Monolog für einen Taxifahrer

DDR 1962 TV-Film

Kommentare

Sie haben diesen Film gesehen? Dann freuen wir uns auf Ihren Beitrag!

Heinz17herne
Heinz17herne
Friedrichstraße, Metropol-Theater. Hektik am Weihnachtsabend. In der gerade durch eine von Walter Ulbricht noch kurz zuvor geleugnete Mauer vom kapitalistischen Westen getrennt entwickelt sich auch im „demokratischen Sektor“ Berlins, der sich jetzt „Hauptstadt der DDR“ nennt, so etwas wie eine konsumorientierte Torschlusspanik. Die Läden sind überfüllt, Menschen rennen mit den auf den letzten Drücker ergatterten Tannenbäumen blind über die Straßen. Wer es sich leisten kann wie eine dünkelhafte Kammersängerin, lässt sich den Stapel der Geschenkpakete vom Personal des Warenhauses am Alex ins Taxi tragen.

Klaus (Fred Düren) hat am Weihnachtsabend Schicht. Und hofft dennoch, irgendwann gemeinsam mit seiner Gattin unterm Weihnachtsbaum feiern zu können, obwohl die Ehe kinderlos geblieben ist und so die glänzenden Augen eigenen Nachwuchses, also eigentlich die Hauptsache dieses festlichen Abends, fehlen. Aus einem Konsum-Laden erreicht ihn ein Hilferuf. Er muss sich förmlich durch die aufgeregte Menschenmasse kämpfen, bis er zu einer jungen Schwangeren (Helga Göring) durchkommt, die ohnmächtig geworden ist und dringend in die Klinik gefahren werden muss.

Es geht von der festlich erleuchteten Karl-Marx-Allee quer durch die Stadt, von manchen Hindernissen wie einem Pferdefuhrwerk oder einer von der Polizei durchgewunkenen LKW-Kolonne gebremst, ins Nordkrankenhaus, wo die junge Frau angemeldet ist. Endlich angekommen kann sie ihm noch zurufen, dass er dem Vater des Kindes, das eigentlich erst eine Woche später zur Welt kommen sollte, Bescheid sagen solle: Er heiße Engler und arbeite in der Druckerei der „BZ“, wisse noch von nichts und solle bitte ihre Sachen in die Klinik bringen.

Was nun für Klaus beginnt, ist eine seltsam bedrückende Odyssee durch ein nicht nur hektisches, sondern geradezu unwirtliches Ost-Berlin. Da ständig alle Telefonleitungen besetzt sind, muss er sich, obwohl das Ende seiner Schicht längst erreicht ist, persönlich auf den Weg in die Druckerei machen. Wo man sein Anliegen für einen schlechten Witz und den Taxifahrer selbst offenbar für meschugge hält, nimmt man die Reaktionen der gerade die aktuelle „BZ“ druckenden und zu Bündeln verpackenden Arbeiter ernst. Immerhin teilen sie ihm die Wohnadresse des Gesuchten mit.

„Rücksicht? Einsicht? Nachsicht? Ketten, die einem das Leben aus dem Leib stehlen. Schluss damit, mach dich frei – sag Nein!“: Weiter geht die fortwährend von nicht gerade sozialistisch-positiven, sondern aufmüpfig-frechen und sehr individualistischen Gedanken seiner aus dem Off vernehmbaren inneren Stimme begleitete Höllentour zu einem bewohnten Wasserturm im Prenzlauer Berg, wo sich eine betagte Nachbarin (Agnes Kraus) ebenfalls sehr über sein Anliegen wundert – allerdings im positiven Sinne. Wenn sich einer wie Klaus so um seine Mitmenschen sorge, sei die Welt doch noch nicht verloren – und der Gesuchte bei seinen Eltern zu finden.

Beim erneuten Versuch aus einer Zelle zu telefonieren, wird er von einem renitenten potentiellen Fahrgast beschimpft, als er sich weigert, diesen zu befördern. Das werde ein Nachspiel haben, er werde ihn anzeigen: „Ein Volk von verhinderten Polizisten“, so lässt sich Klaus' innere Stimme vernehmen, „sind wir schon immer gewesen. Heil uns!“ Die Eltern Englers sind heftig zerstritten, nachdem sie ihren Sohn hinausgeworfen haben - und würden es am liebsten auch mit dem hilfsbereiten Taxifahrer so halten, der endlich zur Überzeugung gelangt ist, lange genug den reitenden Boten gespielt zu haben.

Doch noch ist dieser „Spuk am Weihnachtsabend“ nicht vorbei. Die Ablösung seiner Schicht ist noch nicht da, er muss noch 'mal 'raus. Weshalb sein erster Weg zu seiner Gattin führt, die sich wenig begeistert zeigt und den Haussegen in gehörige Schieflage bringt. Zur Versöhnung seiner besseren Hälfte kann Klaus eine Verkäuferin dazu gewinnen, ihm auch noch nach Ladenschluss eine Konfektschachtel zu verkaufen. Und seine dann doch noch erschienene Ablöse (Armin Mueller-Stahl) ist bereit, ihn nach Hause zu fahren.

Spontan überlegt es sich Klaus anders: Er will die Pralinen lieber bei der jungen Mutter abliefern, wo er doch den Vater des inzwischen sicher schon geborenen neuen DDR-Bürgers nicht erreicht hat. Im Foyer trifft er zur großen Überraschung auf zwei Taxifahrer-Kollegen – und auf den überglücklichen Engler (Peter Reusse), worauf sich am Heiligen Abend im atheistischen Arbeiter- und Bauernstaat doch noch alles zum Guten wendet...

„Monolog für einen Taxifahrer“ fällt in seiner experimentellen Ästhetik und Erzählweise völlig aus dem Rahmen des damaligen Adlershofer Standards. Die geradezu anarchischen Sentenzen des nahezu fortwährenden Gedankenstroms der inneren Stimme des Protagonisten am Steuer eines Fahrzeugs sowjetischer Herkunft erzeugen ebenso eine bisweilen schwer erträgliche düster-surreale Atmosphäre wie die nervös-treibenden jazzigen Klänge (Musik: Karl-Ernst Sasse) und die gemessen am bisher Gewohnten gewagten Kameraperspektiven (Werner Bergmann).

Der nur 37-minütige, in Schwarzweiß gedrehte Defa-Film (Produktionsleiter Rudolf Kobosil) fürs Fernsehen der DDR wurde, obwohl bereits abgenommen und mit festem Sendetermin versehen, im März 1963 Opfer einer „Beratung“ des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands mit Schriftstellern und Künstlern. Er lief, aus dem Giftschrank befreit und mit Hilfe des Bundesarchivs restauriert, erstmals am 25. April 1990 im wieder „Deutscher Fernsehfunk“ genannten Fernsehen der DDR.

„Monolog für einen Taxifahrer“ ist bereits der zweite Verbotsfilm Günter Stahnkes nach der Fernsehoper „Fetzers Flucht“, ebenfalls nach einem Buch von Günter Kunert, die 1962 zum zehnjährigen Bestehen des Deutschen Fernsehfunks gesendet und zunächst von der Adlershofer Leitung mit großer Zustimmung aufgenommen worden war. Bis der Staatsratsvorsitzende Walter Ulbricht eine vernichtende Kritik zu Protokoll gab als Untermauerung einer bald um sich greifenden „Formalismus“-Debatte nach dem Vorbild des großen sowjetischen Bruders Nikita Chruschtschow.

Nach „Vom König Midas“ 1962 und seinem Spielfilm „Der Frühling braucht Zeit“, der erst nach der Premiere Ende November 1965 im Berliner „Colosseum“ in der DDR-Hauptstadt verboten wurde, obgleich er in machen Bezirken noch eine Weile gezeigt werden durfte, sollte dem experimentierfreudigen Regisseur Günter Stahnke ein Disziplinarverfahren angehängt werden auf Anweisung des DDR-Filmministers Günter Witt vom 23. Dezember 1965. Doch der Defa-Studiodirektor Jochen Mückenberger konnte das Ansinnen in einen Aufhebungsvertrag zum 31. März 1966 ummünzen. Fortan musste sich Stahnke mit leichter Kost beim DDR-Fernsehen begnügen.

Pitt Herrmann