Der Golem, wie er in die Welt kam

Deutschland 1920 Spielfilm

Der Golem, wie er in die Welt kam



Eugen Tannenbaum, B.Z. am Mittag, 30.10.1920, zit. nach Film und Presse, Nr. 17, 6.11.1920


Ehe über der mystischen Silhouette Alt-Prags Sterne aufflimmern und der hohe Rabbi Löw aus dem Firmament drohendes Unheil für das Judenvolk deutet, betritt Paul Wegener, Autor, Regisseur, Hauptdarsteller und Manager seines Film-Mythos "Der Golem, wie er in die Welt kam", die Bühne, im Smoking, erzählt, daß sein "Lieblings- und Schmerzenskind" schon einmal das Licht der Leinwand erblickt habe, in einem embryonalen Zustand, und daß es erst jetzt nach sieben Jahren... Der Film sei ein Markstein, propagiert Wegener. Und so weiter.

Dieser zweite Golem-Film ist ein Markstein in der Geschichte der Lichtspielkunst. Und zwar deswegen, weil er neue Beziehungen zur modernen Kunst anknüpft. Nicht wie das "Kabinett des Dr. Caligari" und "Genuine" zur expressionistischen Malerei, sondern zu einer phantastischen Architektur einer symbolerfüllten Plastik. Hans Poelzig, der Schöpfer des Großen Schauspielhauses, hat die legendäre, von Mystik durchflossene Welt erbaut, in der der jüdische Zauberer und Kabbalist Bezalel Löw dem tönernen Koloß Leben einhaucht, indem er den Stern Davids mit dem geheimnisvollen Namen des Judengottes, dem "Schem", in seine Brust legt und ihn als willenloses Werkzeug in seine Dienste zwingt. Durch diese Wunderwelt des Ghettos drängen sich enge, krumme Gäßchen voll düsterer Melancholie. Zaghaft spannen sich Brücken und Stege über dunkles Wasser. Bizarre Häusergiebel neigen sich einander zu. Abbröckelnde Mauern winden sich in Serpentinen. Märchenhafte Gänge, Treppen und Spitzenbogenfenster. Ein faustisches Studierzimmer des Geister beschwörenden Rabbi, die kalte Pracht kaiserlicher Festsäle. Alles plastische Visionen einer reichen Künstlerphantasie. (...)

Der Golem ist Paul Wegener. Von riesenhaftem Ausmaß, plump, tumb, grimmig, animalisch und dann, wenn er den Duft einer Rose in sich einsaugt oder ein spielendes Kind auf seinen Arm nimmt, von einer innigen Güte, die sich über das breite, kantige Gesicht mit den Mongolenaugen lagert, bis er tot zusammenstürzt. Von monumentaler Eindringlichkeit ist er, wenn er etwa im Schritt einer aufgezogenen Automatenfigur durch die Gassen tappt, mit eckigen, abgezirkelten Bewegungen Holz hackt oder den schweren Kopf stumm-beredt auf die Brust sinken läßt. Vor Wegeners ungestümer Kraft treten die übrigen Darsteller (voran Albert Steinrück, Ernst Deutsch, Hanns Sturm und Lothar Müthel) bei allem Charakterisierungsvermögen in den Hintergrund.



Auch als Regisseur bot Wegener eine Meisterleistung. Keine Möglichkeit der Stimmungserzeugung wird ungenutzt gelassen. So, wenn aus einem verwitterten Glockenturm plötzlich ein Vogel auffliegt, wenn eine schwarze Katze spukhaft über Dächer schleicht, wenn aus nächtlichem Dunkel Lichter brechen, oder wenn sich das Volk, durch des Kaisers Gunst begnadigt, in wildem Dankes- und Gebettaumel in der von inbrünstiger Gläubigkeit geweihten Altneu-Synagoge vor seinen Gott wirft. Um nur einige Beispiele zu nennen. Verblüffend wirkt die Vielgestaltigkeit des Schauplatzes. Es gibt kaum zwei Szenen in dieser bilderreichen Serie, die vor demselben Hintergrund spielen.

Zu dem Film hat der junge Komponist Dr. Hans Landsberger eine durchgehende sinfonische Musik geschrieben, die die Vorgänge sorgsam untermalt und unaufdringlich interpretiert.

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