Inhalt
Das Gruppenporträt einer 5. Landschulklasse in der DDR, gedreht im Januar 1966. Im dritten Film seiner Langzeitchronik über "Die Kinder von Golzow" (1961–2007) begleitet der Regisseur Winfried Junge seine Protagonisten im Schulalltag und während der Freizeit. Die Elfjährigen, das Mikrofon in der Hand, formulieren Wünsche, Fragen, Utopien. Im Fernsehen sehen sie Kriegsgreuel in Vietnam. Einem Ausflug an die nahe Oder, die die Grenze zu Polen markiert, folgt die Einstudierung der "Kinderhymne" von Bert Brecht: "Anmut sparet nicht noch Mühe/Leidenschaft nicht noch Verstand/Daß ein gutes Deutschland blühe ..." Frühlingsbilder stehen für Aufbruch und ein Ende der Eiszeit. Dann schwingt sich die Kamera hoch in den Himmel.
Quelle: 66. Internationale Filmfestspiele Berlin (Katalog)
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Nach dem Prolog, der eine ausgesprochen muntere Schar bei einer Schneeballschlacht sowie bei einer anschließend kollektiv bestraften Rauferei auf dem Schulhof zeigt, streift die Kamera über die Felder des Oderbruchs, nimmt einen Schwarm Krähen aufs Korn und zeigt im Gewächshaus reifende Gurken. Beim Ausflug der Fünftklässler in die Arbeitswelt geht’s u.a. um die Berufsbilder eines Arztes und eines Schweißers – ganz selbstverständlich gleichgewichtig hintereinander. Bevor dann im Hallenbad wieder ausgelassen getobt werden kann.
Einige kurze Sequenzen weisen auf die beiden ersten Golzow-Filme, „Wenn ich erst zur Schule geh“ (13 min, 1961) und „Nach einem Jahr – Beobachtungen in einer ersten Klasse“ (14 min, 1962), hin. Der Lehrer liest aus der alten griechischen Prometheus-Sage vor, ein Schüler hat für Hintergrundinformationen auch zu Heraklits Ausspruch „Alles fließt“ von daheim Meyers Neues Lexikon mitgebracht. Zu ihrer Überraschung konfrontiert Winfried Junge die Kinder mit der Bitte nach eigenen Themenvorstellungen für seinen Film. Das breite Spektrum der Antworten reicht von der Entstehung der Menschheit über die Raumfahrt zum Mond bis hin zum Vietnam-Krieg der USA.
Kurze Szenen ermöglichen Einblicke in den Biologie-, den Mathematik- und Erdkunde-Unterricht sowie, unterm Lenin-Porträt, die Russisch-Stunde. Winfried ist der Bastler der Klasse und trägt seine aktuellen Werkstücke zwecks Vorführung in der Mappe mit in die Schule. An der „Freundschaftsgrenze“ zu Polen ist die Oder zugefroren. In der Kinderhymne „Anmut sparet nicht noch Mühe“, einem von Hanns Eisler vertonten Gedicht Bertolt Brechts aus dem Jahr 1950, das im Musikunterricht gesungen wird, heißt es: „Von der See bis zu den Alpen / Von der Oder bis zum Rhein.“ Es wird später nicht mehr Bestandteil des Lehrplans sen.
Zwei Freundinnen, die einmal Schauspielerinnen werden wollen, stellen daheim vor laufendem Fernsehgerät, in dem wohl nicht zufällig gerade ein Bericht über amerikanische Kriegsverbrechen in Vietnam läuft, Unterrichtsszenen nach. Ein ängstliches Kindergesicht wird in die TV-Übertragung geschnitten. Und gleich danach ein Dackel gezeigt, der vor einem lärmenden Kindergeburtstag in Deckung geht. Auf einer Elternversammlung gestehen die Väter der Kriegsgeneration ein, selbst kaum Schulbildung genossen zu haben, weshalb sie ihre Kinder etwa bei Hausaufgaben nicht unterstützen können. Gerade noch haben die Elfjährigen Eiszapfen am Scheunendach mit Schneebällen abgeworfen, da künden erste Frühlingsboten vom Ende des Winters.
„Elf Jahre alt“, am 2. September 1966 als Kinobegleitfilm angelaufen, ist wohl der lebendigste, unkonventionellste Film der Langzeitdoku „Die Kinder von Golzow“. Er hat die 9. Internationale Leipziger Dokumentar- und Kurzfilmwoche 1966 eröffnet und wurde dort mit der Silbernen Taube (2. Kategorie) ausgezeichnet. Winfried Junge erhielt 1967 den Heinrich-Greif-Preis für „hervorragende Leistungen der sozialistisch-realistischen Film- und Fernsehkunst der DDR“ (3. Klasse).
Pitt Herrmann