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Ex-Firmeninhaber und jetziger Tiefkühlkostlieferant Rainer Berg ist emotional so eingefroren wie die Ware, die er ausliefert. Eigentlich will er nur seine Ruhe. Zu dumm, dass sein neuer Partner, der redselige Ex-Friseur Tobias Moerer, nicht nur gern und viel plaudert, sondern Berg ihn auch erst dann loswerden kann, wenn er ihn zu einem guten Verkäufer gemacht hat. So lautet zumindest die Forderung der neuen Chefin. Eine Odyssee durch die norddeutsche Provinz, bei der sich eigentlich alles um die Auslieferung von Tiefkühlpizzen, Fischstäbchen und gefrorenen Garnelen drehen sollte, verlangt ihm deshalb jede Menge Teamgeist und noch mehr Geduld ab - nicht zuletzt, weil der Kühltransporter viel zu klein ist. Sie eröffnet ihm zwar auch die Chance, selbst wieder aufzutauen, doch damit fangen die Probleme erst richtig an.
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Was auch kein Wunder ist. Denn Bergs Vater muss, wenn nicht noch ein Wunder geschieht, bald dem sündhaft teuren Altenheim und damit auch seiner resoluten Pflegerin den Rücken kehren. Weil vom einstigen blühenden Familienunternehmen nur noch verstaubte Maschinen in einer seit Jahr und Tag aufgelassenen Werkhalle übriggeblieben sind, was Rainer tunlichst seinem Vater verschwiegen hat. Doch jetzt tickt die Uhr, auch beim körperlich gebrechlichen Papa Berg, der zunehmend auf den Rollstuhl angewiesen ist.
So hat das auf jeden Cent angewiesene „Arschloch mit guten Verkaufsquoten“ keinen Blick für die Landschaft und keinen für die Kunden, die er sich mit beißendem Zynismus vom Leibe hält. Und schon gar keinen für den neuen, unbedarften und dazu auch noch schwatzhaften Kollegen, den er ausbilden soll auf Befehl der neuen holländischen Chefin Lieke van der Stock (lacht wie die junge Romy Schneider: Elke Winkens). Die mächtig aufräumt in der Firma und mit „Happy Eskimo“ auch gleich eine neue Produktlinie kreiert: Fun Food für die junge Familie.
„Dieser Transporter ist zu klein für zwei“: Von solchen Argumenten lässt sich die vergleichsweise junge, flotte Geschäftsführerin nicht vom Weg abbringen, den ihr der ehrgeizige Europachef Weynfeld mit gehörigem Nachdruck gewiesen hat: Desto eher er Moerer zum erfolgreichen Kollegen ausbildet, desto schneller ist Berg diesen redseligen Ex-Friseur los, der das Leben nach den Küchenweisheiten, die auf seinen Teebeuteln stehen, nimmt. Und der erst einmal kleine Brötchen backen muss, was den Kundenkontakt betrifft: „Betrachte es als eine Art Fernstudium.“
Dabei ergänzen sich die beiden vortrefflich: Während Griesgram Berg nur an die Kohle denkt – und an die Restposten im Lager, als die Nachfrage nach Pangasius-Filet das Angebot bei weitem übersteigt – mutiert Menschenfreund Moerer zum Helfer in allen Lebenslagen, was zwar bisweilen etwas Zeit kostet und an Bergs Nerven zehrt, letztlich aber dem Umsatz zugutekommt. Und ganz unmittelbar auch Berg selbst: Als sein an Lungenkrebs erkrankter Vater, dem die Ärzte nur noch wenige Monate geben, seinen Geburtstag noch einmal ganz groß in seiner Firma feiern will, offenbart Moerer nicht nur großes Herz, sondern auch ein ebensolches Improvisationstalent...
Der gebürtige Dortmunder André Erkau, der für sein Langfilm-Debüt „Selbstgespräche“ mit dem Max Ophüls-Preis des gleichnamigen Saarbrücker Festivals ausgezeichnet worden ist, hat nach dem Abi Psychologie studiert, bevor er sich über eine Regie-Hospitanz am Bremer Theater zunächst der Schauspielkunst widmete samt Ausbildung in Hamburg. Erst danach erfolgte, in Köln, das Zweitstudium Filmregie – und der erste Ophüls-Preis für seinen Abschluss-Kurzfilm „37 ohne Zwiebeln“.
Erkau ist also herumgekommen, und das merkt man den zwar ungemein witzigen, aber stets aus dem Leben gegriffenen Dialogen auch an. Und den durch die Bank angeknacksten Biographien der Protagonisten: Tobias Moerer ist keineswegs der naive Glückskeks, als den er sich ausgibt. Sondern muss sich große Sorgen um seine Schwester Steffi machen, dass die Friseuse auch weiterhin durch die Hände ihrer Arbeit seine Bankschulden tilgen kann. Und selbst der so toughen jungen Chefin Lieke sitzt bald mit Petra Rose eine für die Konzernzentrale noch pflegeleichtere Konkurrentin im Nacken...
„Nicht die Kälte des Eiswürfels geht in den Wodka über, sondern die Wärme des Wodkas in den Eiswürfel“: Die staubtrockene, ungemein lakonische Tragikomödie, am 15. Februar 2013 auf Arte erstausgestrahlt, wärmt das sommerlich-heitere Herz der Zuschauer so, wie es Rainer Berg bei seinem Lieblingsdrink beschreibt. Der Misanthrop und der Daueroptimist ergeben ein Duo infernale, das von einer Katastrophe in die andere stützt und im größten Chaos lernt, sich zusammenzuraufen. Und das, durch Liebe zum Trio vereint, findet, wonach es am Anfang gar nicht gesucht hat: Selbstachtung, gegenseitiges Verständnis, Freundschaft gar, vielleicht sogar Liebe.
Pitt Herrmann