Die Anwälte - Eine deutsche Geschichte

Deutschland 2007-2009 Dokumentarfilm

Inhalt

Otto Schily und Hans-Christian Ströbele gehörten zu Beginn der 1970er Jahre zu den Anwälten der linken außerparlamentarischen Opposition. In dieser Funktion vertraten sie unter anderem den militanten Horst Mahler vor Gericht. Was alle drei einte, war das Ziel, eine andere Republik zu schaffen. Den Staat BRD sahen sie als Unterdrücker politischer Freiheit und als Vasallen der USA. Heute ist Schily ein bürgerlich-konservativer Bundesinnenminister a.D. und Ströbele ein angesehener Abgeordneter des linken Flügels der Grünen, während Mahler durch seine rechtsextremen Aktivitäten abermals die Justiz beschäftigt. Der Film porträtiert die drei Männer, deren Lebenswege im Lauf der Jahre so unterschiedlich, gar gegensätzlich, verlaufen sind – und die teils sogar zu Gegnern geworden sind. Ausführlich kommen alle drei Protagonisten zu Wort, erzählen von einstigen Kämpfen und Zielen, von sich wandelnden Haltungen und veränderten gesellschaftlichen und politischen Situationen.

 

Kommentare

Sie haben diesen Film gesehen? Dann freuen wir uns auf Ihren Beitrag!

Heinz17herne
Heinz17herne
„Die Anwälte und die RAF“ steht unter dem Foto der Deutschen Presse-Agentur, dem Ausgangspunkt des auch auf der großen Kinoleinwand beeindruckenden Dokumentarfilms „Die Anwälte“. Das Foto zeigt drei Männer im Jahr 1972 in einem Berliner Gerichtssaal: Zwei Anwälte, Hans-Christian Ströbele und Otto Schily, haben einen Standesgenossen in ihrer Mitte, was aus dessen Habitus nicht hervorgeht. Bei diesem Dritten handelt es sich um Horst Mahler, den „Kopf“ des Sozialistischen Anwaltskollektivs. Er steht, jedenfalls auf besagtem dpa-Pressefoto, auf der Anklagebank des Moabiter Kammergerichts und lässt sich in von seinen beiden Kanzlei-Kollegen vertreten. Aus Solidarität trägt Christian Ströbele die Robe von Horst Mahler.

Wer diese mehr als fünfzig Jahre alten Bilder, in Schwarz-Weiß und noch recht diffuser Farbe, heute betrachtet, weiß natürlich um die Biographien der Protagonisten, und das macht die Gespräche, welche die Regisseurin ganz ohne eigenen Kommentar auf Zelluloid gebannt hat, noch spannender: Hans-Christian Ströbele gehörte lange Jahre dem Deutschen Bundestag an als direkt gewählter Abgeordneter der Grünen mit Wahlkreis in Berlin. Was ihn unabhängig gemacht hat auch von jeglicher Fraktionsdisziplin - unter Rot-Grün wie unter Schwarz-Gelb.

Ströbele mag sich innerlich weitgehend treu geblieben sein, was etwa sein Abstimmungsverhalten beim Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr gegen das Votum seiner Fraktion belegt. Aber der Bochumer Otto Schily („Nur Idioten ändern sich nicht“), den es vom Verteidiger Gudrun Ensslins und Mitbegründer der Grünen bis auf den Stuhl des Bundesinnenministers gebracht hat auf dem Ticket seiner neuen Partei SPD, würde eine solche Aussage für sich ebenfalls reklamieren. Was nichts mit seinem vergleichsweise bürgerlichen Auftreten in Schlips und Kragen zu tun hat, auf das er bereits in frühesten Tagen der Außerparlamentarischen Opposition Wert legte: Schily, dessen Stammheimer Worte „Wir führen gegenüber der Macht das Argument des Rechts ins Feld“ nichts an Aktualität verloren haben, offenbart in den Gesprächen mit Birgit Schulz ein grundlegendes Verständnis von Recht und Gewaltenteilung im Staat, auf das seit damals vier Jahrzehnten seine berufliche und politische Karriere beruht.

Und Horst Mahler, den seine Gefängnislektüre Hegel („Der Widerspruch ist das Zeichen der Wahrheit“) vom einstigen Revolutionär und RAF-Hardliner zum Nationalisten und Holocaust-Leugner gemacht haben soll, weswegen er seinerzeit eine mehrjährige Haftstrafe ohne Bewährung absaß? „Eine Tragödie“ beantwortet Otto Schily eine entsprechende Frage der Regisseurin knapp. Damit scheint alles gesagt.

„Das“ Bild ist jedoch nicht der Beginn dieser „deutschen Geschichte“ der Kölner Dokumentaristin Birgit Schulz, die einer Lehrstunde im besten, aufklärerischen Sinne gleichkommt. „Die Anwälte“ beginnen, vielleicht eine bewusste Analogie zu Uli Edels opulentem Baller-Kino „Der Baader Meinhof Komplex“ aus dem Jahr zuvor, der just zum Kinostart dieses Dokfilms TV-Premiere feierte, mit dokumentarischen Aufnahmen des Schah-Besuchs in Berlin, mit dem Mord an Benno Ohnesorg und der an Staatsterror grenzenden Polizeigewalt gegen friedliche Demonstranten. Es sind vielleicht sogar die gleichen Bilder, und doch entfalten sie hier bei Birgit Schulz eine ganz andere Qualität und Authentizität.

Weil sie gespiegelt werden durch das Zeitzeugen-Trio, das zu sehr persönlichen, intimen Bekenntnissen bereit ist in fürchterlich nüchternen Dreh-Kulissen eines Gerichtssaales. Die drei in etwa gleichaltrigen Männer erzählen von ihren Lebensträumen, die sie Ende der 1960er Jahre zusammenbrachten, von ihren Entfremdungen und Verletzungen. So mag Otto Schilys Abrechnung mit dem Rechts-Staat heute altersmilde Züge tragen, ist aber in der Radikalität des Urteils ungebrochen scharf und schließt das Bekenntnis eigener Schuld ein – und das auf beeindruckend emotionale Weise. Schon einmal, in einer Plenardebatte im Deutschen Bundestag vor laufenden Kameras, hat dieser nach außen hin immer so cool, ja oberlehrerhaft wirkende Bochumer etwas preisgegeben von seiner Gefühlswelt, aus seinen innersten Antriebskräften als Politiker: Als es um den Krieg ging und den Einsatz deutscher Soldaten am Hindukusch erzählte er unter Tränen von seiner Familie und der seiner Frau. Die 2011 mit dem Adolf-Grimme-Preis ausgezeichnete TV-Koproduktion ist am 7. Januar 2011 von Arte erstausgestrahlt worden

Pitt Herrmann

Credits

Alle Credits

Dreharbeiten

    • 01.12.2007 - 15.02.2009: Berlin
Länge:
92 min
Format:
HD-to-35mm, 1:1,85
Bild/Ton:
Farbe, Dolby SR
Prüfung/Zensur:

FSK-Prüfung (DE): 16.07.2009, 118930, ab 12 Jahre / feiertagsfrei

Aufführung:

Aufführung (DE): 01.07.2009, München, Filmfest - Neue deutsche Kinofilme;
Kinostart (DE): 19.11.2009

Titel

  • Weiterer Titel (DE) Die Anwälte - Eine bundesdeutsche Geschichte
  • Originaltitel (DE) Die Anwälte - Eine deutsche Geschichte

Fassungen

Original

Länge:
92 min
Format:
HD-to-35mm, 1:1,85
Bild/Ton:
Farbe, Dolby SR
Prüfung/Zensur:

FSK-Prüfung (DE): 16.07.2009, 118930, ab 12 Jahre / feiertagsfrei

Aufführung:

Aufführung (DE): 01.07.2009, München, Filmfest - Neue deutsche Kinofilme;
Kinostart (DE): 19.11.2009

Auszeichnungen

2011
  • Adolf-Grimme-Preis, Information & Kultur
FBW 2009
  • Dokumentarfilm des Monats
  • Prädikat: besonders wertvoll