrys neuem Spielfilm "Queen of Earth". Letztes Jahr hatte Virginia es nicht leicht, jetzt leidet Catherine. Die Hütte am See von Virginias Eltern ist der ideale Ort, um eine Woche lang die Wunden zu lecken. Einfach wird es nicht.
In einer kleinen Stadt in Kalmückien am Kaspischen Meer spielt "Chaiki" ("The Gulls") von Ella Manzheeva. Sie erzählt von einer jungen Frau, der es nicht gelingt, ihrer kleinen Welt zu entfliehen. Als ihr Mann, der von illegalem Fischfang lebt, von einer riskanten Bootstour nicht zurückkehrt, bietet sich für Elza die Gelegenheit, das vertraute Territorium hinter sich zu lassen. Die Regisseurin inszeniert in ihrem Debütfilm Landschaften, Wohnzimmer, Flure und Straßen als visuelle Zugänge zu Elzas Innenleben.
Mit dieser Methode lässt sich auch dokumentarisch arbeiten, wie Joaquim Pinto und Nuno Leonel in "Rabo de Peixe" vorführen. Montiert aus einzigartigen Aufnahmen, die zwischen 1999 und 2001 auf den Azoren entstanden sind, porträtiert dieser Dokumentarfilm voller Zärtlichkeit die Fischer, deren Handarbeit und ein Leben, das nur noch in jenen Bildern existiert. Die berauschenden Aufnahmen des Meeres, der Boote, der schwarzen Strände und der weißen Häuser beschreiben auch Gefühlslagen.
Einen geografischen Schwerpunkt im Forumsprogramm 2015 bildet das junge lateinamerikanische Kino. Filme aus Brasilien, Argentinien, Chile, Kolumbien und Mexiko setzen sich mit institutioneller, politischer und familiärer Gewalt auseinander und porträtieren Menschen, die auf gesellschaftliche Umbrüche individuelle Antworten suchen.
Die bild- und tongewaltige avantgardistische Satire "Brasil S/A" ("Brazilian Dream") von Marcelo Pedroso verdichtet in einer experimentellen, politisch akzentuierten Montage reale und surreale Bilder aus dem Brasilien der letzten Jahrzehnte zu einem rauschhaften Kinoerlebnis. In dem Regiedebüt "Beira-Mar" ("Seashore") von Marcio Reolon und Filipe Matzembacher reist ein junger Mann ins Ferienhaus der Familie am Meer, um eine heikle Erbangelegenheit zu klären. Ein alter Freund begleitet ihn. Behutsam erzählt der brasilianische Film von einem langen Winterwochenende, erwachender Sexualität und neuer Intimität. Auch der in Argentinien entstandene Spielfilm "Mar" der Chilenin Dominga Sotomayor entwickelt aus der vordergründig privaten Geschichte eines jungen Paars, das im Urlaub vom Auftauchen der Mutter gestört wird, ein komplexes Gesellschaftsbild.
Der chilenische Spielfilm "La mujer de barro" ("The Mud Woman") von Sergio Castro San Martín begleitet die wortkarge Maria zurück an den Arbeitsort, an dem sie einst Schlimmes erlebt hat. Als sich die Geschichte zu wiederholen scheint, nimmt sie ihr Schicksal in die Hand. Aus drei eindringlich inszenierten Episoden besteht "Violencia", das Regiedebüt von Jorge Forero. Ein angeketteter Gefangener mitten im Dschungel, ein Jugendlicher auf der Suche nach Beschäftigung, ein hochrangiger Offizier bei einer Miliz: ein Tag, drei Männer, drei Schauplätze, ihr Bindeglied die allgegenwärtige Gewalt in Kolumbien. Der mexikanische Regisseur Joshua Gil erzählt in "La maldad" ("Evilness") von einem alten Mann, der noch große Pläne hat. Seine Entschlossenheit führt ihn in die Stadt, wo Forderungen nach politischer Veränderung immer lauter werden.
Die Filme des 45. Forums:
"Abaabi ba boda boda" ("The Boda Boda Thieves") von Yes! That’s Us, Uganda / Südafrika / Kenia / Deutschland - WP
"Al-wadi" ("The Valley") von Ghassan Salhab, Libanon / Frankreich / Deutschland
"Balikbayan #1" ("Memories of Overdevelopment Redux") von Kidlat Tahimik, Philippinen – WP
"Beira-Mar" ("Seashore") von Filipe Matzembacher, Marcio Reolon, Brasilien – WP
"Ben Zaken" von Efrat Corem, Israel - IP
"Brasil S/A" ("Brazilian Dream") von Marcelo Pedroso, Brasilien - IP
"Ce gigantesque retournement de la terre" ("This Gigantic Furrowing of the Ground") von Claire Angelini, Frankreich - WP
"Chaiki" ("The Gulls") von Ella Manzheeva, Russische Föderation - WP
"Cheol won gi haeng" ("End of Winter") von Kim Dae-hwan, Republik Korea - IP
"Counting" von Jem Cohen, USA - WP
"Dari Marusan" von Izumi Takahashi, Japan - IP
"The Days Run Away Like Wild Horses Over the Hills" von Marcin Malaszczak, Deutschland/Polen/USA - WP
"Le dos rouge" ("Portrait of the Artist") von Antoine Barraud, Frankreich - IP
"Exotica, Erotica, Etc." von Evangelia Kranioti, Frankreich - WP
"Flotel Europa" von Vladimir Tomic, Dänemark / Serbien - WP
"The Forbidden Room" von Guy Maddin, Evan Johnson, Kanada
"Freie Zeiten" ("After Work") von Janina Herhoffer, Deutschland - WP
"Futaba kara toku hanarete dainibu" ("Nuclear Nation II") von Atsushi Funahashi, Japan - IP
"Der Geldkomplex" ("El complejo de dinero") von Juan Rodrigáñez, Spanien - WP
"Il gesto delle mani" ("Hand Gestures") von Francesco Clerici, Italien - WP
"H." von Rania Attieh, Daniel Garcia, Argentinien / USA - IP
"Hedi Schneider steckt fest" von Sonja Heiss, Deutschland / Norwegen - WP
"Histoire de Judas" ("The Story of Judas") von Rabah Ameur-Zaïmeche, Frankreich - WP
"Hotline" von Silvina Landsmann, Israel / Frankreich - WP
"K" von Emyr ap Richard, Darhad Erdenibulag, Volksrepublik China / Großbritannien - WP
"Koza" von Ivan Ostrochovský, Slowakische Republik / Tschechische Republik – WP
"Madare ghalb atomi" ("Atom Heart Mother") von Ali Ahmadzadeh, Iran - WP
"La maldad" ("Evilness") von Joshua Gil, Mexiko - WP
"Mar" von Dominga Sotomayor, Chile / Argentinien - IP
"Mizu no koe o kiku" ("The Voice of Water") von Masashi Yamamoto, Japan - IP
"La mujer de barro" ("The Mud Woman") von Sergio Castro San Martín, Chile / Argentinien – WP
"Nefesim kesilene kadar" ("Until I Lose My Breath") von Emine Emel Balcı, Türkei / Deutschland - WP
"La nuit et l'enfant" ("The Night and the Kid") von David Yon, Frankreich - WP
"Queen of Earth" von Alex Ross Perry, USA - WP
"Rabo de Peixe" ("Fish Tail") von Joaquim Pinto, Nuno Leonel, Portugal - WP
"La sirène de Faso Fani" ("The Siren of Faso Fani") von Michel K. Zongo, Frankreich / Burkina Faso / Deutschland - WP
"Sueñan los androides" ("Androids Dream") von Ion de Sosa, Spanien / Deutschland - IP
"Superwelt" ("Superworld") von Karl Markovics, Österreich - WP
"Thamaniat wa ushrun laylan wa bayt min al-sheir" ("Twenty-Eight Nights and A Poem") von Akram Zaatari, Libanon / Frankreich – WP
"Über die Jahre" ("Over the Years") von Nikolaus Geyrhalter, Österreich - WP
"Viaggio nella dopo-storia" ("Journey into Post-History") von Vincent Dieutre, Frankreich - WP
"Violencia" ("Violence") von Jorge Forero, Kolumbien / Mexiko - WP
"Zurich" von Sacha Polak, Niederlande /Deutschland / Belgien – WP
Quelle: www.berlinale.de