Fallada - Letztes Kapitel
DDR-Filme. Zwiespältige Schicksale
Brigitte Jeremias, epd Film, Köln, Nr. 4, 1989
Die DDR war im Wettbewerb mit zwei prominenten Filmen vertreten, mit "Fallada – letztes Kapitel" von Roland Gräf, der als bester DDR-Film des Jahres 1988 gilt, und mit einer der noch immer seltenen Co-Produktionen der DEFA mit dem Westen, mit "Pestalozzis Berg", inszeniert von dem Schweizer Peter von Gunten. n Der Film von Roland Gräf und seiner Mitarbeiterin Helga Schütz behandelt die letzten Lebensjahre (1937 bis 1947) des Schriftstellers Hans Fallada. Rudolf Ditzen, Beamtensohn aus Greifswald, hatte sich den Künstlernamen Fallada zugelegt. Vor der Naziherrschaft zog er sich an einen mecklenburgischen See zurück. Gräfs Kameramann (Roland Dressel) beginnt und endet seinen Film in einer von Gesträuch bewachten und von Wasser durchzogenen Landschaft, so friedlich, wie wir sie heute im Westen kaum noch kennen. Der richtige Platz für einen Schriftsteller ohne Eitelkeit, vom Typ her fast bäuerlich, von einer ernsthaft liebenden Frau (überzeugend Jutta Wachowiak) umsorgt. Mit Falladas aus Verletzlichkeit und Depression überfallartig hervorbrechendem Jähzorn werden wir zum ersten Mal bei einem Mittagessen konfrontiert. Der alternde Dichter stößt den Tisch um und brüllt: "Halb eins wird in diesem Hause gegessen, nicht fünf nach halb." Gläser und Geschirr splittern, mit blutigen Händen rennt Fallada zum Dienstmädchen Anneliese, heult, starrt vor sich hin, umarmt sie jäh. Das Sich-hinein-Steigern in den Wahnsinn, unterstützt von Rotwein, Veronal und Rauschgift, wird von Jörg Gudzuhn, einem prominenten DDR-Schauspieler, überzeugend dargestellt. Am Ende, wenn die Russen da sind, ihn mit reichlich Wodka dazu gebracht haben, eine Rede zu halten, ja sogar, das Bürgermeisteramt der benachbarten Kleinstadt anzunehmen, wird einem das Delirium des Drogensüchtigen zu viel, zumal Falladas Wahnsinn noch mit sentimentaler Musik unterlegt wird: "Frag nicht, warum ich gehe, frag nicht, warum …", obendrauf noch gesetzt Sibelius" "Valse triste". Frauen zermürben den alternden Fallada vollends: die zwielichtig schicke und berechnende Sekretärin, die ihn bei der SS denunziert, dann wieder vor dem Verrat zurückschreckt (Corinna Harfouch), das Wiesenblumen-Dienstmädchen (Ulrike Krumbiegel), zum bitteren Ende: die reiche, freche, vor allem selbst drogenabhängige Ursula Losch (Katrin Sass), die Fallada in zweiter Ehe heiratet. Des Dichters Träume, die zurückgehen zur ersten Frau Anna, sind in Schwarzweiß gehalten, durchbrechen, expressionistisch verfremdet, den Realismus des Films. Übrigens zeigt Gräf die Russen nicht mehr als die hehren Helden und großen Brüder, sondern als recht rauhe Gesellen ohne jeden DDR-Heiligenschein. Ein passabler Film, leider gegen Ende auch zu viel Pathos: Im sich erhellendem Landschaftsbild erscheint das von Drogen zerstörte "Antlitz" des Dichters von "Kleiner Mann, was nun" und "Wer einmal aus dem Blechnapf frißt" märtyrerdurchfurcht.