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Deutschland, Sommer 1990. Die Wiedervereinigung steht kurz bevor. In dieser Zeit des Umbruchs verlieben sich der 17-jährige Thorben aus der DDR und die 16-jährige Westberlinerin Katja ineinander. Ihre Familien, die nichts von der Beziehung ahnen, stecken derweil in einem erbitterten Streit miteinander: Denn Thorbens Familie lebt in dem Haus, in dem einst Katjas Vater aufwuchs. Nach der Flucht in den Westen wurde dessen Familie vom DDR-Regime enteignet, das Haus ging in den Besitz von Katjas Eltern über. Gemäß dem von der Regierung ausgegebenen Motto "Rückgabe vor Entschädigung" verlangt Thorbens Vater nun sein Elternhaus zurück – doch dazu ist Katjas Familie nicht bereit. Während Katjas Mutter sich vor dem aufreibenden Konflikt in eine Affäre flüchtet, finden die Jugendlichen in Thorbens Handballtrainer eine Vertrauensperson. Aber auch er hat ein Geheimnis, dessen Enthüllung den verunsicherten Teenager vollends aus der Bahn zu werfen droht.
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Sie will zu ihrem Vater Alexander, der vor einem dieser bescheidenen Siedlungshäuser in einem alten, mit Protestplakaten beklebten Wohnwagen hockt, um öffentlich seinen Rechtsanspruch an seinem Elternhaus zu bekunden: „Rückgabe vor Entschädigung“ lautet die Parole der Kohl-Regierung, mit der sie den ersten und zugleich letzten frei gewählten DDR-Ministerpräsidenten Lothar de Maizière über den Tisch zog zum Schaden mindestens Zigtausender Familien wie die Paulsens, die seit Jahrzehnten besagtes Haus in Kleinmachnow ihr eigen nennen.
Vater Erwin, Präsident der Ost-Berliner Bauakademie, hat es bekommen, als Katjas Großvater in den Westen ging. „Frei und obdachlos, was ist das für eine Freiheit“: Seine Frau Beatrice, die 24 Jahre als Produktionsleiterin in einem Volkseigenen Betrieb gearbeitet hat, steht nun auf der Straße: ein West-Unternehmen hat mit dem VEB einen Konkurrenten geschluckt, um den eigenen Absatzmarkt zu vergrößern. Damit das der ganzen Familie, zu der auch der 17-jährige Sohn Thorben gehört, nicht passiert, hat Erwin Paulsen dem Mann im Campingstuhl auf der Straße sein ganzes Vermögen angeboten – 86.000 D-Mark nach der kurz bevorstehenden Währungsunion. Doch Andreas Döhler, aufsteigender Mitarbeiter der Deutschen Bank, soll demnächst eine neue Filiale in Kleinmachnow übernehmen und malt sich schon aus, wo sein Jüngster, Katjas sechsjähriger Bruder Nils, einmal sein Kinderzimmer haben wird.
Die Auseinandersetzung eskaliert, mit ein Grund für die Eheprobleme der Behrendts: Mutter Heidi fühlt sich vom beruflich und in der Haus-Angelegenheit nun auch privat stark engagierten Gatten vernachlässigt und findet Trost und Anerkennung beim Nachbarn Thomas. Katja kann das Elend daheim nicht mehr aushalten und demoliert heimlich Papas Wohnwagen in der Gewissheit, dass ihre Mutter lieber in West-Berlin wohnen bleiben möchte. Was Thorben vom Dachfenster seines Zimmers mitbekommt – und ihr nachläuft. An der Machnower Schleuse kommt es zur ersten Annäherung, künftig ist das Niemandsland des einstigen Grenzstreifens ihr Treffpunkt nach der Schule.
Während Katja, die den an ihr interessierten Klassenkameraden Andy so kalt abserviert, dass ihre Mutter den verzweifelten Jungen tröstend bekocht, einmal Tierärztin werden will, setzt die Sportskanone Thorben ganz auf den Handball, den er beim Volkspolizei-Verein Dynamo ausübt. Sein Trainer Maik ist in der Halle ein harter Hund, aber nach dem Training ein großer Freund seiner Schützlinge. So darf Thorben schon mal im neuen West-Gebrauchten Probe fahren und erhält 185 Ost-Mark für die erste gemeinsame Nacht mit Katja in einem Hotel: „Ihr beiden seid die Zukunft, ihr bestimmt, wo’s langgeht. Es wächst zusammen, was zusammengehört.“ Woraus freilich nichts wird: am Vorabend der Währungsunion nimmt niemand mehr die Mark der DDR als Zahlungsmittel an. Als herauskommt, dass Maik als „IM Kreisläufer“ für die Stasi spioniert hat, bricht für Thorben eine Welt zusammen…
Florian Aigner schloss 2007 sein Spielfilmregie-Studium an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin mit der Dokumentation „Schweigen ist Silber“ ab. Nach zahlreichen Arbeiten für das öffentlich-rechtliche Fernsehen hat er mit „Im Niemandsland“ seinen ersten Spielfilm realisiert, den Arte am 2. Juni 2021 erstausstrahlt. In die zarte Liebesgeschichte zwischen der West-Julia und dem Ost-Romeo sind immer wieder zeitgeschichtliche Originalaufnahmen aus der „Aktuellen Kamera“ und der „Tagesschau“ geschnitten, etwa Gregor Gysis leider wahre Volkskammer-Worte von der DDR als Absatz- statt als Investitionsmarkt für West-Konzerne.
Der Autor und Regisseur im ARD-Presseheft: „Für mich bezeichnet der Titel ‚Im Niemandsland‘ nicht nur den Grenzstreifen zwischen beiden deutschen Staaten, auf dem sich das Liebespaar heimlich trifft. Der Titel beschreibt auch das zeitliche Niemandsland, in dem sich Katja und Thorben und damit die zwei Deutschlands im Sommer 1990 befinden: kein Kind mehr, noch kein Erwachsener – nicht mehr getrennt, noch nicht vereint. Hat das heutige Deutschland seine Pubertät überstanden oder steckt es noch mittendrin? Ich finde, das Genre ‚Coming-of Age‘ passt zu einem vereinten Land, das noch keine gemeinsame Identität gefunden hat. Der Prozess des Zusammenwachsens ist auch nach dreißig Jahren nicht abgeschlossen. Die deutsche Wunde brennt noch.“
Pitt Herrmann