Melodie der Welt

Deutschland 1928/1929 Dokumentarfilm mit Spielhandlung

Melodie der Welt


Heinz Pol, Vossische Zeitung, Nr. 124, 14.3.1929


Ein Triumph des stummen Films, ein Triumph moderner, künstlerischer Filmreportage und ein Triumph für Walther Ruttmann, der hier weit über seinen "Berlin"-Film hinauswuchs.

Ruttmann fuhr in dem Hapagdampfer "Resolute" um die Welt, und was ihn interessant dünkte, fing er mit der Kamera auf. Also ein "interessanter" Reisefilm? Nein, etwas fundamental anderes, nämlich ein soziologischer Querschnitt durch die Völker. Wie das gemacht wird? Sehr einfach: durch geschickte Schnittarbeit und mit Hilfe einer allgemeinen politischen und sozialen Gesinnung, welche die Dinge, die auf der Welt vorgehen, unter einem besonderen Gesichtswinkel sieht.

So betrachteten auch wir, im Handumdrehen fortgerissen, die Welt mit ganz neuen Augen. Im Bruchteil einer Sekunde raste die Kamera von Paris nach Timbuktu, von Tokio nach Neuguinea. Sie rast über Erdteile, um uns zu beweisen, daß zwar die Völker verschieden essen, trinken, sich waschen, Sport treiben, Reden halten, beerdigen, Parademarsch exerzieren –, daß sie das alles zwar auf sehr verschieden und merkwürdige Weise tun, aber daß im Grunde gar kein Unterschied vorhanden ist. Sie waschen sich alle, der eine das Gesicht mehr, der andere lieber die Füße, sie tanzen alle, die einen im Ballsaal, die anderen im Freien, sie marschieren alle, die Stahlhelmleute mit bunten Fahnen und die Indianer mit buntem Kopfschmuck, und überall sterben auch die Menschen, nur daß bei manchen die Särge schwarz sind und bei den anderen weiß.

Es ist ein ebenso primitives wie raffiniertes Wunder, und vollkommen begreifen wir es auch noch nicht, daß wir in einem Theaterraum vor einem Stückchen Leinwand sitzen und dabei gleichzeitig durch die Welt fliegen so schnell wie die Strahlen des Lichts. Plötzlich interessiert uns Geographie durchaus nicht mehr, unsere Sinne (nicht nur unsere Augen) umschleichen Menschen, Gesichter, Gebärden, Gebräuche. Plötzlich interessieren uns Vergleiche: wie macht man es hier, wie macht man es dort? Bisher, mit den üblichen künstlerischen oder technischen Mitteln, konnte man uns das nur recht umständlich auseinandersetzen. Hier in diesem Film dürfen wir diese Vergleiche innerhalb von Sekunden ziehen. Kein Vortrag, kein Buch, kein Photo, kein Radio, nichts auf der Welt kann uns in anderthalb Stunden so viel von der Welt zeigen und über die Welt beweisen, wie eine solche Filmreportage, ausgeführt von einem Menschen mit künstlerischer und sozialer Gesinnung.

Überflüssig zu betonen, daß der Film nicht ein einziges Textwort enthält. Die Zusammenstellung der Bilder, der Schnitt, das Tempo sprechen für sich selbst. Ein Buch von 200 Seiten wird erspart. (...)

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