Dr. Mabuse, der Spieler I: Der große Spieler. Ein Bild der Zeit
Dr. Mabuse, der Spieler
Vorwärts, Nr. 203, 30.4.1922
Der Film als Zeitarchiv. Das ist immerhin etwas Neues. Die Reflexe einer Epoche werden in Zelluloid verewigt, im bewegten Bild für die Nachwelt konserviert, der sie mit weitaus größerer Unmittelbarkeit, als dies ein Buch vermöchte, den Rhythmus unserer Gegenwart vermitteln werden. So ist der Uco-Decla-Bioscop-Film gemeint, den Thea von Harbou nach dem Roman "Dr. Mabuse" von Norbert Jacques geschrieben hat. Man sah ihn im Ufa-Palast am Zoo. Dr. Mabuse, eine reichlich romantische Erscheinung, ist als eine nur aus der Gleichgewichtslosigkeit der allergegenwärtigsten Zeit abgeleitete Figur gemacht. Als ein Mensch, der in einer Wüste von Schwächlingen, von degenerierten Geschöpfen und direktionslos Zerflatternden, durch den ungeheuren Willen zur Macht alle Menschen beherrscht. Ein Spieler, der mit Geld, mit Schicksalen spielt. Es könnte Imponierendes in einer solchen Gestalt sein, – Dr. Mabuse, der Spieler, ist aber nicht als unsozialer Individualist, sondern als gemein berechnender Verbrecher gezeichnet. Das Mittel zur Macht liegt in nichts weiter als in einer bis zur Unwahrscheinlichkeit, ja Unmöglichkeit karikierten hypnotischen Begabung. Man glaubt ihm seine Machtsiege nicht und erkennt nur seine Überlegenheit gegenüber der Filmzensur, der er das ehrwürdige Vorurteil gegen alle Hypnose im Film erfolgreich wegsuggeriert hat. Seine Taten im Rahmen einer nicht gerade sehr klar aufgerollten und nicht gerade dramatisch-logisch geführten Handlung schlagen bald das Tempo einer nicht übermäßig spannenden Detektivgeschichte an, in der ein ziemlich ratloser Gegenspieler nicht einmal das befreiende Lächeln über widerstandslos triumphierende Hetzereien der Allerweltsdetektivstreifen zuläßt.
Der Reiz des Films liegt also auf anderem Gebiet: eben in der organischen Einflechtung typischer Zeiterscheinungen in die Begebenheiten. Das Schieber- und Dirnentum der Gegenwart, die Razzien und Aushebung von Spielklubs, die ganze Spielwut der Zeit, der Börsentaumel, der okkulte Schwindel, der nächtliche Schlepperdienst, die Verlogenheit einer entarteten Gesellschaft, all das ist geschickt verewigt.
Der Regisseur Fritz Lang, der, oft auf schwankendem Boden stehend, durchaus Qualitätsarbeit geleistet hat, gestaltete gerade dieses Zeitkolorit mit großer Hingabe und mit starker Beobachtungskunst.
Eine wahre Freude und Überraschung bedeutet die Photographie von Carl Hoffmann. Er hat endlich die gelungene, verblüffende Nachtaufnahme dem Film erschlossen. Er hat, ohne daß auch nur ein Bild viragiert, mit Farbe getönt worden wäre, rein auf Stimmung hin photographiert und trotzdem feinste Schattierungen erzielt. Einige Einfälle sind von größtem Reiz, so die jagend auf den Zuschauer zustürzenden Augen des Dr. Mabuse, die suggestiv immer größer werdende Schrift, der Blick durch ein Opernglas, der parallel mit der Einstellung des Glases aus dumpfen Schleiern sich zur Klarheit weitet. Dieser Film gehört dem Photographen.