Inhalt
Sommer. Ein abgelegenes Landhaus in der Uckermark. Umgeben und verborgen durch einen Wald. In diesem weltabgeschiedenen Refugium lebt Anna mit ihrem Mann Robert und ihrem Sohn Max. Im Verlauf eines Sommers kommen in dem Haus mehrere Generationen der verzweigten Familie zu sammen. Laura, Annas Tochter aus erster Ehe, reist mit ihrem Freund Paul und ihren Kindern aus Berlin an, um hier die Ferien zu verbringen. Spaziergänge, das Baden im nahen See und gemeinsame Mahlzeiten im Garten verheißen eine schöne Zeit.
Doch die scheinbare Idylle hält nicht lange vor. Annas Mutter erkrankt so schwer, dass sie ins Haus geholt und gepflegt werden muss. Die Risse in Pauls und Lauras Beziehung werden immer deutlicher. Und das Erscheinen von Sophie, Lauras im Ausland lebender Schwester, sorgt für weitere Verwirrungen. Einen Sommer lang umkreisen sich die Personen, die sich nah und fremd zugleich sind. An dem isolierten Ort brechen die schwelenden Konflikte, die Lebenslügen wieder auf und drohen den brüchigen Zusammenhalt der Familie endgültig zu zerstören.
Quelle: 57. Internationale Filmfestspiele Berlin (Katalog)
Kommentare
Sie haben diesen Film gesehen? Dann freuen wir uns auf Ihren Beitrag!
Jetzt anmelden oder registrieren und Kommentar schreiben.
Laura scheint erschöpft, vielleicht von der zweistündigen Fahrt, obwohl Paul am Steuer saß. Kaum dass sie den märkischen Sand betreten hat, stellt sie das Ganze schon wieder in Frage: Ob der Entschluss, hier die Ferien zu verbringen, richtig war? Laura hat Probleme mit ihrer „schwierigen Mutter“, aber auch mit Paul, dessen Annäherungsversuchen sie sich mehrfach verweigert. Paul nimmt es zunächst gelassen – und geht schwimmen. Am See trifft er auf eine Lehrerin, die ebenfalls aus Berlin stammt. Die Welt ist klein...
Vor allem Lauras kleine Kinder genießen das ungezwungene Dasein mitten in der Natur, denn auch Max hat seine Probleme: Seine Freundin mag seine Kumpel aus dem nächsten Dorf nicht, und die wiederum geben Max zu verstehen, dass sie nichts von seinem Vater Robert halten. Der passt schon rein äußerlich nicht zum spießbürgerlichen Mainstream der einstigen DDR-Provinz.
Die Erwachsenen erfreuen sich an Spaziergängen, zelebrieren große Familie bei gemeinsamen Mahlzeiten im Garten. Ausgerechnet an ihrem Geburtstag offenbart Laura ihrem Freund, dass sie seit mehreren Monaten ein Verhältnis mit einem Schauspieler unterhält, den sie auf einer Vernissage kennengelernt hat. Ihr Plan, die gemeinsamen Ferien als letzten Rettungsversuch zu nutzen, ist gründlich danebengegangen.
Aber auch zwischen den Gastgebern stimmt manches nicht. Robert war es, der Anna seinerzeit dazu überredet hat, ihren Job als Fotografin, der ihr offenbar mehr Berufung als Beruf war, an den Nagel zu hängen, um sich hier draußen in der Uckermark niederzulassen. Jetzt will Anna nur noch weg, möglichst nach Berlin, in die Nähe ihrer Tochter Laura, was diese mit Entsetzen zur Kenntnis nimmt. Und nun ist auch noch Annas Mutter so schwer erkrankt, dass sie ins Haus geholt und gepflegt werden muss. Was alte Wunden wieder öffnet: „Richard, das war ein guter Arzt“ meint die alte Dame. Gemünzt ist das auf Annas ersten Mann, von dem diese sich vor 25 Jahren getrennt hat, nun aber wieder zaghaft Kontakte knüpft.
„Es ist alles kompliziert. Erst freut man sich, alle wiederzusehen, und dann...“: Als die (Ur-) Oma in die Klinik muss, trifft mit Sophie das letzte noch fehlende Mitglied der Familie ein, Lauras im Ausland lebende Schwester. Einst waren sie unzertrennlich, nun trennen sie Welten: Sophie ist Musikerin und derzeit solo und muss sich sogleich den Nachstellungen ihres „Schwagers“ Paul erwehren.
Erste Stürme umtosen das Haus und den nunmehr verwaisten Garten, die Boten des Herbstes sind unübersehbar. Ein Handy klingelt in der Veranda, es ist Annas. Ihre Töchter gesellen sich dazu, stumm halten sie sich gegenseitig die Hände. Schnitt. Beerdigung, Schnitt. Totenmahl. Noch einmal ist die ganze Familie um den Tisch versammelt. Anna und Robert wollen nächstes Jahr das Haus verkaufen, wenn Max die Schule beendet hat. Der „geht“ wieder mit seiner Freundin...
In „Ferien“ richtet Thomas Arslan einen kühlen, sachlichen, geradezu distanzierten Blick auf die Katastrophen des Erwachsenen-Alltags. Michael Wieswegs zumeist recht unbewegte Kamera unterstreicht den Eindruck des ständigen Beobachtens von außen: Wie in eine Puppenstube zoomt sich die Einstellung näher an das Haus und durch das Fenster hinein. Andererseits wirken die Bäume und dunklen Alleen des Waldes weniger als Beschützer eines Idylls denn als bedrohlicher Wall, der zur Abkapselung von der Außenwelt führt.
Wie in seinen früheren Filmen beschränkt sich Arslan auf Andeutungen, das meiste bleibt der Interpretation des Zuschauers selbst überlassen. So bleibt die Vergangenheit der Gastgeber ebenso im Dunkeln wie die Gegenwart der Gäste, etwa die Gründe für die Entfremdung zwischen Anna und ihren Töchtern oder die Krise zwischen Laura und Paul. Emotionen zeigt der Regisseur nur bei den kleinen Kindern Lauras und beim jugendlichen Liebespaar. So beim Vorspann, einer Motorradfahrt über Land, der erst nach etwa 20 Minuten auf der Leinwand erscheint. Arslan traut Max am ehesten den Absprung zu, obwohl der noch nicht einmal bei seiner Halbschwester Laura in Berlin war.
„Ferien“, am 1. April 2008 auf 3-Sat erstausgestrahlt, bleibt ganz der Ästhetik eines Kammerspiels verpflichtet, wodurch die so beredten stummen Szenen verschenkt werden, etwa das Handy auf der Veranda mit der Todesnachricht, die rauschenden Zweige und Blätter oberhalb des leeren Tisches und die verwaisten Gartenstühle, die das Ende des Sommers verkünden, oder der anrührende Abschied Pauls von den Kindern, die ihn zu seinem Wagen begleiten.
Thomas Arslan im Presseheft: „Eine Familie ist für mich ein komplexes emotionales Kraftfeld mit starken Anziehungs- und Abwehrbewegungen. Interessant an einer Familiengeschichte ist zudem, dass man einen Rahmen hat, in dem mehrere Personen eingebunden sind. Das gibt mir die Möglichkeit, mehrere Stränge zu etablieren und verschiedene Facetten von Familien- und Liebesgeschichten durchzuspielen. Familienstrukturen setzen sich aus den Beziehungen einzelner Individuen zusammen. Mich hat interessiert, wie so ein Geflecht funktioniert. Mir war es wichtig, die Figuren nicht zu früh festzuschreiben. Und die Verhältnisse erst nach und nach aufscheinen zu lassen.“
Pitt Herrmann