Das dumme Gänslein
Deutscher Animationsfilm: Hans Fischerkoesens "Verwitterte Melodie"
Quelle: DFF |
Szene aus "Verwitterte Melodie" |
Als Walt Disney im Jahr 1937 "Snow White and the Seven Dwarfs" als ersten abendfüllenden Animationsfilm in die Kinos brachte, setzte er damit Maßstäbe – denn bis heute müssen sich Zeichentrickfilme mit der Marke Disney messen.
Natürlich hat sich der Animationsfilm als Filmgenre nicht nur in den USA entwickelt – auch in Deutschland gab es einige Pionier*innen und Trickfilmkünstler*innen. An dieser Stelle aber eine vollumfassende Geschichte des Animationsfilms in Deutschland zu präsentieren, sprengt den Rahmen dieses kleinen Filmblogs. Darum wird nur ein Schatz präsentiert: Der Zeichentrickfilm "Verwitterte Melodie" (1942/43) von Hans Fischerkoesen, der gerne als der "deutsche Walt Disney" bezeichnet wird.
Und tatsächlich gibt es Parallelen: Denn wie Disney arbeitet auch er zu Beginn in der Werbefilmbranche. Fischerkoesen zeichnet unter anderem für Julius Pinschewers Firma "Werbefilm GmbH". Auch andere aufstrebende Animationskünstler*innen wie z.B. Walther Ruttmann, bekannt für seine abstrakten Trickfilme, und Lotte Reiniger, die später mit ihren Silhouettenfilmen berühmt wird, arbeiten mit Pinschewer zusammen. Dort können sie ihre filmischen Experimente ohne große Mehrkosten in die Praxis umsetzen. Im Unterschied zu Walt Disney bleibt Fischerkoesen dem Werbefilm treu. Allerdings sind die Werbefilme damals noch etwas länger als heute: eine Länge von 3-5 Minuten ist nicht unüblich. Fischerkoesen zeichnet 1937 für den norwegischen Markt einen Werbefilm für Philips Glühbirnen. Gegenstände (wie hier Glühbirnen) erweckt er zum Leben und stellt Tiere vermenschlicht dar. Ein Wiedersehen mit tanzenden Insekten gibt es in "Verwitterte Melodie" (auch bekannt unter "Scherzo", 1942/43), Fischerkoesens erster werbefreier Zeichentrickfilm.
Bei ihrem Flug über eine Sommerwiese entdeckt eine Wespe ein verlassenes Grammophon. Als sie herausfindet, dass sie eine Schallplatte mit Hilfe ihres Stachels zum Klingen bringen kann, ist die Freude groß. Angelockt von dem Schlager "Wenn die Woche keinen Sonntag hätt'" (Musik: Lothar Brühne) feiern alle Wiesenbewohner*innen eine kleine Tanzparty.
Besonders eindrucksvoll ist der Anfang des Films mit einer Kamerafahrt über die Wiese. Ähnlich gestaltet ist der Filmanfang von Walt Disneys "The Old Mill" aus dem Jahre 1937. Und tatsächlich steckt eine ähnliche Technik dahinter: Hans Fischerkoesen nutzt nämlich einen mehrstöckigen Tricktisch, der es ihm erlaubt, die Tiefenschärfe der einzelnen Ebenen zu beeinflussen – dadurch entsteht dieser dreidimensionale Effekt. Auch Walt Disney nutzt eine derartige Konstruktion: Die Multiplan-Kamera kam unter anderem sowohl bei "The Old Mill" als auch bei "Snow White and the Secen Dwarfs" zum Einsatz. Walt Disney höchstpersönlich erklärt die Funktionsweise dieser Kamera hier auf YouTube.
In "Verwitterte Melodie" (1942/43) ist das facettenreiche Spiel der Wespe bemerkenswert: mal lustig verspielt, mal völlig erschöpft, mal verführerisch. Fischerkoesens Markenzeichen ist sein humorvoller und heiterer Zeichenstil, unter Umständen mit surrealen Elementen. Und im Hinblick auf den historischen Kontext frei von nationalsozialistischen Symbolen und Kriegspropaganda. Hans Fischerkoesen gilt als unpolitischer Mensch und kooperierte nie mit der Deutschen Zeichenfilm GmbH, deren Gründung Joseph Goebbels 1941 veranlasste, um eine deutsche Konkurrenz für Disney zu schaffen. Wenngleich Adolf Hitler zu den Fans der Disney Filme gehörte (Goebbels schenkte ihm zu Weihnachten mehrere "Micky Maus" Filme), galt Disney als größte Konkurrenz für den deutschen Zeichentrickfilm. Renommierte deutsche Zeichenkünstler*innen wurden akquiriert, Disney Filme Folie für Folie analysiert, doch es sollte nur ein einziger Film fertiggestellt werden: "Armer Hansi" (1943, 18 Minuten), mit stolzen Kosten von 5 Millionen Reichsmark. Die Verzögerung der Produktion kann auch auf die Kriegsunruhen zurückgeführt werden: Zu häufig musste der Standort gewechselt und das Zeichnen unterbrochen werden.
Hans Fischerkoesen dagegen ist mit seinem kleinen Studio, das von der Deutschen Wochenschau GmbH finanziert wird, deutlich flexibler: Zwischen 1942 und 1944 zeichnet er neben "Verwitterte Melodie" auch noch "Der Schneemann" (1943) und "Das dumme Gänslein" (1944). Eine Rekordzeit, wenn man bedenkt, dass Hans Fischerkoesen sowohl die Schlüsselszenen als auch Hintergrundzeichnungen anfertigt. Es ist zu hoffen, dass sich Fischerkoesen wenigstens am Wochenende ein wenig erholen konnte, getreu dem Motto: "Wenn die Woche keinen Sonntag hätt, dann wär‘ das Leben doch nur halb so nett…"
Quelle: Günter Agde: Flimmernde Versprechen: Geschichte des deutschen Werbefilms im Kino seit 1897. 1998