Inhalt
Der chilenische Emigrant Rogelio lebt seit fünf Jahren in der DDR und hat nach dem Putsch gegen Allende keine Aussicht, in seine Heimat zurückzukehren. Er findet zwar Arbeit als Beleuchter an einem Theater, fühlt sich aber einsam und unglücklich, nicht zuletzt da er vergeblich die Sängerin Cornelia liebt. In den Briefen an seine Mutter dagegen zeichnet er, um sie nicht zu beunruhigen, ein ganz anderes Bild. Seine Wünsche werden darin Wirklichkeit; sogar von einer Hochzeit und einem Kind mit Cornelia berichtet er. Als ihn die Nachricht von einer schweren Krankheit der Mutter erreicht, erträgt er seine Lebenslüge nicht mehr und vertraut sich einem Freund an. Zurück in Chile findet er heraus, dass auch er getäuscht worden ist: Seine Mutter ist schon längst gestorben – ihre Briefe haben Angehörige fingiert, um Rogelio in seinem Exil den Schmerz zu ersparen.
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Das Meer, der Flur, die Soldaten - ein Alptraum des von der chilenischen Militärjunta ins Exil getriebenen Rogelio, der voller Sehnsucht nach der südamerikanischen Heimat Mitte der 1970er Jahre an seinem nur materiell gesicherten Dasein in Mecklenburg verzweifelt. Er arbeitet als Beleuchter an einem Opernhaus und ist auch nach fünf Jahren noch immer ein Fremder in der DDR.
Obwohl ihm die deutschen Kollegen durchaus Sympathie und Anteilnahme entgegenbringen. „Irgendwann geht jeder in sein Ungarn zurück“ macht die Inspizientin Luise ihm am aktuellen Beispiel des ungarischen Sängers Sandor Mut, einmal Chile wiedersehen zu können. Obwohl, träfe das ein, es sie treffen würde: Luise liebt Rogelio, auch wenn er diese Liebe bisher nicht erwidern kann.
Ist sein Objekt der Begierde doch die Sängerin Cornelia, die er freilich ohne Erfolg anhimmelt. Denn die liebt den Hornisten Felix, mit dem sie sich auch weitgehend einig ist was die gemeinsame Zukunft betrifft, welche am Ende in ein Engagement in Gotha mündet. Was Rogelio nicht so einfach wegstecken kann, weshalb er manche Dummheiten begeht. Etwa auf der Beleuchterbrücke zu rauchen und damit Feueralarm auszulösen. Oder den Kantinenwirt zu nerven, wenn er seinen Liebeskummer 'mal wieder in Rotwein ertränkt und sich wie ein bockiges kleines Kind benimmt. Was seinen Chef Reisling nur in der Ansicht bestärkt, es mit einem unsicheren Kantonisten zu tun zu haben.
Ein Bild wie von Caspar David Friedrich: Rogelio an der winterlichen Ostseeküste. Eisschollen treiben bis an den Strand. Es schneit. Der Chilene erinnert sich an seine Lagerhaft, wie ihn seine Mutter mit Essen versorgt hat. Und an den Bolivianer Ojopi, der zurückbleiben musste, als er zusammen mit anderen politischen Gefangenen in die DDR ausreisen darf. Als sie die Lastwagen besteigen, die sie aus dem Lager bringen, intonieren alle auf Spanisch die „Internationale“.
Auf dem Brüsseler Flughafen fragt ihn die Sekretärin von Amnesty International, ob er wirklich „in den Osten“ wolle – und das gleich mehrfach. Sie kann es nicht glauben: der Sozialist Rogelio will! Mit diesen Erinnerungen ist er am Strand eingeschlafen und beinahe eingeschneit, als er, glücklicher Zufall, von Stephan Hiller gefunden und mit nach Hause genommen wird. Der alte Spanienkämpfer weiß, was nun nottut: Alkohol in die Kehle und auf die Haut eingerieben. Hiller ist nach der Niederlage gegen Franco selbst ins Exil gegangen – nach Mexiko. Und spricht daher Spanisch.
Rogelios Mutter, von Onkel Alfonso unterstützt, organisiert Teestunden, um Spenden für politische Gefangene der chilenischen Militärjunta zu sammeln. Denn die müssen ihren Peinigern noch Geld dafür zahlen, dass sie von ihnen eingesperrt worden sind. In Briefen an seine Mutter schildert Rogelio ein glückliches Leben in der Emigration, in dem er seine große Liebe heiratet und mit ihr sogar ein Kind bekommt. Für das gestellte Hochzeitsfoto beim Fotografen (Peter Sodann) hat sich ausgerechnet Luise bereiterklärt, für die Soubrette Cornelia in die Bresche zu springen. Um ihm später enttäuscht endgültig die Tür zu weisen.
Rogelio verstrickt sich immer mehr in diese Lebenslüge. Ojopi ist inzwischen freigelassen und besucht Rogelios Mutter. Er ist auf Hilfe angewiesen, da er ohne Papiere, die ihm die chilenische Junta verweigert, nicht nach Bolivien einreisen kann. Onkel Alfonso stattet ihn mit dem Nötigsten aus. Eugenio vom Komitee, der mit der Deutschen Kerstin verheiratet ist, überredet Rogelio, einen Repatriierungsantrag in der West-Berliner Vertretung Chiles zu stellen. Der Konsul stellt sich zwar als ein umgänglicher Mann heraus, der schon unter dem Sozialisten Allende als Diplomat in Deutschland tätig gewesen ist, macht ihm aber wenig Hoffnung.
Auf dem Rückweg ins „andere“ Deutschland schlägt sich Rogelio in der U-Bahn mit Jugendlichen, weil diese offen Neonazi-Symbole tragen, die auch im kapitalistischen Deutschland verboten sind. Ein junger Polizeibeamter ist zwar nett und an dem chilenischen Exoten von „drüben“ interessiert, zeigt sich aber außerstande, das Trio zu belangen, während Rogelio zwanzig Mark wegen „Straßenkrawall“ zahlen muss.
Mit dem Polizisten, der sich ausgesprochen freut, einmal einem intelligenten Menschen gegenüberzusitzen, entwickelt sich ein Gespräch über den Schuldkomplex der Deutschen. Der junge Beamte vertritt einen klaren Standpunkt: Die Völker schämen sich ihrer eigenen Geschichte nicht. Warum sollten es die Deutschen tun? Deutschland bleibe Deutschland – trotz Mauer und Stacheldraht! Die deutsche Teilung sei „ein geographischer Unfall, der nichts mit der Wirklichkeit zu tun hat“: Deutschland bestehe als Gesamtheit fort.
Als Rogelio eines Tages einen Brief aus seiner Heimat erhält, der alles auf den Kopf stellt, vertraut er sich dem lebenserfahrenen Stephan Hiller an: Seine Mutter ist schwer erkrankt. Doch es stellt sich heraus, dass ihn sein Onkel Alfonso auf die gleiche Art getäuscht hat wie er seine Mutter und die Familie in Chile: die Mutter ist bereits seit anderthalb Jahren tot. Ihre Briefe wurden fingiert, um ihm in seiner schwierigen Situation in der Fremde den Schmerz zu ersparen...
Nach der gleichnamigen Vorlage des Exil-Chilenen Omar Saavedra Santis erzählt Lothar Warneke, der selbst in einer Episodenrolle als Pfarrer zu sehen ist, von großen Lügen, verlorener Liebe und der Unmöglichkeit des Glücklichseins in der Fremde selbst unter dem Banner der internationalen Solidarität: „Blonder Tango“ ist ein erstaunlich offener Film – und, was die Unterhaltung über den „geographischen Unfall“ des geteilten Deutschland betrifft, ein sehr mutiger noch dazu. Lothar Warneke im FDJ-Zentralorgan „Junge Welt“ (vom 20. April 1986) über seinen Hauptdarsteller Alejandro Quintana, der selbst vor der chilenischen Militärdiktatur in die DDR geflohen war: „Allein, wie er sich bewegt, wie er tanzt. Da geht ein Feuerwerk los. Da spürt man gleich den Atem des anderen Kontinents.“
Pitt Herrmann