Inhalt
Zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts, in einem Dorf in Westpreußen. Dort leben Deutsche, Polen, Juden und Sinti/Roma. Der reiche deutsche Mühlenbesitzer Johann meint Sonderrechte zu haben. Der jüdische Bootsmüller Levin ist ihm ein Dorn im Auge. Er öffnet einfach das Wehr, sodass Levins Mühle weggeschwemmt wird. Die übrigen Dorfbewohner solidarisieren sich. Sie versuchen sich mit einer Klage vor Gericht zu wehren, ohne Erfolg. Die Klage wird abgewiesen, die Sinti/Roma werden verjagt, die polnischen Mühlenarbeiter entlassen, Josepha, die Predigersfrau, geht ins Wasser – zerbrochen an einer herzlosen Welt. Dennoch ist nicht alles beim Alten geblieben. Johann wird moralisch verurteilt. Der Aufenthalt im Dorf ist ihm verleidet. Er zieht weg in die Stadt. So ist sein Sieg auch eine Niederlage.
Kommentare
Sie haben diesen Film gesehen? Dann freuen wir uns auf Ihren Beitrag!
Jetzt anmelden oder registrieren und Kommentar schreiben.
Nun kann sich das Gericht nicht mehr heraushalten, doch die deutsche Obrigkeit glaubt dem „dahergelaufenen Juden“ und seiner „Zigeuner-Marie“ nicht – und Zeugen kann Levin vor den Schranken des Gerichts auch nicht vorweisen. Denn keiner im Dorf will etwas gesehen haben, zu groß ist die Furcht der Bewohner vor dem mächtigen Mühlenbesitzer Johann. Und bei der Justiz haben – ganz selbstverständlich – die Unschuldsbeteuerungen des angesehenen Johann und seiner Gattin Christina ein ganz anderes Gewicht. Zu einer Verurteilung Johanns kommt es auch deshalb nicht, weil der Mühlenbesitzer, zugleich Ältester der Baptistengemeinde, eine so geschickte wie außergewöhnliche Interessenkoalition mit dem evangelischen Pfarrer Glinski eingegangen ist. Levin muss zurück nach Russisch-Polen fliehen, aber auch Johann verlässt Neumühl, denn die bunt zusammengewürfelte Dorfgemeinschaft wird spät, zu spät, doch noch von ihrem Gewissen geplagt...
Bobrowskis mit „34 Sätze über meinen Großvater“ untertitelte Roman ist nach „Fleur Lafontaine“ die zweite Literaturverfilmung Horst Seemanns. Der Schriftsteller, am 9. April 1917 im ostpreußischen Tilsit geboren und in einer bürgerlichen Familie aufgewachsen, zog 1938 nach Berlin. Um keiner NS-Organisation beitreten zu müssen, meldete er sich als Freiwilliger bei der Wehrmacht und kehrte erst 1949 aus sowjetischer Gefangenschaft zurück. In Ost-Berlin zunächst als Lektor tätig, debütierte Bobrowski 1961 mit dem Gedichtband „Sarmatische Zeit“. Sein Roman „Levins Mühle“ erschien 1964 als zeitlos aktuelles Plädoyer für Toleranz gegenüber anderen Völkern, Religionen und Mentalitäten. Er starb im Alter von nur 48 Jahren am 2. September 1965 in Ost-Berlin.
„Levins Mühle“ scheint durch die Stilmittel des Autors, die an die filmische Schnitt- und Montagetechniken erinnern, geradezu prädestiniert für eine Leinwand-Adaption zu sein: Johannes Bobrowski stellt verschiedene Sprachschichten und Erzählstile kontrastreich nebeneinander, wobei Dialoge unvermittelt mit inneren Monologen, sachliche Berichterstattung in Alltagssprache mit lyrisch-beschreibenden Passagen wechseln. Doch Horst Seemann hat sich, gemäß seinem obersten Prinzip der Werktreue, zu sehr Bobrowskis Montagetechnik zu eigen gemacht. Die Folge: Die Handlung mit ihren zahlreichen Rückblenden und Vorgriffen auf Zukünftiges erweist sich für Zuschauer, die den Roman nicht kennen, als sehr kompliziert. Damit diese nicht den Überblick verlieren, baut der Regisseur die Rolle des Erzählers aus, was dem Film nun zeitweise den Charakter eines betulichen Plüsch-Krimis verleiht.
Und der will so gar nicht zu den harten, realistischen Bildern passen, die an den Originalschauplätzen entstanden sind. Und zu den hervorragenden Schauspielern selbst in kleineren Rollen, genannt seien etwa Eberhard Esche, Kurt Böwe, Fred Düren und Käthe Reichel, die mit den Bobrowski-Romanfiguren geradezu verwachsen scheinen. Immerhin: Horst Seemanns Film macht Lust auf die Romanlektüre. Der Regisseur hat es meisterhaft verstanden, Stil und Sprache, die Atmosphäre der Bodenständigkeit und des Melting Pot Westpreußens einzufangen. Im marxistischen Sinne hat Seemann noch ein Übriges getan, das bei Bobrowski so nicht herauskommt, aber durchaus in der Geschichte angelegt ist: Er hat den nationalen Aspekt (die Deutschen gegen alle anderen) abgeschwächt zugunsten des ökonomischen. So steht Johann zwar auch als Deutsch-Nationaler, vor allem aber als reicher Mühlenbesitzer im Zentrum des Films, der aus wirtschaftlichen Gründen dem armen Lohnmüller das Wasser abgräbt.
Die Defa-KAG Berlin hat vom knapp zweistündigen Kinofilm, der am 30. September 1982 im Dritten Programm Süd/Südwest (S 3) der ARD erstausgestrahlt wurde, übrigens noch eine 173-minütige TV-Fassung produziert, die das Fernsehen der DDR am 1. April 1983 als Zweiteiler sendete. Beim 2. Nationalen Spielfilmfestival der DDR 1982 in Karl-Marx-Stadt gabs für Käthe Reichel den Preis als Beste Nebendarstellerin und für Horst Seemann den Spezialpreis der Jury für sein Engagement gegen Intoleranz und Chauvinismus.
Pitt Herrmann