Inhalt
Als eine Art moderne Variante des Märchens "Hänsel & Gretel" erzählt "Milchwald" von einer Frau, die in Polen ihre beiden Stiefkinder aussetzt. Während die Frau es nicht fertig bringt, ihrem ahnungslosen Mann die Wahrheit zu sagen und sich mit ihm auf die Suche nach den beiden macht, lernen die Kinder auf ihrer Suche nach dem Heimweg einen Handlungsreisenden kennen, der ihnen vermeintlich Hilfe verspricht.
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Besonders das Verhältnis zu Lea überfordert die grazile, junge, attraktive Frau, denn Lea lehnt Sylvia ab und lässt keine Gelegenheit aus, sie diese Ablehnung auch spüren zu lassen – in Gegenwart, vor allem aber in Abwesenheit ihres viel zu weichen Vaters. Bei einer Einkaufsfahrt jenseits der Grenze gehen Sylvia die Nerven durch. Im Lauf eines Streits lässt sie die Kinder im polnischen Niemandsland zumindest für eine Zigarettenpause allein zurück. Als sie die beiden wieder aufsammeln will, sind Konstantin und Lea verschwunden. Nach einer panischen und doch eher oberflächlichen Suche entlang der Landstraße fährt Sylvia nach Hause - um die Reaktionen des Gatten besorgt und zugleich erleichtert.
In der trotzigen Überzeugung, auch ohne die „Mutter“ auszukommen, haben sich die Kinder alleine auf den Weg gemacht – und in der Weite der polnischen Oderlandschaft verlaufen. Erst bei Einbruch der Nacht treffen sie mitten im gespenstisch dunklen Wald auf Kuba Lubinski, einen Lieferanten von Reinigungsmitteln für Hotels und gastronomische Betriebe. Er macht gerade Rast und nimmt sich der beiden verängstigten, hungrigen Kinder an. Doch schnell wird er ihrer überdrüssig und versucht, sie beim nächsten Polizeiposten abzuliefern. Doch in dem kleinen Provinznest findet gerade eine katholische Prozession statt und die Beamten haben für Kubas Anliegen keine Zeit.
Zu Hause hat Sylvia, hin- und hergerissen zwischen ihrem schlechten Gewissen und dem Wunsch, wieder von Josef gebraucht zu werden, alle Gelegenheiten verpasst, ihm die Wahrheit zu sagen. Bald glaubt ihr Gatte an eine Entführung, schaltet die Polizei ein und setzt eine Belohnung aus. Kuba Lubinski, der bei einer Freundin aus den deutschen Fernsehnachrichten von dem ausgesetzten namhaften Geldbetrag erfährt, wittert seine Chance und meldet sich telefonisch beim Vater. Eine Geldübergabe in Polen wird vereinbart, doch inzwischen haben sich die Kinder erneut selbständig gemacht.
Josef macht sich, von Sylvia, die ein letztes Mal ihrem Mann so nahe sein will wie zu Beginn ihrer Liebe, begleitet, zum vereinbarten Treffpunkt auf. Lubinski, der mehr durch Zufall wieder in den „Besitz“ der Flüchtigen gekommen ist, sperrt die Kinder in seinen Wagen ein. Doch Lea sinnt auf Rache – und zwischen ihr und dem „Entführer“ entsteht ein zäher Kampf...
Christoph Hochhäusler, Münchner des Jahrgangs 1972, studierte zunächst Architektur in Berlin, bevor er von 1996 bis 2002 an die Hochschule für Fernsehen und Film nach München wechselte. „Milchwald“ ist seine HFF-Abschlussarbeit und zugleich sein erster Langfilm, der am 11. Februar 2003 auf der Berlinale in der „Forum“-Reihe uraufgeführt wurde und anschließend auf zahlreichen Festivals u.a. in Montreal, Vancouver, Chicago, Hing Kong, Paris und Kapstadt lief.
Seine Übertragung des Grimmschen Märchens „Hänsel und Gretel“ in die Gegenwart fand überall begeisterte Aufnahme – durch den vollständigen Verzicht auf jegliches Pathos, durch die geradezu naturalistische Schilderung der inneren und äußeren Familienverhältnisse wie der politischen und wirtschaftlichen Situation in Polen sowie durch eine Haltung des Films, die man am ehesten mit distanzierter Verwunderung beschreiben kann.
Christoph Hochhäusler im Presseheft: „Ich habe das Märchen der Gebrüder Grimm immer als eine sehr grausame Geschichte empfunden, grausam und wahr. In dem Urtext diskutieren die Eltern ja die Möglichkeit, die Kinder auszusetzen, und die Kinder lauschen. Sie hören, was man mit ihnen vorhat. Trotzdem gehen sie am nächsten Morgen mit den Eltern in den Wald, ja sie finden sogar die Kraft, Steine bzw. Brotkrumen zu streuen, um den Rückweg zu markieren.“
Sylvia und Josef verweigern sich bestimmten Konsequenzen, weil sie „verboten“ sind. Weil die Fiktion, an der sie festhalten, das einzige ist, was sie zu haben glauben. Hochhäusler: „Überspitzt könnte man sagen, es geht um eine stumme Frau und einen blinden Mann. Natürlich können sie sehen bzw. sprechen, aber sie fürchten sich. Und das ist etwas, was ich oft beobachte: Dass Menschen eingesponnen in Fiktionen leben, unfähig, sich ihr Leben neu zu erzählen. Das ist natürlich etwas sehr Einsames. Man hält an einem Bild fest, noch nicht einmal, weil man es liebt, sondern einfach, weil man es hat.“
Pitt Herrmann