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Antonia Berger war im berüchtigten stalinistischen Lager von Workuta, obwohl sie als überzeugte Kommunistin nur vor den Nazis geflohen war. 1952 kommt sie in einem Kompromissverfahren mit der DDR frei. Ihren Mann hatten die Sowjets einfach erschossen und ihr vor die Füße geworfen. Nun wird sie von der deutschen sozialistischen Kreisleitung in allen Ehren empfangen. Man kümmert sich um ihre schwerkranke Tochter. Sie bekommt eine schöne Wohnung, Job und Anerkennung. Doch sie muss eine Schweigevereinbarung über die Vorgänge in der Sowjetunion unterschreiben. Dadurch wird ihr schönes neues Leben, zu dem auch eine Liebesbeziehung zu einem Kinderarzt gehört, vergiftet. Verbrecherisches Verhalten der großen Mutter Sowjetunion? Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Sonst würde das die junge sozialistische deutsche Republik ins Wanken bringen. Aufwühlend porträtiert dieser Film das Schicksal jener, die zum Opfer ihrer eigenen Loyalität wurden und deshalb das Unrecht nicht einmal formulieren durften.
Quelle: 15. Festival des deutschen Films Ludwigshafen am Rhein
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Workuta, 1952. Zum dritten Geburtstag seiner Tochter Lydia wagt es Gerhard Berger nachts den scharf bewachten Stacheldrahtzaun zwischen Männer- und Frauenlager zu überwinden, um sein schwer lungenkrankes Kind zu sehen. Nur kurz, dann muss er zurück. Als ihn eine Streife erwischt und erschießt, stirbt er mit dem Ausruf: „Es lebe Genosse Stalin!“ Seine Leiche wird seiner Frau regelrecht vor die Füße geworfen. Fürstenberg, DDR-Provinz, November 1989. „Die Mauer ist weg“ skandieren Ost-Berliner am Brandenburger Tor wie an der Bornholmer Straße. Eine abgehärmt aussehende Antonia Berger verfolgt die Live-Bilder im Fernsehen ungerührt, will auch mit den anderen Hausbewohnern nicht auf der Straße feiern. „Ich beneide Irma, dass sie das nicht mehr erleben muss“ spricht sie einem gewissen Konrad ins Telefon. Und rechtfertigt sich gegenüber ihrem fernmündlichen Gesprächspartner: „Ach, Konrad, die Wahrheit! Wann hätte ich sie denn sagen sollen?“ Ein kurzer Einspieler, weit zurück in der Zeitachse, zeigt, dass Antonia sich damals nach der Ermordung ihres Mannes während der Arbeit von einem gefällten Baum hätte erschlagen lassen. Doch eine Mitgefangene, Susanne Schumann, hat sie im letzten Moment weggestoßen – und Antonia an ihre Verantwortung für Lydia erinnert.
Berlin, Hauptstadt der DDR, 1952. Wilhelm Pieck, Mitbegründer und neben Otto Grotewohl Vorsitzender der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands sowie erster und einziger Präsident der DDR, wird an das Schicksal seiner Sekretärin in der Moskauer Komintern, Susanne Schumann, erinnert. Zusammen mit anderen Häftlingen schmachte die unschuldig Verurteilte immer noch im Gulag Workuta, so sein Sohn, Interflug-Chef Arthur Pieck: „Es sind unsere Genossen, wir lebten zusammen im Exil. Die Sowjetunion ist unsere zweite Heimat, aber Unrecht bleibt Unrecht.“
Fürstenberg, 1952. Susanne Schumann, Irma Seibert und Antonia Berger samt Tochter Lydia werden am Bahnhof von Hanna Sydow, Mitglied der SED-Kreisleitung, empfangen. Dem vom Fieber geschüttelten Mädchen geht es so schlecht, dass der erste Weg in die Poliklinik zu Konrad Zeidler führt: Lydia hat schwere Erfrierungen an den Händen. Das in der DDR rare Penizillin soll ihr über die lebensentscheidende erste Nacht helfen. „Wohnung, Arbeit, Geld – alles in bester Ordnung“ stellt wenige Tage später Leo Silberstein, SED-Sekretär für Agitprop und Propaganda, fest. Susanne Schumann kann beim Parteiorgan der Suhler SED-Bezirksleitung, „Freies Wort“, anfangen, Irma Seibert in der Gastronomie und Antonia Berger das Kulturzentrum „Haus des Volkes“ als Leiterin übernehmen. Die Voraussetzung: die drei Frauen unterschreiben ein Schweigegelübde über ihre Erfahrungen mit dem Terrorregime des großen Bruders Sowjetunion. „Was ihr erlebt habt“, gesteht Silberstein, „hat nichts mit Kommunismus zu tun.“ Aber die willkürlichen Verhaftungen und langjährige Lagerhaft Unschuldiger sei nur Wasser auf die Mühlen des Klassenfeindes. Antonia unterschreibt als Erste.
Als Antonia der Belegschaft des Kulturzentrums vorgestellt wird, spielt der Altkommunist Küppers seinen bestgehüteten Schatz ab, die erste Schallplattenaufnahme der Gruppe „Kolonne Links“ von 1932. Antonia bricht nach den ersten Klängen zusammen: Ist sie doch die einzig Überlebende von 15 jungen Kommunisten, die mit Agitprop-Gesängen übers Land zogen und, was für eine Ehre, sogar nach Moskau eingeladen wurden. Im Zuge der Säuberungen Stalins aber wurden alle verhaftet – und bis auf eine Ausnahme erschossen. Klar, dass Leo Silberstein darauf drängt, dass dieses Verbrechen nicht ruchbar wird im ersten Arbeiter- und Bauernstaat auf deutschem Boden. Antonia bleibt als emotionales Ventil nur ihr aus dem Gulag gerettetes Tagebuch: Sie empfinde die DDR als Kulisse, in der sie sich wie eine Marionette bewege.
Das Leben normalisiert sich. Lydia wird aus der Klinik entlassen und staunt über das fließende Wasser in der neuen Wohnung und über die Badewanne. Der Nachbar Alois Hoecker, ein Wiener Maler, der vor den alten und neuen Nazis in seiner Heimat ins bessere Deutschland gegangen ist, sich aber auch nicht dem verordneten „Sozialistischen Realismus“ unterordnen will, gibt eine rauschende Einweihungsparty. Hoecker bezeichnet den SED-Granden Werner Schuck, der Antonias Kulturangebot als „Tingeltangel“ abtut und von ihr Agitprop zum Thema Kollektivierung der Landwirtschaft nach sowjetischem Vorbild einfordert, als einen „lächerlichen Wichtigtuer“: Die erst dreijährige DDR müsse halt noch ihre Kinderkrankheiten überstehen. Mit Leo Silberstein und Konrad Zeidler schließlich bemühen sich gleich zwei einflussreiche Männer um Mutter und Tochter Berger, wobei der Doktor klar die besseren Chancen hat.
18. Dezember 1951. An Stalins 73. Geburtstag geht das Fernsehen der DDR auf Sendung – und Antonia bekommt einen der ersten TV-Geräte der Republik geschenkt. 5. März 1953. Josef Stalin ist auf seiner Datscha in Kunzewo gestorben, die ganze DDR trauert. Bei Antonia Berger dagegen knallt der Westsekt-Korken: Susanne Schumann, die vom Sozialismus die Nase voll hatte, ist gleich nach ihrer Ankunft in Fürstenberg, das jetzt in „Stalinstadt“ umbenannt werden soll, in den Westen gegangen. Der Tod dieses Verbrechers ist für die an diesem Tag wiedervereinten Leidensgenossinnen ein Tag der Freude – und zumindest für Antonia Berger auch ein Tag der Hoffnung: Nun würde sie endlich die Wahrheit über ihre Vergangenheit sagen und Fragen nach dieser beantworten können. „In Russland wird es doch auch Briefmarken geben“: Etwa die ihrer Mutter Waltraud Kessler, die sich im vierten Jahr ihrer Witwenschaft neu gebunden hat, und von Antonia wissen will, warum sie all‘ die Jahre nichts hat von sich hören lassen.
Eben hat Friedrich Zeidler seinem Sohn noch angeboten, seine Hamburger Arztpraxis zu übernehmen und Konrad dankend abgelehnt, er arbeite lieber in einer Poliklinik in der „Zone“ und damit auf der – politisch – richtigen Seite der Elbe. Da zeigt ihm Antonia Berger ihr Tagebuch: Eine ganze Nacht liest Konrad Seite für Seite, bis er sie bittet, mit ihm nach Hamburg zu gehen. Was Antonia weit von sich weist: Jetzt den Traum eines besseren Deutschlands aufzugeben hieße, dass all‘ die Schmerzen der Vergangenheit umsonst gewesen sind. Und dann steht „Horch & Guck“ vor der Tür: der nette Nachbar aus Wien hat sich als Spitzel erwiesen und die Staatssicherheit über die angebliche Jubelfeier über Stalins Tod und den Besuch einer West-Journalistin informiert. Als sie im Stasi-Gefängnis ihrem Vernehmer gegenübersitzt, will der von Workuta nichts hören. Der Buchenwald-Überlebende, der bei medizinischen Experimenten in Mengele-Manier ein Bein verloren hat, leugnet schlichtweg die Existenz solcher Lager und will von Antonias Wahrheit nichts wissen. Leo Silberstein, der es besser weiß, holt Antonia aus dem Gefängnis, postuliert aber gleichzeitig: „Die Wahrheit ist, was unserer Sache nützt.“ Dies im Hinterkopf verbrennt Antonia ihr Tagebuch und zieht aufs Land, zu ihrer Mutter auf den Hof, wo auch Lydia inzwischen lebt…
Für „Und der Zukunft zugewandt“ hat Bernd Böhlich „unzählige Bücher, Zeitzeugenberichte und Dokumente gelesen“ und mit Betroffenen gesprochen hat. „Viele Menschen sind an der DDR verzweifelt – und hatten trotzdem nicht ihre Abschaffung im Sinn, sondern ihre Veränderung.“ Weshalb dem zurückhaltenden, ja nüchternen Spiel der Hauptdarstellerin Alexandra Maria Lara als Identifikationsfigur eine so große Bedeutung zukommt. Authentizität ist das Stichwort. Diese liefert vor allem die Berliner Theaterschauspielerin Swetlana Schönfeld: 1951 in einem sibirischen Arbeitslager in der Region Kolyma geboren als Tochter der seit 1927 im Arbeitersportverein „Fichte“ aktiven Kommunistin Betty Schönfeld. Im Auftrag der KPD reiste diese 1932 nach Moskau, arbeitete dort für die Kommunistische Internationale (Komintern) u.a. im Büro von Wilhelm Pieck. Wegen „Verbindung mit konterrevolutionären Elementen“ wurde Betty Schönfeld 1936 aus der KPD ausgeschlossen und 1937 in Moskau verhaftet. Zu lebenslanger Zwangsarbeit verurteilt, konnte sie erst 1957 mit Tochter Swetlana und deren Schwester in die DDR ausreisen – der Vater war in Sibirien umgebracht worden. Unter Androhung erneuter Haftstrafe durften die Schönfelds nicht über ihre Lagerhaft sprechen.
Bernd Böhlich im Presseheft-Interview: „Die Reduzierung der DDR auf Mauer, Stasi und Doping ist nicht nur unsäglich, sondern schlichtweg falsch. Daher rühren viele Verwerfungen und Spannungen zwischen Ost- und Westdeutschen und als trotzige Reaktion manchmal eine Verklärung der DDR. Dabei wurden die Anfänge der DDR auch von Menschen im Westen mit Sympathie begleitet, eine Alternative zum Kapitalismus schien nach dem verheerenden 2. Weltkrieg notwendig und sinnvoll. Dass es ein Sozialismus sowjetischer Prägung wurde, gehört zur Tragik der Geschichte. Vielleicht weitet unser Film den Blick auf diese schwierige Zeit.“
Pitt Herrmann