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Filmbiografie über den Bildhauer, Maler und Architekten Bernhard Hoetger, der zu den bedeutenden Vertretern des Expressionismus und der modernen Architektur im frühen 20. Jahrhundert gehört. 1912 gestaltet er für den hessischen Großherzog das Außengelände der Mathildenhöhe in Darmstadt, 1916 entwirft er für Hermann Bahlsen, den Erfinder des Leibniz Butterkekse, einen ganzen Stadtteil. Der Bremer Mäzen Ludwig Roselius beauftragt Hoetger 1926 mit der Neugestaltung der Böttcherstraße in Bremen, die heute ein bedeutendes Kulturdenkmal ist. Über viele Jahre für seine avantgardistische Kunst gefeiert, wendet Hoetger sich schließlich einer "nordischen Urkunst" zu. Er sympathisiert mit dem Nationalsozialismus und versucht, die NSDAP für seine von der völkisch-nordischen Ideenwelt beeinflusste Kunst zu gewinnen – ohne Erfolg: Sein Werk gilt ab 1936 als "entartet", 1943 flüchtet er in die Schweiz.
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Paris 1900. Als Meisterschüler der Düsseldorfer Kunstakademie reist Bernhard Hoetger zur Weltausstellung – und wird als Einziger seiner Klasse in der französischen Metropole bleiben. Wo bald Auguste Rodin, Pablo Picasso und Paula Modersohn-Becker zu seinen Wegbegleitern gehören. Er erkennt das Talent der jungen deutschen Malerin und fördert sie nach Kräften. Hoetger ist am wahren Leben interessiert, will in seinen Arbeiten die Persönlichkeit hinter der Fassade sichtbar machen.
Der Elberfelder Unternehmer August von der Heydt wird auf ihn aufmerksam, lockt ihn von der Seine an die Wupper. Und vermittelt ihm die Bekanntschaft mit dem noch jungen Großherzog Ernst Ludwig von Hessen, der Hoetger 1912 mit der Gestaltung des Außengeländes der Darmstädter Mathildenhöhe, einem einzigartigen Jugendstil-Ensemble unterschiedlichster künstlerischer Handschriften, betraut.
Wahrscheinlich von Paula Modersohn-Becker beeinflusst, zieht der 1874 in Hörde bei Dortmund geborene Künstler, der sich nach wie vor in erster Linie als Bildhauer versteht, nach Fischerhude. Dort findet Hoetger neue Inspirationen – und nach einem Florenz-Aufenthalt eine neue Technik: Seine von japanischen und indischen Motiven beeinflussten Majoliken treffen nicht nur in den Pariser Salons auf großes Interesse.
Nachdem der Platanenhain auf der Darmstädter Mathildenhöhe, dessen Reliefs und Skulpturen den Kreislauf der Natur einschließlich der Wiedergeburt thematisieren, fertiggestellt ist, zieht Hoetger endgültig nach Worpswede in unmittelbare Nähe von Paula Modersohn-Becker und Heinrich Vogeler. Für den Hannoveraner Fabrikanten Hermann Bahlsen entwirft Hoetger nicht nur das TET-Markenzeichen nach ägyptischem Vorbild für den besonders haltbaren Leibniz-Butterkeks, sondern übernimmt auch die Planung eines ganzen Stadtteils.
Während Vogeler nach den bitteren Weltkriegs-Erfahrungen zum Kommunist wird und aus seinem filigranen Jugendstil-Juwel Barkenhoff eine Art Landkommune macht, verschreibt sich Hoetger der nordischen Mystik und dem aufkommenden Germanenkult: Griechische oder asiatische Motive haben ausgedient bei seinen nun vor allem architektonischen Auftragswerken wie dem Sonnenhof mit dem Cafe Winuwuk in Bad Harzburg, die Bremer Böttcherstraße und die Große Kunstschau in Worpswede, beide finanziert vom Bremer Kaffeekönig Ludwig Roselius. Als Adolf Hitler zum Reichskanzler gewählt wird, tritt Hoetger während eines Rom-Aufenthaltes der Auslands-NSDAP bei. Dennoch wird seine Kunst 1937 als „entartet“ gebrandmarkt und Hoetger flieht 1943 in die Schweiz, wo er sechs Jahre später stirbt.
Gabriele Roses Hybrid aus Dokumentation und Reenactment-Szenen, welche die Vorbereitung der Gedächtnisausstellung zu Hoetgers 90. Geburtstag 1964 in Bremen und Münster nachzeichnen, besteht ausschließlich aus Originalzitaten. Zu Wort kommen neben den von Schauspielern verkörperten historischen Weggefährten und Zeitzeugen heutige Experten wie Dr. Dagmar Kronenberger-Hüffer (Barkenhoff), Cornelia Hagenah (Worpsweder Kunsthalle) und Dr. Stefan Borchardt (Große Kunstschau).
Drei große Jubiläumsausstellungen sind Bernhard Hoetger, der am 4. Mai 150 Jahre alt geworden wäre, noch bis zum 3. November 2024 in den Worpsweder Museen gewidmet, eine von ihnen unter dem Titel „Bernhard Hoetger. Zwischen den Welten“. Die nicht zufällig gleichnamige Doku-Fiktion ist am 14. März 2024 in Heinrich Vogelers zauberhaftem Worpsweder Barkenhoff uraufgeführt worden.
Pitt Herrmann