Deutsch-polnische Trostlosigkeit
Katharina Dockhorn, filmecho/filmwoche, Nr. 31, 02.08.2003
Hans-Christian Schmid, Jahrgang 1965, inszenierte im Herbst 2002 Episodenfilm "Lichter", der die Schicksale verschiedener Personen im deutschpolnischen Grenzgebiet aufgreift und der bei der Berlinale mit dem Preis der Internationalen Filmkritik geehrt wurde. Anschließend gab es die Silberne Lola und Filmpreis-Nominierungen für Schmid sowie die Darsteller Devid Striesow und Maria Simon.
Filmecho: Wie haben Sie zu der Geschichte gefunden?
Hans-Christian Schmid: Ich wollte schon länger einen Film drehen über Deutschland als ein Land, das Flüchtlinge aufnimmt oder auch nicht. Ich finde es bedenklich, dass der Gesetzgeber bestimmt, dass derjenige, der nicht über einen der vorgeschriebenen Wege nach Deutschland kommt, hier illegal ist. Ich frage mich, wer uns das Recht gibt, dies so zu handhaben. Migrationen gibt es so lange wie die Menschheit und ich finde es schlimm, dass gerade die Deutschen heute solch harsche Regelungen haben. Zunächst schwebte mir ein Dreh auf dem Frankfurter Flughafen vor, wo die Asylbewerber und Flüchtlinge eigentlich schon in Deutschland sind, sich aber noch im Niemandsland befinden. Dort wurden jedoch alle Bitten um Recherche- und Drehgenehmigungen abgelehnt. Anschließend habe ich gezielt gesucht, wie man an anderen Orten einen Film über die Tatsache machen kann, dass sich ein wohlhabendes Land gegenüber nicht so wohlhabenden abschottet. Als ich dann vor drei Jahren nach Berlin gezogen bin, lag das Thema dann plötzlich ganz nahe.
Filmecho: Gab es trotzdem noch so etwas wie eine Initialzündung?
Schmid: Wenn man sich für ein Thema interessiert, dann ist man ganz wach und liest die Zeitungen anders. Ausgangspunkt war ein Artikel über Flüchtlinge aus Pakistan, die die Schlepper an der deutschpolnischen Grenze sitzen gelassen haben mit dem Versprechen, sie wären gleich in London. Am Abend brauchten sie nur auf die Lichter des Ortes zuzugehen und sie wären dort. Ich fragte mich, was passiert denn jetzt mit denen? Der Zufall entscheidet, ob sie ankommen oder umkommen. Vom Bundesgrenzschutz weiß ich, dass viele Migranten denken, der Grenzfluss Oder wäre so flach und friedlich, dass es kein Problem sei, einfach hindurchzuwaten.
Filmecho: Beruhen die anderen Episoden auch auf wahren Begebenheiten?
Schmid: Einer der BGS-Beamten erzählte von Jugendlichen, die sich den Schmuggelweg mit dem Zug ausgedacht hatten. Das empfand ich als einen sehr filmischen Ansatz. Ich bin auch in die polnische Grenzstadt Slubice gefahren und habe nach weiteren Anregungen gesucht. Als erstes fiel mir die riesige Kirche auf, die wie ein Raumschiff wirkt. Dort war gerade eine Kommunionsfeier. Daraus entstand die Figur des Taxifahrers, der seiner Tochter unbedingt ein teures Kommunionskleid besorgen will.
Filmecho: Warum verzichten Sie im Gegensatz zu anderen Episodenfilmen konsequent auf eine Verknüpfung der Handlungsstränge?
Schmid: Was mich an vielen Filmen stört, ist dieses Verkrampfte. Mit allen Mitteln wird versucht, Geschichten zu verknüpfen. Da treffen sich die Figuren dann beispielsweise an irgendwelchen Straßenkreuzungen und man schwenkt anschließend in eine andere Episode. Das wollte ich nicht.
Filmecho: Wenn man Ihren Film sieht hat man den Eindruck, dass die Trostlosigkeit auf beiden Seiten der Grenze ähnlich groß ist?
Schmid: Weder Slubice noch Frankfurt/Oder sind Orte, bei denen ich das Gefühl habe, dass das Gegenteil von Trostlosigkeit dominiert. Wo sollte das Licht auch herkommen? Frankfurt/Oder verliert jedes Jahr 2000 Einwohner. Vor der Wende lebten dort 75 000 Menschen, jetzt 65 000. Wenn man durch die Straßen geht und sieht, dass jeder zweite Laden leer steht, dann wirkt das einfach bedrückend. Und Slubice gilt als El Dorado von Dieben, Hehlern, Schmugglern und Prostituierten.
Filmecho: Um ganz nah an den Figuren zu sein, wurde der Großteil des Films mit der Handkamera gedreht.
Schmid: Für mein Gefühl passt dieser Erzählstil zur Art der Geschichten. Mit der Handkamera wollte ich den Schauspielern viel Freiheit geben. Außerdem hatten wir wenig Zeit und Geld und konnten uns keine großen Bauten und ähnliches leisten. Natürlich haben wir Wohnungen vorher ausgeleuchtet, aber wir haben es dem Kameramann vorher bewusst nicht ermöglicht, die Proben zu sehen. Anschließend sagten wir ihm: "Versuche zu bekommen, was geht." Denn ich fand es passend, dass er diesen Figuren, die alle echte Kämpfernaturen sind, so auf den Fersen bleibt.
Filmecho: In Momenten größter Verzweiflung fallen sehr oft lakonische Sätze, die auch zum Lachen reizen. Ist man sich der Gefahr bewusst, zu überziehen?
Schmid: Klar, denn man möchte nicht, dass an irgendeiner Stelle der Witz des Autoren durchscheint und es so aussieht, als sei er schlauer als die Figuren. Wenn der deutsche Polizist zum ukrainischen Flüchtling Kolja sagt "Here is prison and in Poland you can do what you want", ist ein Lacher der Preis, den man bezahlt. Dann gibt es sicher Momente, wo man denkt, das ist jetzt ein bisschen unpassend. Letztlich ist es eine Frage des Abwägens.