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"Weißt du, der Gedanke, dass alles vergänglich ist, der ist nicht nur traurig. Der ist auch tröstend. Ich glaube, das ist auch mit das Wichtigste, was man in einer Beziehung kapieren muss. Du gehörst zu mir, aber du gehörst mir nicht."
Jan ist davon überzeugt, dass der Mensch von Natur aus egoistisch ist. Deswegen ist er auch nicht weiter überrascht, als ihn in Berlin seine Mitfahrgelegenheit versetzt. Jule hingegen glaubt, dass der Mensch im Kern empathisch und kooperativ ist, und bietet Jan einen Platz in ihrem Wohnmobil an. Beide sind unterwegs Richtung Atlantik. Jan will nach Spanien, Jule zu ihrem Freund nach Portugal. Eigentlich soll es gemeinsam nur bis Köln gehen, doch mit jedem Kilometer eröffnet sich etwas mehr von der Welt des Anderen. Macht der Kapitalismus den Menschen zum Neandertaler? Führt Monogamie ins Unglück und kann man sich aussuchen, in wen man sich verliebt? Ein Roadtrip durch Westeuropa, lebenshungrig und romantisch, zwischen Fernweh und dem Wunsch, irgendwo anzukommen.
Quelle: 68. Internationale Filmfestspiele Berlin (Katalog)
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Mich erinnerten die sechs Folgen (á 30 Minuten) an sechs Kapitel eines Jane Austen Romans - wunderbare Dialoge und sehr anrührende Interaktionen zwischen den beiden Hauptpersonen. Hinterließ bei mir ein überaus wohlig-warmes Gefühl nach jeder Folge. Und das ohne ins seichte Gebiet der Trivialliteratur abzugleiten. Die Serie ist der eigentliche Film - man sollte sie sich nicht entgehen lassen!
An einer Tankstelle gabelt sie den gleichaltrigen Anhalter Jan auf. Der Berliner Politik-Student will nach Nordspanien, um seinen leiblichen Vater kennenzulernen. Aus anfänglicher Sympathie wird innerhalb weniger Minuten ein hitziger Streit zum Thema Suizid. Die ohnehin schon gestresste Jule verliert die Nerven und schmeißt Jan am nächsten Rastplatz wieder 'raus. Erst da dämmert es Jan, dass er bei Jule einen wunden Punkt getroffen haben muss: Ihr Bruder, von dem sie ihm zuvor erzählt hatte, hat der sich auch das Leben genommen?
Abends dann sitzt Jule allein im 303 und telefoniert gerade mit ihrem Freund Alex, als es an der Tür klopft. Draußen steht ein Mann, der völlig begeistert von Jules Oldtimer schwärmt und sich selbst zur Besichtigung einlädt. Im Wageninneren wird er jedoch plötzlich zudringlich und treibt Jule in die Enge. Glücklicherweise ist Jan, der von einem LWK-Fahrer mitgenommen wurde, auf demselben Rastplatz gelandet und kann den Angreifer nach kurzem Kampf vertreiben. Bei einer Tasse Tee im Bus versöhnen sich die beiden und finden heraus, dass sie sich eigentlich sogar ziemlich gut verstehen.
Auf dem Trip in den Süden diskutieren die beiden über Gott und die Welt – und die „Vereinzelungsstrategie des Kapitalismus“. Stammen wir vom Cro-Magnon-Menschen ab oder vom Neandertaler? Lieben wir es zu teilen oder ist die Menschheitsgeschichte ein einziges Blutbad? Benutzte Ötzi seine Axt zum Bäume fällen oder zum Töten? Mehr und mehr merken Jan und Jule, wie viel Freude ihnen das Debattieren macht, trotz oder vielleicht gerade wegen der unterschiedlichen Standpunkte. Während Jan davon überzeugt ist, dass der Mensch von Natur aus egoistisch ist, glaubt Jule hingegen, dass der Mensch im Kern empathisch und kooperativ ist. Und so heißt es dann in Köln auf die Frage „Nochmal 500 Kilometer?“: „Ja, super gerne“.
Auf einem Campingplatz im belgischen Herbeumont unweit eines römischen Viadukts kommen sich die beiden langsam näher, ihre Gespräche werden persönlicher. Auf dem Marktplatz im lothringischen Montmedy ruft Jule Alex dann doch an. Sie kann ihr Geheimnis einfach nicht mehr für sich behalten. Ihr Freund zeigt sich wenig erfreut über die Aussicht, Vater zu werden. Jule ist schwer getroffen. Jan besorgt eine Tarte aux Pommes aus der Bäckerei, die soll gegen Kummer helfen. Tatsächlich schafft er es Jule aufzuheitern. Dadurch ermutigt probiert er das mit der zärtlichen Berührung aus. Killt die wirklich Stresshormone? Es scheint fast so. Ein erstes Mal knistert es zwischen ihnen.
Durch die Champagne geht es nach Verdun und weiter durch die sommerlichen Landschaften Frankreichs. Sie genießen die Zeit miteinander beim einkaufen, kochen und sogar beim abwaschen, und beim Auf- und Abbauen des 303 sind sie inzwischen ein eingespieltes Team. Immer öfter sagen sie nichts, sondern lesen, spielen Gitarre oder klauen Mais vom Feld. Nach herrlichem Surfen an der südfranzösischen Atlantikküste ist die Nähe kaum noch auszuhalten, und Jan versucht Jule das erste Mal zu küssen. Doch noch steht Alex unsichtbar zwischen ihnen.
Sie überqueren die spanische Grenze und Jule bringt Jan ins baskische Zumaia, wo Jans leiblicher Vater als Bootsbauer in einer Werft arbeitet. Jan wagt es nicht ihn anzusprechen: Der Mann, der mit einer deutschen Touristin einst ein Kind gezeugt hat, ist ihm fremd. Er wird niemals sein Vater sein. Jule spendet ihm Trost und Jan öffnet sich ihr so weit wie noch nie. Nach einer Wanderung in der traumhaft schönen Berglandschaft der Picos de Europa stürzen sie in einen Bach. Klatschnass rennen sie lachend zurück zum Bus – und dann passierts - endlich. Die Reise geht weiter nach Portugal. Und jeder Kilometer bringt sie näher zu Alex...
Lebenshungrig und romantisch, zwischen Fernweh und dem Wunsch, irgendwo anzukommen, gelingt Hans Weingartner mit „303“ ein sehnsüchtiges Roadmovie mit magischer Anziehungskraft. Die wunderschönen Landschaftsaufnahmen werden getragen vom atmosphärischen Indie-Soundtrack Michael Regners. Die sechsteilige Serienfassung ist erstmals vom 22. bis 29. August 2021 im Bayerischen Fernsehen (Bayern 3) gezeigt worden.
Pitt Herrmann