Inhalt
Alex, zehn Jahre alt, schaut im Fernsehen einen Western. Die Helden werden in seiner Phantasie zu realen Gestalten, die nicht davor zurückschrecken, in sein Zimmer einzudringen und seine gewonnenen Sportmedaillen zu stehlen. Nicht genug damit. Auf dem Schulweg verwandelt sich sein Fahrrad in ein Pferd, die Lehrer werden zu Indianern oder Cowboys. Mit Hilfe der Indianer gelingt es ihm, seine Goldmedaillen zurückzuerobern. Als er reichlich verspätet die Schule erreicht, versucht er dem Direktor alles zu erklären. Seine Schilderungen sind so farbig, dass am Ende auch der Direktor ein feuriges Pferd zu sehen glaubt.
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Namen, die naturgemäß weder in der gleichnamigen, 1977 im Kinderbuchverlag (Ost-) Berlin erschienenen Vorlage von Gerhard Holtz-Baumert noch in Rolf Losanskys Film „Der lange Ritt zur Schule“ auftauchen, denn in völliger Verkennung enormer Vermarktungsmöglichkeiten und entsprechender Devisen-Einnahmen war Karl May in der DDR lange Zeit tabu. Und seine Werke regelrecht verboten: Sollten Kinder sie bei der Einreise ins bessere, weil humanistische Deutschland dabei haben, wurden sie ihnen kommentarlos abgenommen. Was seinerzeit beim Autor dieser Zeilen einige Tränen verursacht hat. Aber zurück zur feierlichen Schulversammlung in der Aula. Mit Gisa Schintler (dolles modisches Brillen-Ungetüm: Barbara Schnitzler) gilt es noch, eine allseits beliebte – und nebenbei noch klasse aussehende – Klassenlehrerin zu ehren. Dann ist endlich Schluss. Und Alex guckt in die Röhre, wofür er kein Verständnis hat: Gegen die älteren und notabene größeren Zehntklässler der „Von-Goethe-Schule“, die sich auf ihren knatternden Mopeds wie Bonsai-Rocker gerieren, hat er auf der Spartakiade immerhin Bronze geholt. Und dafür auch die entsprechende Anerkennung seines Sportlehrers Geisel (Frauenschwarm im flotten Cabrio: Gojko Mitić kann auch anders) erhalten. Da müsste doch eine lobende Erwähnung Duffys drin gewesen sein.
Apropos Röhre. Der kleine Schwarz-Weiß-Bildschirm daheim ist schon beim Frühstück an - und ehe er sich’s versieht, stehen vermummte Westernhelden neben Alex im Wohnzimmer. Drei Bösewichter drohen, das Spartakiade-Gold, das er noch zu gewinnen denkt, zu stehlen. Plötzlich landet das Brotmesser mit der scharfen Spitze nach unten im Küchentisch: Mit „Krummbein“ (Fred Delmare) und seinen zwielichtigen Handlangern (Hartmut Beer und Heinz Behrens) ist offenbar nicht zu spaßen, weshalb sich Alex auf sein zum Mustang mutiertes Rad schwingt und zu seinem Freund Roter Milan (parodiert sich als DDR-Indianer vom Dienst selbst: Gojko Mitić) reitet. Im Galopp geht’s quer durch die Stadt, aber wenn das Ampelmännchen „Rot“ zeigt ist „Rot“ - für Zwei- und Vierbeiner wie für Zwei- und Vierradler. Und selbst für das nur „Pferdekrüger“ genannte wodkatrunkene Transport-Faktotum Krüger, der mit seinem Zossen reparierte Möbel zum Schul-Hausmeister Sander fährt und umgekehrt kaputte Stühle zum Tischler karrt. Die Volkspolizei, dein Freund und Helfer, hat ein waches Auge auf Alex und seine inzwischen vielbeinige Schar der „guten Reiter“ (Dieter Jäger, Petr Skarke, Alfred Struwe) um Trinkfuchs (Jörg Panknin) und den „Großen Guten“ (Rolf Hoppe), die, obwohl längst dem Jungpionier-Alter entwachsen, unter dem Schlachtruf „Immer bereit“ den „schwarzen Schakalen auf den Feuerstühlen“ Paroli bieten.
In der Kleinstadt scheint ein Brand ausgebrochen zu sein. Doch es handelt sich nur um die exorbitante Qualmwolke nicht nur im Rush-Hour-Stau steckender, sondern nun auch hinter dieser Kavallerie her zuckelnder Trabis. Und dann bleibt auch noch die nagelneue Rennpappe der schicken Gisa Schintler stehen – mitten auf der Straße. Alex' Papa, der sich auskennt mit Motoren, hilft prompt und ausgesprochen gern, wie seine kaum minder attraktive Gattin mit gönnerhaft-spöttischer Miene und sein sogleich ärgerlicher Sohn mit zornigem Gesichtsausdruck bemerken. Der sich auch der Hilfe von Bullenjack versichert hat, denn nun gilt es, das Spartakiadegold vor dem Zugriff der Bösen in Sicherheit zu bringen – ausgerechnet mit Pferdekrügers arthritischem Fuhrwerk als Postkutsche. Die prompt im Tal der toten Hand überfallen wird, derweil Barkeeper Sander im Saloon von Devilshill reichlich ausschenkt, Duffy den Sheriff gibt und Gisa der strahlende Mittelpunkt unter all' den Zockern, Maulhelden und Säufern ist. Weil aber der alte Pferdekrüger plötzlich wie ein Junger schießt und ihm der Rote Milan noch gerade rechtzeitig zu Hilfe kommt, wird das Schlimmste verhindert. Nur dass Maren und Alex schon wieder zu spät in der Schule erscheinen. In der Direktor Duffy glaubt, ihn tritt ein Pferd, als plötzlich ein Mustang im Klassenflur der 1. Etage steht...
Rolf Losanskys zur Eröffnung der XII. Sommerfilmtage am 13. Juli 1982 im Wittenberger Zentraltheater uraufgeführter Kinderfilm steckt voller ironischer Verweise auf den DDR-Alltag. Und nimmt das in der Defa-Republik äußerst populäre Genre des Indianerfilms mit sehr kindlichen Streichen auf die Schippe, erinnert sei an die Schlacht mit Milchtüten im Saloon. Oder den gelben Briefkasten der Deutschen Post am Zaun der einsam im Wilden Westen gelegenen Poststation. Zum typischen Genresound Karl-Ernst Sasses, interpretiert von Jiri Brabec und der Gruppe „The Country Beat“, liefern die beiden Kameraleute Helmut Grewald und Michael Göthe tolle Bilder zwischen Traum und – möglicher – Realität. Also ein sehr erwachsener Film für die ganze Familie, gedreht in Bad Belzig, in der Lutherstadt Wittenberg sowie an der Teufelsmauer bei Weddersleben im Harz. Erstausgestrahlt am 11. August 1989 vom Fernsehen der DDR und am 26. Juni 1995 im Dritten Programm des Ostdeutschen Rundfunks Brandenburg (ORB) erstmals gesamtdeutsch über den Bildschirm geflimmert hat inzwischen der Mitteldeutsche Rundfunk übernommen, nur der Pressetext ist noch die alte Babelsberger Schule: „Es ist die Geschichte des zehnjährigen Alex, eines Jungen, der die gleichen Interessen, Sehnsüchte, Probleme und Pflichten hat wie all die anderen Jungen in diesem Alter. Aber etwas ist besonders an ihm: Alex hat eine blühende Phantasie. Seine Umwelt ist nicht einfach die Realität, sondern auch das, was er in sie hineindenkt. Sein Leben in der Phantasiewelt bedeutet aber keine Flucht, kein Sich-Zurückziehen, es dient vielmehr der Auseinandersetzung mit seinen Problemen und ihrer Bewältigung.“
Pitt Herrmann