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Die Verfilmung des gleichnamigen Bestsellers von Dörte Hansen erzählt von Ingwer Feddersen – Ende vierzig, mit einer Dozentenstelle in Kiel –, der in seine Heimat zurückkehrt, um seine Eltern zu pflegen. Das nordfriesische Brinkebüll hat jedoch mit dem Ort seiner Kindheit nur noch wenig zu tun. Das abgelegene Dorf wurde schon längst von industrieller Modernisierung eingeholt. Auch das Wiedersehen mit seinen Eltern hätte Ingwer sich anders erhofft, denn diese fühlten sich von ihm vergessen und Verhalten sich dementsprechend abweisend. Beim Versuch, sich ihnen wieder anzunähern und ihr Verhalten zu verstehen, fühlt Ingwer sich mehr und mehr in seine Kindheit zurückversetzt.
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Allerdings ist der Tante-Emma-Laden inzwischen ebenso geschlossen wie die Bäckerei und die Metzgerei. Das, was vom einst regen Leben übriggeblieben ist, findet im Gasthof S. Feddersen statt. Das „S“ steht für den Kröger Sönke, der nur noch für wenige Stammgäste wie den ehemaligen Bürgermeister von Brinkebüll, Paule Bahnsen (Dieter Schaad), hinterm Tresen steht. Und sich ansonsten um seine allmählich dement werdende Gattin Ella kümmern muss, was eigentlich nicht seine Sache ist.
Bis auf die Erben der immer weniger werdenden landwirtschaftlich betriebenen Höfe wandern die jungen Leute in die Städte ab, weil sie hier in der nordfriesischen Provinz keine Arbeit finden. Professor Ingwer Feddersen dagegen, Prähistoriker an der Universität Kiel, geht den umgekehrten Weg – wenigstens für ein Sabbatjahr. Weil Vadder und Mudder, seine „Olen“ daheim, nicht mehr allein klarkommen. Zudem ist „de Jung“ inzwischen mit 47 Jahren immer noch ledig, haust mit zwei im wahren Wortsinn alten Kommilitonen, Claudius und Ragnhild, immer noch in der einst studentischen Wohngemeinschaft und fragt sich schon länger, wo eigentlich sein Platz im Leben sein könnte.
Brinkebüll ist kaum wiederzuerkennen: der Weizen ist verschwunden, auf den Feldern ringsum wird nur noch Mais angebaut für Ökosprit. Kein Geklappere mehr auf den Schornsteinen: Bei der Flurbereinigung in den 1970er Jahren sind die Hecken platt gemacht worden, um die Felder für die industrielle Lebensmittelerzeugung zusammenlegen zu können. Was nicht nur Vögeln, sondern auch Fröschen und anderen Kleintieren den Lebensraum raubte – und damit den Störchen die Nahrung. Die meisten kleineren Höfe werden nicht mehr bewirtschaftet, das Land teilen sich wenige Großbauern.
In dieser versunkenen Welt der Kindheit bezieht Ingwer wieder sein altes Zimmer. Auch um Vadders Plan, mit Mudder nach 70-jähriger Ehe die äußerst seltene Gnadenhochzeit zu feiern, umzusetzen. Es wäre seit langem die erste große Sause in Brinkebüll: Statt der großen Familienfeiern dient der Gesellschaftssaal des Dorfkruges heute nur noch dem wöchentlichen Training der Line Dance-Gruppe seines alten Kumpels Heiko Ketelsen, der als Kind vom Pferd abgeworfen wurde und dennoch bis heute ein großer Country- und Westernfan geblieben ist.
„Ach, Mudder, das ist doch auch ein Kuddelmuddel mit uns“: Allmählich lichtet sich das Dunkel der familiären Verhältnisse als sich herausstellt, dass Marret das Kind von Ella Feddersen und Lehrer Christian Steensen (Jörg Pose), Mudders Krischan, ist. Ingwer nimmt nicht nur das mit größtmöglicher Gelassenheit hin: Sönke und Ella sind nicht seine leiblichen Eltern, sondern haben ihn als Sohn aufgenommen und großgezogen, weil seine Mutter Marret, vom nach den Vermessungsarbeiten rasch wieder verschwundenen Ingenieur Thomas (Sebastian Fräsdorf) geschwängert, immer schon zu sehr in ihrer eigenen Welt gelebt hat.
„Wie kann er mir das antun“ ist Paule Bahnsen entsetzt, als Ingwers Vadder ganz friedlich am Schreibtisch gestorben ist, Kopfhörer mit seiner geliebten Schlagermusik auf. Als Mudder ins Pflegeheim kommt, befreit sich Ingwer – endlich – von allen Verpflichtungen, die WG mit der Architektin Ragnhild in Kiel eingeschlossen: Den Dorfkrug Feddersen verwandelt Heiko in einen stilechten Farmhouse Saloon. Nun hat in Brinkebüll endgültig eine neue Zeit begonnen…
Während Dörte Hansen in ihrem satirischen 300-Seiten-Familienroman „Mittagsstunde“ von 2018, ihrem nach „Altes Land“ zweiten Bestseller, in sehr ironischem Tonfall sowohl die nun schon ein Vierteljahrhundert andauernde Kieler WG einfach nicht erwachsen werden wollender Akademiker kritisch beleuchtet als auch die Veränderungen in dem fiktiven Geestdorf, konzentriert sich der komplett in zwei verschiedenen Fassungen auf Plattdeutsch und Hochdeutsch gedrehte Film auf eine zu Herzen gehende Dorfgeschichte, die ganz von der trotz bekannter Zurückhaltung in Mimik und Gestik unglaublichen Leinwandpräsenz Charly Hübners lebt als so wortkarger wie warmherziger, im Roman übrigens spindeldürrer und sehr schüchterner Ingwer Feddersen.
Pitt Herrmann