Dr. Mabuse, der Spieler I: Der große Spieler. Ein Bild der Zeit
Dr. Mabuse, der Spieler
F–n., Film-Kurier, Nr. 96, 28.4.1922
Das Geheimnis des durchschlagenden Erfolges, den gestern Abend dieser erste Teil des "Dr. Mabuse" erzielte, scheint mir in erster Linie darin zu liegen, daß es sich um einen typischen Zeitfilm handelt. Historische Filme haben oft mit ihrer Kostümpracht von vornherein rein bildmäßig viel für sich, aber es fehlt ihnen doch zumeist das unmittelbar Packende des aus der heutigen Zeit entstandenen Films. Hier dagegen erkennt das Publikum sich selbst in seiner Umwelt wieder und – – freut sich.
Dieser Dr. Mabuse ist laut Inhaltsangabe des Programms der Typ, das Abbild eines genialen Verbrechers, vielleicht ist er sogar noch mehr, nämlich der Inbegriff unseres heutigen Zeitgeistes, wie ihn die Nachkriegszeit geboren hat. Ein Genie ist er auf alle Fälle und nicht das einzige dieses Werkes. Noch lebenswahrer ist jener Besitzer eines Nachtlokals gezeichnet, der als Verkäufer von Hampelmännern seine glänzende Laufbahn begann, hinter Gitterfenstern über die Kriegszeit sicher hinwegkam und jetzt der große Mann ist. Treffend ist auch das Leben in unseren großstädtischen Nachtlokalen geschildert, mit Tänzerinnen, solchen und noch anderen, versteckten Spielklubs, Kokainhöhlen usw. Eines dieser mondänen Nachtlokale ist in etwas reichlich gesuchter Raffiniertheit ausgestaltet; eine versenkbare Decke verwandelt im Falle eines "Falles" in wenigen Sekunden den Spielbetrieb in harmlosen Tanzbetrieb. Über alledem schwebt Dr. Mabuse in seinen vielfachen Gestalten; er ist ein Allerweltskerl, überall reichen seine Verbindungen hin. Die Börse kontrolliert er ebenso wie die nächtlichen Spielhöllen, und wenn es mal schief geht und die Polizei erscheint, so weiß er sich immer noch eben zur rechten Zeit aus dem Staube zu machen. Kurz, er erfüllt wirklich alle Bedingungen, die man billigerweise an solch ein Genie stellen muß. Wenn er der "Große Spieler" genannt wird, so soll das nicht etwa heißen, daß er mit schoflem Gelde spielt und nur der Held der Spielklubs ist, er spielt vielmehr mit Menschenschicksalen und dabei unbewußt am grausamsten mit sich selbst.
Genial kann man auch die technische Ausführung des Films nennen. Die von Stahl-Urach und Otto Hunte stammenden Bauten sind in jeder einzigen Szene eigenartig und modern. Neuartige Auffassungen sind hier sehr glücklich kombiniert, ein erfreuliches Zeichen für die Blüte unserer Filmarchitektur. Dazu kommt die Photographie mit ihrer virtuosen Behandlung von Licht und Schatten. Einen Sonderapplaus holten sich ein paar im Atelier aufgenommene Nachtszenen, die ebenso verblüffend wirkten, wie einige andere Tricks, so z.B. der größer und größer werdende Kopf Dr. Mabuses, der mit beängstigend stierem Blick ins Publikum starrt.
In der Darstellung schuf zunächst Rudolf Klein-Rogge in der Titelrolle eine überragende Leistung: mit seinen vielfachen durchweg gelungenen Masken steht er geradezu beispiellos da. Aber er war nicht nur leere Maske, auch seine Mimik war ungemein ausdrucksvoll. Die zweite Glanzleistung hat Aud Egede Nissen, die man hier zum ersten Male in den ganz großen Rahmen stellt, der ihr gebührt. Sie gab die Tänzerin Cara Carozza mondän, mit höchstem Raffinement und doch seelenvoll. Gertrud Welcker dagegen kam nicht über ihren problematischen Augenaufschlag hinaus. Bernhard Goetzke gab einen eindrucksvollen Staatsanwalt, Paul Richter einen jungen eleganten leichttragischen Lebemann, Forster-Larrinaga den dekadenten kokainsüchtigen Sekretär Mabuses. (...)