Der schöne Tag
Gabriela Seidel, Presseheft zu "Der schöne Tag", 2001
Gabriela Seidel: Wie bist Du vorgegangen, als Du anfingst, das Drehbuch zu schreiben? Hattest Du eine Figur im Kopf oder ein Thema?
Thomas Arslan: Nach "Geschwister" und "Dealer", die eher von männlichen Protagonisten dominiert waren, hat es mich diesmal mehr interessiert, die Geschichte einer weiblichen Figur zu erzählen. Einer jungen Frau, die einen Beruf hat und die sich Fragen über ihr Leben stellt. Zum Beispiel, wie man glücklich sein kann. Was kann man von ihr wissen und wie könnte sie ihren Tag verbringen. Das war mein Ausgangspunkt.
G.S.: Dein Film ist von Ruhe und klaren Farben geprägt. Ihr habt scheinbar nur mit Sonnenlicht gedreht. Welche Überlegungen gab es im Vorfeld zur Ästhetik des Films? Hattest du Vorbilder?
T.A.: Es gab Entscheidungen, die bereits im Vorfeld des Films feststanden: mit einem möglichst kleinen Team zu drehen, mit Originalton zu arbeiten und wenig bis gar nicht zu beleuchten. Mit dem Kameramann Michael Wiesweg habe ich mich über den Umfang der zu benutzenden Technik, das Licht und die bevorzugten Optiken verständigt. Beim Drehen jedoch beginnt alles neu. Man muß vergessen, was man sich vorher zurechtgelegt hat. Es ist wichtig, die Welt nicht mit vorgefaßten Konzepten zu ersticken. Wir haben uns in der Vorbereitungsphase oft die Orte angesehen, jedoch kein Storyboard und keine Auflösung gemacht. Wo die Kamera steht, wurde erst unmittelbar bei den Dreharbeiten entschieden. Es war klar, daß die Wege von Deniz durch die Stadt eine wichtige Rolle spielen, daß man sie dabei begleiten und daß dies für den Rhythmus des Films ausschlaggebend sein würde. Mir gefällt es zu zeigen, wie sich jemand von einem Ort zum anderen bewegt. Die Wege sind keine tote Zeit.
Ein wichtiger Aspekt war die Wahl des Standortes ihrer Wohnung, weil davon ausgehend ihre Bewegungen durch die Stadt geplant werden mußten. Ich hatte mich beim Schreiben des Buches dafür entschieden, die Wohnung von Deniz in einer Neubausiedlung in der Kochstraße, im Übergangsbereich zwischen Kreuzberg, Tiergarten und Mitte anzusiedeln. Ausgehend davon wurden schließlich die Wege von Deniz genau festgelegt. Sie sollten sich nach der realen Topographie der Stadt richten. Es stört mich immer sehr, wenn ich in manchen Filmen sehe, wie das alles wahllos, oder nach Kriterien des Pittoresken, gemischt wird. Wenn z.B. Straßen, die in völlig anderen Teilen der Stadt liegen, als benachbarte behauptet werden. So etwas ist, wenn es einem auffällt (und es fällt immer jemandem auf), sehr enttäuschend. Es ist, als wenn man darauf spekuliert hätte, daß der Zuschauer schon nicht so genau hingucken wird. Eine lieblose Art der Täuschung. Es gibt innerhalb des Films mehr oder weniger deutliche Verweise auf Filme, die mir wichtig sind. Bei dem Film, den Deniz in der Casting-Szene auf subjektiv gefärbte Weise nacherzählt, handelt es sich um "A nos amours" von Maurice Pialat. Die Arbeiten von Eustache, Pialat, Rohmer, Kiarostami (um nur einige zu nennen) hören nicht auf, mich zu begleiten und zu beschäftigen.
G.S.: Fast alles, was Deniz erlebt, hat mit der Liebe zu tun. Als sie dann in dem Café die Universitätsdozentin trifft, bekommt das Thema noch einen theoretischen Unterbau. Die Dozentin spricht davon, daß unser Ideal, unser romantischer Begiff von der Liebe eine Erfindung des 18. Jahrhunderts ist. Hast Du dich beim Schreiben mit dem Begriff auch theoretisch auseinandergesetzt?
T.A.: Deniz wird, an dem Tag, den der Film beschreibt, von Gefühlen und Gedanken getrieben, die sie einen focussierten Blick auf alles um sie herum werfen lassen. Ein Blick, der nur die Dinge wahrnimmt, die mit dem zu tun haben, was sie zur Zeit beschäftigt. Ich würde zwar nicht sagen, daß der Film die Geschichte aus ihrer Perspektive erzählt, aber er versucht doch, sich ihr anzunähern. Wie bei realen Personen, gibt es auch bei den Figuren eines Films eine Grenze dessen, was man von ihnen wissen kann. Deniz sucht nicht nur jemanden, mit dem sie leben kann, sondern sie versucht auch, ihre Vorstellungen, die sie von der Liebe hat und die Erwartungen, die sie daran knüpft, zu formulieren. Sie hat bereits, bevor sie die Frau im Cafe trifft, ihre eigenen Theorien. Das wichtige an dieser Szene ist für mich eher, daß sie hier zum ersten Mal auf eine Person trifft, zu der sie keine unmittelbare persönliche Beziehung hat.Aus dieser Distanz heraus läßt es sich leichter über die angesprochenen Fragen reden. Und als sie erfährt, daß die Frau sich in indirekter Weise unter anderem mit "ihrem" Thema beschäftigt, hakt sie nach. Ihre Gespräche mit ihrer Mutter, ihrer Schwester oder ihrem Freund waren zu hitzig, zu persönlich beladen gewesen. Hier hat sie nun die Möglichkeit, einen kühleren Blick auf ihre eigenen Gedanken zu werfen. Und sie scheint bereit zu sein, ihre Vorstellungen zu hinterfragen. Gezielte theoretische Recherchen habe ich nicht angestellt. Allerdings habe ich, wenn ich einen Film vorbereite, ebenfalls eine stark selektive Wahrnehmung. So war es sicher nur bedingt ein Zufall, daß ich in dieser Zeit auf die Abschrift eines Radio-Interviews mit Niklas Luhmann gestoßen bin, das mit diesem Thema zu tun hatte. Der Text der Dozentin basiert auf Fragmenten dieses Interviews und auf Vorschlägen, die Elke Schmitter gemacht hat.
G.S.: In Geschwister und Dealer spielen teilweise die gleichen Darsteller. Sie spielen jedoch in den einzelnen Filmen unterschiedliche Figuren. Etwas zieht sich immer hinein in den nächsten Film. Gibt es einen roten Faden, der durch die Filme führt?
T.A.: Das, was die Filme verbindet, ist, daß es sich bei den Hauptfiguren jeweils um junge Personen türkischer Herkunft handelt, die in Deutschland aufgewachsen sind. Jeder einzelne der drei Filme ist jedoch eine von den anderen unabhängige, in sich geschlossene Geschichte. Während der Arbeit an Geschwister standen die Erzählungen der anderen beiden Filme noch nicht fest. Ein Film hat sich aus dem anderen entwickelt. Aus etwas heraus, was in dem vorhergehenden zu kurz kam oder für das es keinen bzw. zu wenig Raum gab. Obwohl die drei Filme der Trilogie sehr unterschiedlich voneinander sind, hat es mir gefallen, kleine Verbindungsglieder und Verweise zwischen ihnen herzustellen. Dazu gehört auch die Anwesenheit einiger Darsteller, die in unterschiedlichen Rollen in mehreren Filmen erscheinen. Die Rollen waren immer so angelegt, daß etwas von den realen Personen, die sie spielen, einfließen konnte.
G.S.: Die Protagonisten aller drei Filme sind türkische oder deutschtürkische Jugendliche der dritten Einwanderer-Generation. Deniz und ihre Schwester sind mit ihrer nationalen Identität aber gar nicht mehr befaßt, ganz anders als noch die Geschwister. Spielt diese Frage eine immer kleinere Rolle?
TA.: Schon in Geschwister traf dies nicht auf alle der Hauptpersonen zu. Am wenigsten auf die jüngere Schwester. In "Der schöne Tag" ist die Figur der Deniz in ihrer Gesamtheit zwar nicht repräsentativ für eine ganze Bevölkerungsgruppe, aber in einem Punkt steht sie sicher für die Erfahrungen von vielen anderen ihres Alters: Sie hat noch etwas anderes zu tun, als sich ständig mit ihrer Identität zu beschäftigen. Mir war es wichtig, sie nicht im Hinblick darauf zu definieren, was vermeintlich "fremd" an ihr ist. Die vielbeschworene Zerrissenheit zwischen zwei Kulturen entspricht nicht ihrer Lebenserfahrung. Sie bewegt sich mit Selbstverständlichkeit durch die Umgebung, in der sie lebt. Sie ist eine Person mit eigenen Geheimnissen, Widersprüchen und Besonderheiten, die sich nicht auf ihre Herkunft reduzieren lassen.
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