Henryk Goldberg, Filmspiegel, Berlin/DDR, Nr. 13, 1990
Dies ist, derweil der Boden unter uns zerbröselt und die neuen, harten Wege die noch unbekannten sind, die Zeit des Sehnens. So ist also auch die Zeit, die Jetzt-Zeit in der Metapher "Sehnsucht". Sehnsucht nach einer bergenden Höhle im fremden Glitzer-Dschungel, Sehnsucht nach einer trockenen Insel im Meer, nach einem Stück Geborgenheit. Sehnsucht nach etwas, das mehr ist als Eigentum, Sehnsucht nach dem Eigenen. Das Bedürfnis, vorzukommen in der Welt.
Ena, die junge Frau im Sorbischen, findet sich in ihrer Landschaft, ihrem Lebens-Raum, den Mentalitäten, die hier wurzeln. Und in Mathias findet sie sich, der ist wie sie, ist wie der Großvater, wie der Kirschbaum. Sieghart, der Geologe ist anders. Er staunt im Paradies, doch er begreift es nicht, es ist schön, doch es ist nicht seins. Mathias stirbt und Sieghart nimmt das Mädchen nach Paris. Dort stirbt sie am Innersten, stirbt am der Einsamkeit, es ist die Stadt nicht wie sie und auch nicht der Mann.
Es sind zwei Filme, die Jürgen Brauer (Regie, Kamera, Drehbuch nach Jurij Koch) hier anbietet. Der eine findet im Sorbischen statt und ist sehr schön, sehr poetisch, der andere, in Paris, ist hilflose Angestrengtheit.
Brauer, der gelernte Kameramann, erzählt mit seinem Feeling für Stimmungen, Bilder, Atmosphäre, da ist Film mehr Optik als Text. Brauer kann die Schauspieler mit ihrem Um-Land zur Symbiose bringen, und er hat in Georg Wratsch einen guten Szenographen. Und gute Schauspieler, Ulrike Krumbiegel, Ulrich Mühe, der die Sensibilität seiner Figur für diese Welt schon als Aura einbringt und sich die Distanz, das Unverständnis erspielt. Dann aber, in Paris, da fällt nicht nur Ena in ein tiefes Loch, der ganze Film gleich mit. Denn da erzählt das Umfeld nicht mehr, da wird – in Bild und Text – angestrengt behauptet statt organisch erzählt. Die gelegentlich zu hörende Frage, was denn an Enas Gesichten nun wirklich sei, was nicht, ist mir eigentlich egal, in Paris indessen wird das Mythische das Alberne. Am Ende steht die Frau am See und beschwört: Es bleibt, wie es war. Und ahnt wohl, was wir wissen: Nichts bleibt, wie es war.