Inhalt
George ist der Sohn einer weißen Siedlerfamilie in Amerika und lebt zu der Zeit, als Engländer, Franzosen und Indianer um das Land dieses Kontinents kämpfen. Eines Tages entführen Irokesen den kleinen Jungen und nehmen ihn in ihren Stamm auf. Ein gleichaltriger Junge namens Blauvogel ist gestorben und George soll dessen Platz einnehmen. Sein neuer Vater Kleinbär und seine neue Mutter Mittagssonne bemühen sich, ihn in das Stammesleben einzuführen und nach einiger Zeit gewöhnt sich George nicht nur an sein neues Leben, sondern erkennt auch die menschlichen Vorzüge der Indianergemeinschaft. Sieben Jahre später gibt es einen Vertrag zwischen den Weißen und den Indianern. Alle adoptierten und gefangenen Weißen müssen freigelassen werden. So kommt George zu seinen richtigen Eltern zurück. Doch mit dieser "neuen Welt", die auf Unterdrückung und Ausrottung der Indianer aufgebaut ist, kann George sich nicht mehr identifizieren. Er beschließt, zu den Irokesen zurückzukehren. "Der Film Blauvogel unterscheidet sich erheblich von den Indianerfilmen vergangener Jahre. Er verzichtet nahezu völlig auf die beliebten, gängigen Klischees und Standards dieser Art Filme, liefert stattdessen viel Ethnografisches, historisch exakt, sozial begründet." (Filmspiegel 1/80)
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Ulrich Weiß beginnt seinen in Bulgarien gedrehten Film mit den gleichen eindrucksvoll-realistischen Bildern wie die skandinavischen Einwanderer-Epen „Emigranten“ und „Das weite Land“: Karten und detaillierte, dokumentarisch anmutende Sequenzen beanspruchen Authentizität. Sie zeigen Einwanderer, die jahrzehntelang in ihrer europäischen Heimat als Knechte unterdrückt und ausgebeutet worden sind und nun um jeden Quadratmeter Ackerland, den sie der nordamerikanischen Wildnis abtrotzen, kämpfen – sprichwörtlich bis zum letzten Blutstropfen. Hinzu kommen sehr realistisch geschilderte Szenen aus dem amerikanischen Bürgerkrieg, der in Wahrheit ein Krieg der bisherigen Kolonialmächte gewesen ist und kein bürgerlicher Freiheitskampf. Weiß gegen Rot – das ist ein Wirtschaftskrieg auf der einen, der pure Überlebenskampf auf der anderen Seite. Ulrich Weiß ergreift Partei für die Urbevölkerung, indem er die Zuschauer mit den Augen seines Protagonisten George alias Blauvogel die eigenständige, fremde Welt der Indianer als mindestens gleichwertig zur sog. zivilisierten Welt der weißen Siedler kennen und schätzen lehrt.
Der umgekehrte Fall tritt, wieder mit den Augen Georges alias Blauvogels, ein, als der verlorene Sohn heimkehrt und das inzwischen etabliert-verbürgerlichte Leben der Siedler neu kennenlernt. Schwarze Sklaven sind nun für die schwere und dreckige Arbeit zuständig, die einstige Wildnis ist bis zum Horizont gerodet und die Weiden werden von großen Herden importierter und hier gezüchteter Schwarzbunter bevölkert – statt von Bisons und Wisenten. Wohlstand ist in die Einwandererfamilien eingekehrt, und mit ihm das Philistertum. Aus dem inbrünstigen Flehen zu Gott im Angesicht der Naturgewalten ist ein pseudoreligiöser Tischritus geworden, vergleichbar mit dem Fällen eines Baumes, das der Vater zum Einstand von seinem zurückgekehrten Sohn einfordert. Diese Forderung ist Blauvogels Schlüsselerlebnis: Bei den Irokesen hat er ein anderes Verhältnis zur Natur bekommen, hat gelernt, Pflanzen und Tiere zu achten und sich ihrer nur zum Zweck der Nahrung und zur Befriedigung elementarster Bedürfnisse zu bedienen. Für derartige Symbolhandlungen hat er kein Verständnis.
Es gibt sicherlich Kinobesucher, die „Blauvogel“ gerade am Schluss als zu pathetisch empfinden, denen der didaktischen Zeigefinger des Regisseurs Ulrich Weiß zu hoch erhoben erscheint. Doch reiht sich „Blauvogel“ ein in eine erstaunlich konsequente Indianerfilm-Tradition der Defa abseits von amerikanischem Heroenkitsch, italo-amerikanischen Western-Knalleffekten oder westdeutscher Winnetou-Romantik. Uraufgeführt am 13. Dezember 1979 im Berliner Kino International kam der Film 1980 auch in der Bundesrepublik in die Kinos und gewann im gleichen Jahr den Unicef-Preis auf dem 18. Internationalen Festival für Kinder- und Jugendfilme im spanischen Gijón. Das Fernsehen der DDR strahlte „Blauvogel“ erstmals am 13. Juli 1984 aus.
Pitt Herrmann