Pugowitza

DDR 1980/1981 Spielfilm

Das Kriegsende als Idylle missdeutet



Heinz Kersten, Der Tagesspiegel, Berlin, 19.7.1981



Krieg und Kriegsende aus der Sicht eines Kindes: das ist im Film .nicht neu. Der große Russe Andrej Tarkowskij gab dafür mit seinem unvergessenen Kinodebüt "Iwans Kindheit" ein Beispiel. Als neuester Berliner Beitrag zu diesem Thema war Ottokar Runzes "Stern ohne Himmel" zu sehen; im vergangen Jahr reflektierte Michael Verhoeven in seinen "Sonntagskinder"n das Kriegserleben von Halbwüchsigen an der seinerzeit sogenannten "Heimatfront", und schon vorher hatte Edgar Reitz in "Die Stunde Null" das Kriegsende und die ersten Erfahrungen mit dem neuen Frieden unter fremder Besatzung aus dem Blickwinkel von Teenagern (die man damals allerdings noch nicht so nannte) geschildert


In der DDR gab es vor drei Jahren Ralf Kirstens "Ich zwinge dich zu leben", mit einem von Nazi-Parolen verblendeten Schüler im Mittelpunkt, den sein Vater in den letzten Kriegstagen gewaltsam daran hindern muß, noch als letztes Aufgebot das Leben zu riskieren. Peter Welz, der damals diesen Jungen spielte, erscheint jetzt wieder auf der Leinwand: in "Pugowitza", der DEFA-Verfilmung des gleichnamigen Romans des DDR-Autors Alfred Wellm. Diesmal verkörpert er die Nebenrolle eines Deserteurs, den Hitlers Feldgendarmen noch kurz vor Kriegsende am nächsten Baum aufknüpfen, Heinrich, der kleine Held des neuen Films, gerät unberechtigt in den Verdacht, ihn verraten zu haben. Denn auch sein Kopf steckt noch, voll vom Unrat der braunen Propaganda. Erst dem alten Komarek, einem Fischer aus Ostpreußen (wie Alfred Wellms Vater), gelingt es, davon etwas auszumisten. Ihm hat sich der elternlose Junge im Zug der Flüchtlinge auf der Landstraße angeschlossen, nachdem seine Mutter unterwegs gestorben ist, der Vater fiel schon in Afrika.



Komarek wird für Heinrich so etwas wie ein Vater-Ersatz und ein Vorbild. Von ihm lernt er auch ein paar russische Worte. Pugowitza – die Bezeichnung für Hosenknopf – gefällt ihm besonders, und damit hat er auch bald seinen Spitznamen weg: von den ersten Rotarmisten, die dem Jungen begegnen und bei denen er seine bescheidenen Sprachkenntnisse anbringt. Sie nehmen sich des allein in einem märkischen Dorf Zurückgebliebenen an (…)



Eine rührende Geschichte, die zwar ohne Sentimentalität erzählt wird, aber zunehmend zur reinen Idylle gerät und von den wahren Problemen und Lebensumständen der schweren Zeit nach dem Kriege kaum etwas vermittelt. In Babelsberg war man mit diesem Thema schon einmal viel weiter. Erinnert sei nur an den auch bei uns im Fernsehen gezeigten Film "Ich war neunzehn" von Konrad Wolf, der einer falschen Legendenbildung um jene Zeit entgegentreten wollte. Die wird jetzt mit "Pugowitza" eher wieder gefördert. Der hier möglicherweise angestrebte Stil einer bewußten Filmlegende ist nämlich am Endergebnis nicht erkennbar.



Ein gutes Darstellerensemble stand zur Verfügung, aber es gelingt ihm nicht, den zu vage angelegten Figuren wirklich Leben einzuhauchen. Ausnahmen bilden lediglich der vom Direktor des Jüdischen Theaters Warschau, Szymon Szurmiej, verkörperte Komarek und der Junge Axel Griesau, dem es erstaunlich gelingt, hohe Anforderungen an die emotionale Ausdrucksfähigkeit des kleinen Titelhelden zu erfüllen. Jürgen Brauer, der bei der Realisierung dieses Stoffes für einen anderen einspringen mußte, hätte man im übrigen ein überzeugenderes Regiedebüt gewünscht. Als Kameramann bewährte er sich in zwanzig Filmen, von denen manche, wie "Die Legende von Paul und Paula", "Ikarus" und "Das Versteck", auch bei uns bekannt wurden. Für ein Thema, wie es "Pugowitza" anschneidet, sind ein paar schöne Landschaftsaufnahmen zu wenig.

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