Schläfer

Österreich Deutschland 2004/2005 Spielfilm

Schlafes Bruder

Endlich ein guter Film über die Stasi-Methoden: Benjamin Heisenbergs moralisches Drama "Schläfer"


Daniel Kothenschulte, Frankfurter Rundschau, 11.05.2006

Als Woody Allen seinen Film "Der Schläfer" drehte, verzeichnete der Duden unter diesem Wort noch eine Bedeutung weniger. Doch auch diese scheint im fünften Jahr des Krieges gegen den Terror merklich zu verblassen. Die Vorstellung menschlicher Zeitbomben, die in unserer unmittelbaren Umgebung ticken und wie Schlafwandler auf den Einsatz warten, wird nur noch selten evoziert. Selbst Agitatoren scheint sie nicht mehr ganz geheuer. Nicht, dass es keine Täter auf Abruf geben könnte. Aber die Metaphorik war doch allzu märchenhaft gewählt. Schon in Robert Wienes expressionistischem Stummfilmklassiker "Das Kabinett des Doktor Caligari" erweist sich der in Hypnose mordende Somnambule als Hirngespinst eines Paranoiden.

Benjamin Heisenbergs Spielfilm über den jungen Naturwissenschaftler Farid, dessen französischer Akzent seine nicht näher bestimmte Herkunft in Algerien vermuten lässt, heißt "Schläfer". Er heißt so, weil es diese Wortbedeutung nun einmal gibt für das Täterprofil, dessen der Mann vom Verfassungsschutz nach einer Rasterfahndung verdächtigt wird. Ebenso aber könnte der Film auf die selbe Weise zu seinem Namen gekommen sein, wie Christian Petzolds gar nicht unähnliches Werk "Gespenster". Auch Heisenbergs Film führt in ein Schattenreich der Projektion, und er tut es vom ersten Bild an, in dem Farins neuer Arbeitskollege durch das sonnige Berlin streift und von einer Beamtin in Zivil behelligt wird. Wie eine Wiedergeburt aus Stasizeiten wirkt diese ebenso bieder wie energisch auftretende Agentin, die bereits durch ihr Erscheinungsbild dazu prädestiniert scheint, sich in besseren Zeiten gleich wieder in Luft aufzulösen. Die aber sind nicht in Sicht, denn, obwohl wir die aufgebotene Verführungskunst zum Vertrauensbruch für historisch halten wollen, befinden wir uns mitten in der Gegenwart.

Wie Integrität Korruption gebiert

Ein beklemmendes Gefühl wie im gut gemachten Science-Fiction beschleicht den Zuschauer. Befinden wir uns etwa in den Wohlstandsdiktaturen von "Fahrenheit 451" oder "Minority Report", oder in einer Welt, die aussieht wie unsere, nur eben mit einem intakten Staatsicherheitsapparat? Der politische Mut von Heisenbergs Vision besteht darin, keinen Unterschied zu machen zwischen den Methoden der Geheimdienste. Es geht um Konspiration, das Säen von Argwohn und Neid, das Vergiften von Freundschaft zum Zweck der Spionage. Es ist seine Gegenwärtigkeit, die den Bezug zu den schlimmsten deutschen Zeiten so deutlich macht.

Das glänzend geschriebene Drehbuch erreicht diesen Effekt, indem es in der Figur des jungen Arbeitskollegen eine geradezu liebenswert-lebensechte Normalitätsikone zeichnet. Dieser schlecht angezogene, liebevoll seine kranke Großmutter umsorgende Spätentwickler wäre in den Händen typischer Kinobehandlung eine Karikatur des typischen Biologiestudenten aus der Mensaschlange. Irgend jemand der das fade "Essen drei" kritiklos runterkriegt. Doch die Karikatur findet nicht statt. Der junge Mann mag ein Neidhammel sein, als der besser aussehende und begabtere Farid mehr Glück hat bei der netten Kellnerin und der Publikation der Forschungsergebnisse. Dennoch mag der Zuschauer den potentiellen Verräter nicht gleich aus seiner Freundschaft entlassen, die doch 100 Minuten dauern sollte. Allein aus der Diskretion der psychologischen Beobachtung erklärt Heisenberg, was "Das Leben der Anderen" nur auf dem Umweg der Kolportage schafft: wie Integrität Korruption gebiert. Und wie Diktaturen in der Basis funktionieren.

Doch der Film hat mehr als diese eine Qualität. Der gelernte Bildhauer Heisenberg ist ein Meister in der Gestaltung des Bildraums. Die Breitwandbilder seines Kameramanns erzeugen keine Weite, sondern binden ihre Figuren ein in ein eng gebautes System, das von horizontalen Fahrten durch funktionale Bauten bestimmt ist.

Ein Schläfer des Filmbetriebs

So fügen sich die Figuren in ihre fremdbestimmten Wege ein wie Schachfiguren einer vorgezeichneten Partie. Emotionale Freiräume verlangen den vollkommenen Ausbruch: den Ausflug in eine Gokart-Bahn, den Besuch einer Musikperformance. Doch es bleiben Inseln innerhalb des Systems, wie es – um die Interpretation ein wenig weiter zu treiben – nun einmal auch in Diktaturen Kunstoasen gibt.

Schläfer gibt es auch im Filmbetrieb, allerdings sind sie dort weniger gefährlich. Ein "Sleeper" ist ein Film, der lange unbemerkt zirkuliert, bis er schließlich die breite Öffentlichkeit erreicht. Ein Jahr lang kennt die Fachwelt diesem meisterhaften Film aus Deutschland, den besten der Saison, der immerhin, das schafft nicht jeder, in einem offiziellen Programm des Filmfestivals von Cannes gezeigt wurde. Hierzulande konnte man ihn zum Beispiel auf dem Filmfest Ludwigshafen sehen, und fast wäre er auch für den deutschen Filmpreis nominiert worden. Dann aber verloren sich die Spuren.

Der Filmstart wurde mehrmals verschoben, bis das thematische Pulver, das er enthält, von anderen verschossen schien. Wer eine Vorlage suchte für eine Debatte über latenten Rassismus im intellektuellen Bürgertum, der fand sie in Michael Hanekes ebenfalls in vieler Hinsicht bemerkenswertem Film "Caché". Die Erinnerung an die Staatssicherheit und die Funktionsweise der Verführung brachte wiederum "Das Leben der anderen" auf die Tagesordnung. Auch wenn Heisenbergs "Schläfer" wohl nie veraltet, sollte man ihn sehen, bevor er alt wird. Machen wir es ausnahmsweise wie die Stasi: Lassen wir ihn nicht mehr aus den Augen.

© Daniel Kothenschulte

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