Am Montag, 9. März 2009, um 19 Uhr, zeigt das Berliner Kino Arsenal des Instituts für Film und Videokunst e.V. (vormals Freunde der Deutschen Kinemathek) in der Reihe "FilmDokument" sieben Filme, die mit der berühmten "entfesselten Kamera" Kinamo gedreht wurden, mit einer Einführung von Ralf Forster.
Die "Kinamo" wurde 1921 von dem Techniker, Wissenschaftler und Erfinder Emanuel Goldberg (1881-1970) für die Internationale Camera AG Dresden (Ica) konstruiert, als kleine aber feine Normalfilmkamera für den Amateur. 1923 stattete er diesen Aufnahmeapparat mit einem Federwerk aus. Nun konnte endlich – ohne das lästige Kurbeln – aus der Hand gefilmt werden. Die kompakte Kamera fasst 25 Meter 35mm-Film, wiegt nur 1,5 Kilo; pro Aufzug lassen sich 6 bis 7 Meter Film belichteten. Die Ica startete eine aufwendige Werbekampagne, um den Absatz der Kamera in Amateurkreisen anzuregen. Das Besondere: Zum ersten Mal in der Filmgeschichte tritt ein Kamerakonstrukteur in Filmen selbst vor seiner Erfindung auf, agiert als medienkompetenter Darsteller und Regisseur in Werbefilmen, die ausschließlich mit dem "Kinamo" gedreht wurden. Zwischen 1924 und 1927 entstanden unter Goldbergs Leitung mindestens sieben Werbefilme, die – als Amateurfilme verkleidet – potentiellen Käufern des "Kinamo" seine Stärken nahe bringen sollten.
Goldberg filmt das familiäre Leben in Dresden ("Im Sonneck", 1924), er nimmt den "Kinamo" mit in den Alpenurlaub ("Die verzauberten Schuhe") und dreht dramaturgisch ausgereifte humoristische Kurzspielfilme, in denen seine Frau Sophie, die Kinder Herbert und Renate sowie Goldberg selbst die Hauptrollen spielen. Im März 1927 verlebt Goldberg mit Studenten der Technischen Hochschule Dresden ausgelassene Semesterferien in den Alpen; gemeinschaftlich erarbeiten sie die Humoreske "Ein Sprung... Ein Traum". Hier fällt vor allem das unbeschwerte und doch professionelle Schauspiel von Laiendarstellern (den TU-Studenten) auf. Die Ica und ab 1926 Zeiss Ikon vertreiben die kurzen "Amateurfilme" in ihrem Kauffilmprogramm "Das Kino im Hause".
Die Beweglichkeit und die durch das Federwerk bedingten kurzen Einstellungslängen prädestinieren den "Kinamo" zur Kamera des "Neuen Sehens". "Kinamo"-Filme verweilen nah am Ereignis und sind aus kurzen Szenen komponiert. Die Authentizität des Gefilmten und die in Montagen übersetzte Dynamik des modernen Lebens fallen in ihnen zusammen. Schnell sprechen sich diese Qualitäten auch bei Berufsfilmern und Vertretern der Filmavantgarde herum. Neben Walter Ruttmann und Joris Ivens greifen Wilfried Basse und Ella Bergmann-Michel auf den "Kinamo" zurück. Nicht selten wird der kleine Apparat nun zur "versteckten Kamera"; sie ermöglicht die unmittelbare und ungestellte Aufzeichnung des Alltags. Ella Bergmann-Michel weiß in "Fliegende Händler" die beinahe Unsichtbarkeit des "Kinamo" im doppelten Sinne zu nutzen: um den illegalen Straßenhandel in Frankfurt am Main authentisch einzufangen und um beim Filmen des Verbotenen selbst vor der Polizei geschützt zu sein.
Mit dem Programm ist eine Buchvorstellung der Publikation von Michael M. Buckland "Emanuel Goldberg and his Knowledge Machine" (2006) verbunden.
Einführung: Ralf Forster
Die Filme: - "Im Sonneck. Bilder aus dem Kinderleben" (1924) - "Zeltleben in den Dolomiten" (1925) - Alpenwinterurlaub Emanuel Goldberg und Sohn Herbert im Engadin (AvT) (1924/25) - "Die verzauberten Schuhe. Eine heitere Kinamo-Tragödie" (1927) Archiv: Michael K. Buckland, School of Information, University of California, Berkeley (DigiBeta) - "Ein Sprung... Ein Traum. Eine Kinamogeschichte aus dem Studentenleben" (1927) Archiv: Bundesarchiv-Filmarchiv (35mm) - "Baumblütenzeit in Werder" (1929) Filmmuseum, Amsterdam (35mm) - "Fliegende Händler in Frankfurt am Main" (1932) Archiv: Deutsches Filminstitut – DIF (35mm, Ausschnitt) Quelle: www. filmblatt.de