Fallada - Letztes Kapitel

DDR 1987/1988 Spielfilm

Fallada – Letztes Kapitel


Henryk Goldberg, Filmspiegel, Berlin/DDR, Nr. 13, 1988
(…) Hans Fallada, der Trinker, der kleine Mann, der immer wieder aus dem Blechnapf frißt. Fallada, Schaf unter Wölfen, bis er verzweifelt selbst zu heulen anhebt: Und daran erstickt. Brennendes Sehnen nach Harmonie, sich brechend an den Umständen der Welt und denen der eigenen Ernst. Leben als ein schmerzender Rausch, dem zu fliehen nur anderer Rausch taugt: Morphium, Alkohol, Frauen. Und Schreiben. Schreiben als Versuch, Leben zu bewältigen, ein Höhenflug, den Niederungen eigener ungelebter Träume zu entrinnen. Zeit vergessen und ahnend vorempfinden die Härte des brechenden Aufschlags. Scherben kitten mit verzweifeltem Hoffen und wissen doch: Der Riß geht durch die eigene Brust. Und ist von jener An, die zu betäuben ist, zu heilen nicht.

Roland Gräf, der hier, mit dem sehr genauen, prägenden Szenarium von Helga Schütz, wohl seinen bislang besten, dichtesten Film inszeniert und ganz vorn angekommen ist – thematisch wie ästhetisch – sagte einen Satz, der die Haltung gegenüber der Figur bezeugt, der aber wohl zugleich ein darüber hinausgreifender Grund-Satz ist: "Leben eignet sich nicht zum Besserwissen." Rezepte taugen für Küche und Krankenhaus, fürs Leben nicht.

"Fallada – Letztes Kapitel" setzt in Text und Inszenierung – zwischen denen ich nicht eine Handbreit Luft verspüre –, in seinem fragmentarischen Erzählen Kenntnis voraus. Diese angenommen, ist er dicht, berührend und distanziert zugleich. Ich verstehe diesen Mann in seiner Tragik, nehme ihn an und nehme Anteil, aber er vereinnahmt mich nicht, beläßt die Chance, das eigene Leben einzubringen gegen dieses Fremde, das lange Sterben gerät nicht zum morbiden Sog, nah und fern in einem. Dies ist die künstlerische Mitte der Inszenierung für mich, ihre große Leistung.

Und Jörg Gudzuhn, ein Mann, der immer besser wird, für den man Rollen schreiben muß. Wie der verzweifelte Griff nach dem Leben in seinen nervigen Händen fiebert, wenn er einen Apfel greift, wie der Sturm in seiner Brust das Gesicht mit tiefen stillen Wellen peitscht, wie er lautlos zusammenfällt in sich mit der leisen beiläufigen Endgültigkeit verfliegender Asche, das hat ein Format und eine künstlerische Kraft, die nicht nur vom Handwerk kommt. Kunstausübung dieser Art kommt von ganz tief innen her, das macht ihre Aura, ihre Wirklichkeit.

Und Jutta Wachowiak, Kathrin Saß: Zwei Pole eines Lebens. Die mütterlich-bergende Wärme, die brennend lockende Hitze. Zwei Haltlose, einander haltend auf ihre Weise, so ist einer dem anderen gleich, kein Samariter. Er sagt Maiglöckchen zu ihr, sie nennt ihn ihren Mann. Es stimmt und auch wieder nicht, sie ahnen es, doch was macht das schon? In einem letzten Kapitel ist jeder falsche Satz vielleicht der Richtige: wenn er nur hilft.

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