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Die dominante Zahnärztin Coco und der Immobilienmakler Carlos wollen demnächst heiraten. Allerdings blickt Carlos der Ehe nicht mit gutem Gewissen entgegen, denn anstatt seiner Verlobten die Wahrheit über seine massiven Geldprobleme zu beichten, belügt er sie nach Strich und Faden. Cocos beste Freundin Patti scheint zwar etwas zu ahnen, behält ihre Bedenken aber ebenso für sich, wie ihre Affäre mit dem Yoga-Lehrer Andi – der wiederum auch nicht ganz mit offenen Karten spielt. Diese Geheimniskrämerei macht sich die Zahnarzthelferin Vera zunutze, um ihre persönlichen Ziele zu verfolgen. Kurz gesagt: So ziemlich jeder Mensch in Cocos Umgebung lügt, flunkert und intrigiert nach allen Regeln der Kunst. Am Tag der Hochzeit treffen schließlich alle aufeinander – und es ist nur eine Frage der Zeit, bis die eine oder andere Bombe platzt.
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Seinen Worten lauschen auch die beiden Freundinnen Coco und Patti. Erstere ist eine kontrollsüchtige Zahnärztin, die ausgerechnet den chaotischen und auch noch alkoholkranken Immobilienmakler Carlos (notorischer Schwerenöter: Thomas Heinze) heiraten und dabei nichts dem Zufall überlassen will. Und letztere eine eher minder erfolgreiche Malerin, die in Cocos Arztpraxis höchst anzügliche Vagina-Motive ausstellt in der Hoffnung, zahlungskräftige Kunden unter den Klienten ihrer Freundin zu finden.
„Carlos raucht und trinkt nicht mehr, das find' ich ganz toll“ schwärmt Frau Doktor, kann aber über seinen Totenkopf-Ehering „bis dass der Tod uns scheidet“ nicht wirklich lachen. Je näher der große Tag heranrückt, je nervöser wird Coco. Die an einem Morgen sogar ihrer Sprechstundenhilfe Vera kündigt – fristlos. Weil der Russlanddeutschen während ihrer Probezeit immer neue Ausreden eingefallen sind für Unpünktlichkeit oder Flüchtigkeitsfehler. Dabei hat sie keinen Ersatz, bevor sie ihre Mutter Andrea nicht beknien kann, ihr noch ein allerletztes Mal aus der Patsche zu helfen.
Apropos Patsche. Vera sitzt in einer solchen nicht nur, weil sie jetzt ohne jedes Einkommen ist und ihr auch noch die Fahrradkette abspringt, wobei es dem smarten Andi ein Vergnügen ist, ihr zu helfen in der ersten von sicherlich einem halben Dutzend zufälliger Begegnungen, die sich wie ein Roter Faden durch Vanessa Jopps semi-improvisierte Komödie „Lügen und andere Wahrheiten“, in deren Buch bei Drehbeginn noch kein einziger Dialog stand, zieht. Sondern weil sich bei ihr daheim ihr Bruder Michail eingenistet hat in der irrigen Auffassung, die Hansestadt sei das Paradies auf Erden, wo goldene Äpfel an den Bäumen wachsen. 150.000 Rubel soll Vera beschaffen für die Raucherbein-Operation des Vaters in Russland...
Carlos lässt sich beim feucht-fröhlichen Junggesellenabschied entgegen aller Beteuerungen nicht nur volllaufen, was ihn den Führerschein kostet, sondern auch die Sau 'raus, sodass die Rechnung des Sauna-Clubs in Höhe von 3.800 Euro sein Kreditlimit überstrapaziert. Von der Geduld Cocos, die natürlich irgendwann doch dahinterkommt, ganz zu schweigen. Schließlich will die Goldschmiedin Bares sehen für die Trauringe, als die Kreditkarten-Abbuchung platzt. Und dann versucht auch noch Cocos „Ex“ und Nachbarin Cindy sich in der Badewanne umzubringen...
Alles reichlich viel auf einmal, was uns die preisgekrönte Filmemacherin Vanessa Jopp auftischt – und ihren sechs Protagonisten-Paaren zumutet. Eines davon ist der auf den ersten Blick so charismatische Andi, der aber im Bett mit Patti regelmäßig versagt – Orgasmusprobleme. Und seinen Frust deshalb bei wildfremden Menschen auf der Straße abreagiert, was ihn zum Erpressungsopfer Veras werden lässt, die auf diese Weise immerhin 3000 Euro erschleicht. Nebenbei macht sie noch für Carlos die Fahrerin, der vergeblich versucht, eine große Villa gewinnbringend zu verkaufen. Und bekommt heraus, dass ihr Bruder ein ganz falsches Spiel mit ihr treibt...
Hier sagt ganz offensichtlich niemand die Wahrheit, weshalb Coco mit Dr. Paul Enkmann einen Experten konsultiert, der sie in einem zweistündigen Crashkurs fit machen soll, um an der Körpersprache ihres „Zukünftigen“ ablesen zu können, ob Carlos lügt oder nicht. Als am Ende nach und nach auch ohne Lügendetektor einige höchst unangenehme Wahrheiten ans Licht kommen, scheint einer Hochzeit ganz in weiß im Angesicht des Rolands vor dem Bremer Rathaus nichts mehr im Wege zu stehen...
„Lügen und andere Wahrheiten“ kommt trotz einer bemerkenswerten Besetzung nicht über die recht vorhersehbare Story und die übliche Kammerspiel-Ästhetik der deutschen TV-Koproduktionen hinaus. Weil Vanessa Jopp alles so genau konstruiert und durchorganisiert hat: „Carlos zum Beispiel trinkt zu viel, also durfte es keine zweite Figur mit Alkoholproblem geben. Oder auch keinen zweiten, der wie Andi ein Gewaltproblem hat.“ Das Reißbrett lässt grüßen. Was den Film auszeichnet ist das Wissen um die improvisierten Dialoge der Darsteller.
Vanessa Jopp über ihren am 11. März 2016 bei Arte erstausgestrahlten Film: „Wir mussten natürlich chronologisch drehen, und man kann sagen, bei den Dreharbeiten zu ‚Lügen und andere Wahrheiten‘ musste sehr viel gelogen werden. Weil die Schauspieler nicht wissen durften, was genau passiert und mit wem sie zusammentreffen werden. Sie sollten immer ans Set kommen und erst dort erfahren, mit wem sie die nächste Szene spielen werden, es sei denn die Figuren hatten sich vorher verabredet. Der Sinn dieses Arrangements war, dass die Schauspieler spontan aus dem Moment heraus agieren dürfen und sich nicht schon im Vorfeld überlegen können, wie sie reagieren sollten.“
Pitt Herrmann