1954 fanden die ersten Westdeutschen Kulturfilmtage (ab 1959 dann Kurzfilmtage) statt; bereits 1955 liefen dort erste Filme aus der DDR.
Bis 1990 wurden über 150 Filme aus der DDR in Oberhausen gezeigt. In einer vergleichbaren Kontinuität und Breite war das ostdeutsche Filmschaffen der westdeutschen Öffentlichkeit sonst nirgends zugänglich. Die Beziehung zwischen dem Festival und der DDR war immer komplex, nie konfliktfrei, aber auch sehr ertragreich. Nun widmen die 71. Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen vom 29. April bis zum 4. Mai 2025 diesem wenig erschlossenen Teil ihrer Festivalgeschichte ein großes Themenprogramm unter dem Titel "Umwege zum Nachbarn – Der Film der DDR in Oberhausen".
Zusammengestellt von dem Kurator Felix Mende, umfasst die Auswahl zahlreiche Arbeiten aus der DDR, die für Oberhausen von besonderer Bedeutung waren: Von den ebenso einfallsreichen wie ethisch höchst ambivalenten Agitationsfilmen aus dem Studio Heynowski & Scheumann über die essayistischen ersten Hochschulübungen von Helke Misselwitz bis hin zu experimentellen Arbeiten Jürgen Böttchers oder Lutz Dammbecks, die vom Festival zwar eingeladen wurden, seitens der DDR jedoch keine Freigabe erhielten. So zeichnet das Programm, zu dem zahlreiche Gäste erwartet werden, ein klareres Bild davon, wie diese deutsch-deutsche Beziehung die Filmgeschichte mitgeprägt hat. Insgesamt umfasst die Sektion zehn Filmprogramme und eine Podiumsdiskussion.
Die Präsenz der DDR in Oberhausen war nie selbstverständlich, sondern immer ein Politikum und Seismograph für das jeweilige Selbstverständnis beider deutscher Staaten. Versuche von Einflussnahmen gab es zuhauf. Trotz häufiger Unstimmigkeiten ließ das Festival die Kontakte nicht abreißen und blieb stets auf der Suche nach eigenständigen künstlerischen Positionen, die sich nicht innerhalb abgesteckter ideologischer Grenzen bewegten. Daraus ergibt sich eine erstaunliche Vielfalt der in Oberhausen gezeigten Filme. Dieses Spannungsfeld, das bislang nur im akademischen Rahmen untersucht wurde, neu auszuleuchten ist das Ziel des Themenprogramms "Umwege zum Nachbarn – Der Film der DDR in Oberhausen".
Im Programm
"Martins Tagebuch", Heiner Carow, DDR 1955
"Vom Lebensweg des Jazz", Wolfgang Bartsch/Peter Ulbrich, DDR 1956
Zwei Filme, in die sich der politische Druck von beiden Seiten einschrieb: In der DDR waren sie schweren Zensurauflagen ausgesetzt, in der BRD beschränkte der Interministerielle Ausschuss für Ost-West-Filmfragen ihre Auswertung. Tatsächlich geht es in Ihnen ums Ganze, um den Umgang mit Erziehung und mit Kultur.
"Kommando 52, Walter Heynowski", DDR 1965
"Wink vom Nachbarn", Harry Hornig, DDR 1966
Nachdem "Kommando 52", ein ebenso fragwürdiges wie furioses Pamphlet gegen die Bundesrepublik, von Oberhausen abgelehnt wurde, folgte die Replik umgehend: Eine vernichtende Schmähkritik der Kurzfilmtage 1966.
"Struga – Bilder einer Landschaft", Konrad Herrmann, DDR 1972
"Konfrontation – Rekonstruktion eines Dichters", Konrad Herrmann, DDR 1976
Zwei außergewöhnliche, lyrisch-abgründige Filmessays, die durch zerstörte sorbische Lebensräume und apokalyptische Berliner Trümmerlandschaften führen.
"Haus.Frauen – Eine Collage", Helke Misselwitz, DDR 1982
"Hinter den Fenstern", Petra Tschörtner, DDR 1984
Zwei Hochschulstudentinnen wagen den Blick hinter die Fassaden: In einer verlassenen Gründerzeitvilla durchlebt eine Frau fast ein ganzes Jahrhundert in 15 Minuten, in den Privatwohnungen einer Neubausiedlung setzen sich drei Paare mit ihren ganz gegenwärtigen Problemen auseinander, so eloquent wie unverblümt.
"Feierabend", Karl Gass, DDR 1964
"Martha", Jürgen Böttcher, DDR 1978
Bilder industrieller Schwerarbeit, die auch im Ruhrgebiet verstanden wurden: Karl Gass erzählt zwar vom "neuen Menschen" der DDR, doch die westdeutsche Filmkritik vermerkte, dass man diesen Film genau so auch in Oberhausen hätte drehen können. Jürgen Böttcher korrigiert derweil das mythisch überhöhte Bild der Trümmerfrau auf menschliches Maß.
"Die Prüfung - Chronik einer Schulklasse", Winfried Junge, DDR 1972
"Rock'n'Roll", Jörg Foth, 1987, 20 Min.
Zwischen schweißtreibenden Schulprüfungen und der harten Arbeit im Betrieb ist das schönste Ventil: der Tanz. Ein Programm über, und für, junge Erwachsene, in Kooperation mit dem Kinder- und Jugendkino der Kurzfilmtage.
"Aber wenn man so leben will wie ich", Bernd Sahling, DDR 1988
"Bahnpostfahrer", Herwig Kipping, DDR 1980
"La Rotonda / Vicenza – In Erinnerung an Prof. Lothar Kühne", Roland Steiner, DDR 1990
Lebenswege, die in der DDR nicht aufgehen konnten: ein Punk, ein Arbeiter, der träumt, ein Philosoph, der jenseits der Realsozialismus denkt.
"Zug in die Ferne", Andreas Dresen, DDR 1990
"Das war's, Brüder und Schwestern – Die East-Side-Story", Christoph Albert, Deutschland 1990
Kaum ein Bild wurde im DDR-Film der Wendezeit so oft bemüht wie das des Zuges. Mal kommt er nicht und lässt die Wartenden am Bahnsteig voll Wehmut zurück, mal entgleist er und überrollt das ganze Filmteam, und den scheinheiligen Wiedervereinigungs-Kitsch gleich mit.
Gefördert mit Mitteln der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.
Quelle: www.kurzfilmtage.de