Mit der Preisverleihung fand das 15. LICHTER Filmfest am gestrigen Sonntag seinen Abschluss. "Als Susan Sontag im Publikum saß" erhielt den Preis als bester regionaler Langfilm, der Kurzfilm "21:71 Uhr" gewann den regionalen Kurzfilmpreis. Sieger des Virtual Reality-Wettbewerbs wurde Nicolas Gebbe mit "Lockdown Dreamscape VR". Alice Brygo gewann mit ihrer Arbeit "Soum" den 12. LICHTER Art Award. Den diesjährigen Publikumspreis erhielt "On the Other Side" (Del Otro Lado) von Iván Guarnizo.
Am 15. Mai endete das 15. LICHTER Filmfest Frankfurt International mit der Preisverleihung im Festivalzentrum, dem Cantate-Saal der Volksbühne im Großen Hirschgraben. Seit dem 10. Mai 2022 zeigte das LICHTER Filmfest aktuelles Weltkino zum Thema "Freiheit", Glanzlichter des deutschen Filmschaffens, die besten Lang- und Kurzfilme der Region, Virtual-Reality-Filme und ausgewählte zeitgenössische Videokunst. Zu dem sechstägigen Programm gehörten über 70 Filme, Publikumsgespräche mit Filmschaffenden und filmpolitische Panels mit Gästen aus über 20 Ländern Europas im Rahmen des 2. Kongresses ZUKUNFT DEUTSCHER FILM. Der Kongressabschluss fand in der Frankfurter Paulskirche mit dem griechisch-französischen Regisseur Costa-Gavras statt.
"15 Jahre LICHTER bedeuten 15 Jahre buntes Filmvergnügen in Frankfurt. Dieses Jubiläum nach zwei Jahren Pandemie im Kinosaal gemeinsam mit Team, Filmschaffenden und Publikum feiern zu können, macht uns euphorisch auf das, was noch kommt. Die Festivalwoche hat uns gezeigt, dass es sich lohnt an die Kraft des Films und die Zukunft des Kinos zu glauben!", so die Festivalmacher*innen Gregor Maria Schubert und Johanna Süß.
Der regionale Filmwettbewerb
Aus zehn Beiträgen im Regionalen Langfilm-Wettbewerb wird Als "Susan Sontag im Publikum saß" von RP Kahl mit dem Weißen Bembel und einem Preisgeld in Höhe von 3.000 Euro geehrt – gestiftet von der Dr. Marschner Stiftung. Mit seinem Reenactment-Film überführt RP Kahl eine bedeutende Wegmarke des Feminismus‘ in die Gegenwart: 50 Jahre ist es her, dass der Schriftsteller Norman Mailer in der New Yorker Townhall in ein kämpferisches wie geistreiches Wortgefecht gerät – mit den vier Schriftstellerinnen und Aktivistinnen Jacqueline Ceballos, Germaine Geer, Jill Johnston und Diana Trilling. Im Publikum sitzt keine geringere als die große Intellektuelle Susan Sontag. RP Kahl reinszeniert die Debatte als Theaterstück und zeigt zugleich in aller Offenheit die kontroversen Diskussionen, in die seine Schauspielerinnen und er während der Proben immer wieder geraten: über ihre Figuren, Macht, das Frau-Sein, Sexualität und Feminismus. "Als Susan Sonntag im Publikum saß" ist ein lustvolles Plädoyer für die Streitkultur.
""Als Susan Sontag im Publikum saß" springt zwischen verschiedenen inhaltlichen und formellen Ebenen und reißt die Zuschauer*innen immer wieder aus der Komfortzone heraus. Der Film macht einen Diskurs auf, provoziert und manchmal ärgert er uns auch. Aber vor allem regt er zum Nachforschen an, zum Neupositionieren und zum lustvollen Weiterdiskutieren, zum Beispiel bei einem Glas Bier (wie der Regisseur es anregt)", so die Laudatio der Jury, bestehend aus Antonia Kilian (Kamerafrau, Regisseurin und Produzentin), Barbara Philipp (Schauspielerin) und Jakob Zimmermann (Redakteur ZDF/Das kleine Fernsehspiel).
Eine lobende Erwähnung sprach die Jury dem Kasseler Regisseur Fabian Schmalenbach für seinen Dokumentarfilm "Gemeinsam Nüchtern" aus, eine multiperspektivische Beobachtung von selbstorganisiertem Entzug auf einem Hofgut in der Nähe von Marburg. "Ohne zu romantisieren oder zu idealisieren werden die vielfältigen Herausforderungen und Reibungen zwischen Individuum und Kollektiv beobachtend erzählt. Der Film geht an den richtigen Momenten in die Tiefe und zeigt ein komplexes Bild von Menschen, die ihre Zukunft selbstverantwortlich gestalten wollen und sich dafür einer stark regelbasierten Gemeinschaft einordnen", so die Jury.
Den mit 1.000 Euro dotierten Preis für den regionalen Kurzfilmwettbewerb erhält Joey Arand mit ihrem Film "21:71 Uhr", der sich mit dem Vergessen in Form einer Demenzerkrankung befasst.
Die Jury, bestehend aus Alexandra Gramatke (Filmemacherin und Geschäftsführerin der Kurzfilm Agentur Hamburg), Karl-Eberhard Schäfer (Filmproduzent) und Peter Meister (freier Autor und Regisseur), lobt die innovative Art und Kreativität der Regisseurin, die sinnliche Erfahrung einer Demenzerkrankung zu vermitteln und dieses schwierige Thema durch beeindruckende filmische Mittel geradezu körperlich erfahrbar zu machen: "Scheinbar orientierungslos irrt die subjektive Kamera durch eine Wohnung, an deren Einrichtung zu erkennen ist: Hier hat jemand schon ein langes Leben gelebt. Suchend richtet sich der Blick wieder und wieder in die Räume, in denen sich Erinnerungsfetzen – gedreht auf 16 mm – mit immer deutlicher werdenden Zeichen des Gedächtnisverlustes vermischen: Tomaten auf dem Frisiertisch, Schuhe auf dem Küchentresen … Wir hören das Schlurfen von Pantoffeln, dazu ein Lied aus alten Zeiten. Auch auf der Tonebene vermischen sich Gegenwart und Vergangenheit.", so die Jury in ihrer Laudatio. "Es entsteht eine Melancholie, die ohne ein Fünkchen Sentimentalität auskommt."
Eine lobende Erwähnung gab es für den Kurzfilm "Getrennte Gewalten" von Joschua Keßler, der sich der Thematik NSU 2.0 widmet. "Ein Kurzfilm von bemerkenswerter handwerklicher Souveränität, der ein hochaktuelles politisches Thema treffend umsetzt, durch gute Regie und Schauspieler auch eine emotionale Ebene einführt und sich in Bildern und Ausstattung sehr hochwertig zeigt", lobt die Jury.
Der 6. VR Storytelling Award
Der LICHTER VR Storytelling Award geht in diesem Jahr an "Lockdown Dreamscape VR" von Nicolas Gebbe, der 1.000 Euro Preisgeld erhält. Eine Wohnung wird in diesem Experimentalfilm zu einem Kosmos, durch den die Zuschauer*innen schweben wie durch eine Raumstation, losgelöst vom Rest der Welt. Bekannte Formen zerfließen und werden zu etwas Neuem, doch am Ende dreht sich alles doch nur immerzu im Kreis.
Bereits zum sechsten Mal präsentierte das Festival narrative und dokumentarische 360-Grad-Filme in dem international ausgeschriebenen Wettbewerb. Die fünf Finalist*innen wurden von einer Fachjury, bestehend aus Agata Di Tommaso, Michael Gödde und Mathias Fournier, ausgewählt. Eine lobende Erwähnung sprach die Jury für "Tearless" von Gina Kim aus. Der Film zeigt in atmosphärischen Bildern ein erschütterndes Zeugnis der Opfer von Krieg und sexueller Gewalt. Ein verlassener Ort, der für das Leid der vergewaltigten Frauen im Korea-Krieg steht. Bilder, die unter die Haut gehen.
Der 12. LICHTER Art Award
Bereits am Montag wurde aus fünf nominierten Arbeiten die Gewinnerin des 12. LICHTER Art Award in der basis e.V. gekürt: Alice Brygo erhielt den Bembel und ein Preisgeld von 1.000 Euro. Die Jury des diesjährigen LICHTER Art Award, bestehend aus Cristin Müller (basis e.V.), Gunter Deller (Filmkünstler) und Saul Judd (Kurator LICHTER Art Award) betonten in ihrer Laudatio die stilistische wie auch thematische Besonderheit von Alice Brygos Arbeit "Soum".
Der Film "Soum" handelt von Inti, Jai und Pauline, die versuchen, ihren Platz in der Welt zu finden, von Generationskonflikten und Herkunft, Traditionen, Kulturen und der Suche nach der eigenen Identität in einer von kapitalistischen Strukturen geprägten Gesellschaft. Der Film oszilliert zwischen intimer Dokumentation, künstlerischer Performance und surrealistischer Inszenierung und entführt in die Welt und die intimen Abenteuer der drei jungen Protagonist*innen. Indem er Machtstrukturen hinterfragt, drängt der Film darauf einen utopischen Ort zu finden, an dem Kultur, Herkunft, Geschichte und Rituale verschmelzen und sich den ungelösten Fragen der Zukunft zu stellen. "In einer Zeit des hohen kapitalistischen Wirtschafts- und Produktionsdrucks, in der das Individuum nur noch eine Nummer ist und die Gemeinschaft ständig zu verschwinden droht, hat die Künstlerin und Filmemacherin Alice Brygo einen relevanten gesellschaftlichen Kommentar abgegeben und uns mit ihrem virtuosen Umgang mit verschiedenen ästhetischen Stilen überzeugt", lobt die Jury.
Publikumspreis Langfilm
Endlich wieder Kino mit Publikum - das heißt auch: der mit 1.000 Euro dotierte Publikumspreis ist zurück. Die Zuschauer*innen konnten bei jedem Langfilm mit 1 (großartig) bis 5 (geht gar nicht) abstimmen und haben sich für "On the Other Side" (Del Otro Lado) von Iván Guarnizo entschieden. Der autobiografische Dokumentarfilm erzählt die Geschichte seiner Mutter Beatriz, die für fast zwei Jahre während des kolumbianischen Bürgerkriegs durch die FARC-Guerilla verschleppt wird. Als sie einige Jahre nach ihrer Freilassung stirbt, finden ihre Söhne das Tagebuch, in dem sie die Zeit ihrer Gefangenschaft beschreibt. Damit begeben sich die Brüder in den kolumbianischen Dschungel auf die Suche nach dem Guerilla-Kämpfer, der ihre Mutter verschleppte.
Quelle: www.lichter-filmfest.de