Das Leben beginnt

DDR 1959/1960 Spielfilm

Noch einmal: "Das Leben beginnt". Bemerkungen zu unserer Leserdiskussion


Rosemarie Rehahn, Wochenpost, Berlin/DDR, 2.7.1960


(…) Der Film hat eine spannende Fabel, vor allem aber sind es die vielschichtigen Charaktere, die den Zuschauer fesseln, Menschen, die irgendwo in seiner Umgehung leben oder leben könnten und deren Reaktionen, Versagen und Bewährung er mit wachsender Anteilnahme verfolgt. Da ist der Arzt, der den Kräften des Gestern zu fest verhaftet ist und mit ihnen politisch-moralisch zugrundegeht, Tragödie des bürgerlichen Intellektuellen, der, einmal von Hitler missbraucht, sich nun von Adenauer mißbrauchen läßt. Eine interessante Studie von Wilhelm Koch-Hooge, deren Aussage allerdings durch leise Mitleidstöne etwas verschleiert wurde. Da ist der andere Vater, einst Bauarbeiter, heute Direktor einer Oberschule, ein Mensch, der das Neue vertritt, aber noch nicht auf neue Weise. Begreiflicherweise spielte gerade diese komplizierte Gestalt in unserer Diskussion eine besondere Rolle. Einige Leser kritisierten sein Verhalten. Zu Recht. Der Film selbst tut das auch. Er tut es in der ihm eigenen unauffällig überzeugenden Sprache, indem er den Mißtrauischen durch das saubere Verhalten des Sohnes ins Unrecht setzt. Andere Leser aber bezweifelten, daß es solche Genossen überhaupt gäbe, und wenn ja, dann nicht in dieser Funktion. Aber ist der Schuldirektor nicht gerade in seinen Widersprüchen eine für unsere Zeit typische Gestalt? Wurde sein Wesen nicht geprägt in finsteren Jahren, über die Brecht so ergreifend sagt: "Ach, wir / die wir den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit / konnten selber nicht freundlich sein. / Ihr aber, wenn es soweit sein wird / daß der Mensch dem Menschen ein Heller ist, / gedenkt unserer mit Nachsicht"? (…)

"Das Leben beginnt" verlangt einen aktiven, mitdenkenden Zuschauer. Hier läuft nichts nach Schablone. Doch stets spiegeln die individuellen Schicksale und Charaktere gesellschaftliche Gesetzmäßigkeiten wider. Welch schöne Beziehungen z. B. zwischen dem bürgerlichen Arzt und seiner Tochter – welch unharmonische zwischen dem Genossen und seinem Sohn. Als es hart auf hart geht aber reißt das traute bürgerliche Familienband, wird die Leere der Konvention sichtbar. Das Mädchen steht allein. Zur gleichen Zeit bringt die entscheidende Stunde Vater und Sohn zusammen, denn hier gibt es ein wahrhaft unlösbares Band: die gemeinsame sozialistische Weltsicht. (…)

Kurt Stern und Jeanne Stern, Nationalpreisträger und Träger des Weltfriedenspreises, wohl die anspruchsvollsten unter den DEFA-Autoren, haben hier nach ihren Filmen "Das verurteilte Dorf" und "Stärker als die Nacht" ein neues preiswürdiges Buch geschaffen. Unter den Händen des knapp dreißigjährigen hochbegabten Regisseurs Heiner Carow wurde daraus ein suggestives Filmwerk, das uns mit Doris Abesser und Erik Veldre als Liebespaar 1960 schenkte. Ein Film, der es dem Zuschauer nicht leicht macht, der Fragen stellt und Antwort verlangt. Er gibt kein Schema des Lebens, sondern greift mitten hinein in unsere schwere und schöne Wirklichkeit. Doch auch hinter Unfertigkeiten, hinter Irrtümern und Schwachen wird die große sozialistische Perspektive sichtbar.

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