Von Donnerstag, 4., bis Dienstag, 30. Mai zeigt das Kino des Deutschen Filmmuseums in Frankfurt/Main eine Werkschau mit Filmen von Jean-Marie Straub aus den letzten zehn Jahren sowie eine Auswahl seiner Arbeiten mit Danièle Huillet.
Die letzte größere Reihe mit Filmen von Jean-Marie Straub im Deutschen Filmmuseum wurde vor zehn Jahren anlässlich des Todes von Danièle Huillet gezeigt, der Ehefrau, über Jahrzehnte hinweg Mitarbeiterin und seit 1975 auch offiziell Koregisseurin aller Filme von Straub. Etliche Nachrufe auf Danièle Huillet lasen sich damals ein wenig auch wie solche auf Straub, jedenfalls auf Straub als Filmemacher, so als würde er nie mehr allein einen Film realisieren.
Tatsächlich hat Straub aber in den vergangenen zehn Jahren 19 weitere Filme gedreht, die in diesem Monat komplett im Kino des Deutschen Filmmuseums zu sehen sind Filme von einer Länge zwischen zwei und 70 Minuten, teilweise direkter als die früheren, teilweise auch intimer, im unmittelbaren Umfeld des Regisseurs entstanden.
Dazu der letzte gemeinsame Film mit Danièle Huillet von 2006 ein kurzer Cinétract. Ergänzt werden diese Filme um einige Klassiker aus den Jahrzehnten zuvor zum Wiedersehen und Kennenlernen. Filme, die allesamt radikale Akte des politischen Widerstands gegen die herrschenden Verhältnisse und radikale Akte des ästhetischen Widerstands gegen das dominierende Kino der Beliebigkeit sind und allesamt Filme von außerordentlicher Schönheit. Jeder Augenblick in ihnen zählt!
Mit Dank an Barbara Ulrich (Belva Film) und Klaus Volkmer (Filmmuseum München).
Donnerstag, 04 .Mai, 18 Uhr
"Le genou d'Artémide", Frankreich 2008. R: Jean-Marie Straub. 26 Min. 35mm. ital. OmU
"Le streghe - Femmes entre elles", Frankreich 2009. R: Jean-Marie Straub. 21 Min. 35mm. ital. OmU
"L'inconsolable", Frankreich/Schweiz 2011. R: J.-M. Straub. 15 Min. Digital. ital. OmU
"La madre", Schweiz 2012. R: Jean-Marie Straub. 20 Min. DCP. ital. OmU
Wie "Quei loro incontri" (2006) zuvor beruhen die vier Filme dieses Programms auf Cesare Paveses "Gesprächen mit Leuko" von 1947 und entstanden im italienischen Buti mit Mitgliedern des dortigen Theaters. Die Leiden und Konflikte der Menschen werden in diesen Dialogen aus der Sicht der antiken Götter gesehen. Fremdartige und doch zwingend erscheinende Texte werden in der Natur gesprochen, Sonnenlicht und Vegetation sind genauso wichtig.
Freitag, 5. Mai, 20:30 Uhr
"Nicht versöhnt oder Es hilft nur Gewalt, wo Gewalt herrscht", BRD 1965. R: Jean-Marie Straub, D: Henning Harmssen, Georg Zander. 55 Min. 35mm
"Der Bräutigam, die Komödiantin und der Zuhälter", BRD 1968. R: Jean-Marie Straub, D: Lilith Ungerer, Rainer Werner Fassbinder. 23 Min. 35mm
"Nicht versöhnt..." es gibt keinen anderen westdeutschen Film der 1950er und 1960er Jahre, der so sehr zu Recht diesen Titel tragen dürfte. Eine Adaption des Romans "Billard um halb zehn" von Heinrich Böll und eine radikale Reduktion aufs Wesentliche, die Kontinuität der deutschen Geschichte von der Nazi- bis zur Nachkriegszeit betonend. "Der Bräutigam ..." beruht auf Straubs Inszenierung des Stücks "Krankheit der Jugend" von Ferdinand Bruckner am Münchner action-theater. Ein Schlüsselfilm auch für Rainer Werner Fassbinder.
Freitag, 12. Mai, 20:30 Uhr
Dienstag, 16. Mai, 20:30 Uhr
"Itinéraire de Jean Bricard", Frankreich 2008. R: Danièle Huillet, Jean-Marie Straub. 40 Min. 35mm. frz. OmU
"Dialogue d'ombres", Schweiz/Frankreich 2013. R: Danièle Huillet, Jean-Marie Straub. 28 Min. DCP. frz. OmU
"Pour Renato", Schweiz 2015. R: Jean-Marie Straub. 8 Min. Digital. OmU
"Où en êtes-vous, Jean-Marie Straub?", Frankreich 2016. R: Jean-Marie Straub. 9 Min. Digital. OF
Noch gemeinsam mit Danièle Huillet vorbereitet, erkundet "Itinéraire de Jean Bricard" eine Insel in der Loire zu Off-Texten eines ihrer früheren Bewohner. "Dialogue d'ombres" ist die Adaption einer Erzählung von Bernanos und Straub/Huillets erstes gemeinsames Filmprojekt aus den 1950er Jahren. Dazu eine Hommage an den Kameramann Renato Berta zu dessen 70. Geburtstag und die filmische Antwort auf die Titelfrage des Centre Pompidou zur Straub-Retrospektive 2016.
Sonntag, 14. Mai, 18 Uhr
"Geschichtsunterricht", Italien/BRD 1972. R: Danièle Huillet, Jean-Marie Straub, D: Gottfried Bold, Johann Unterpertinger. 88 Min. 16mm
Vorfilm: "Lothringen!", DE/FR 1994. R: Danièle Huillet, Jean-Marie Straub. 21 Min. 35mm. DF
Eine Adaption von Brechts Romanfragment "Die Geschäfte des Herrn Julius Caesar". Ein junger Mann von heute sucht einen Bankier, einen Bauern, einen Anwalt und einen Dichter aus dem alten Rom auf. Die von Huillet/Straub ausgewählten Passagen des Buchs beleuchten das Verhältnis von Macht und Geschäft und stellen ein Stück historisch-materialistischer Geschichtsanalyse dar. Als Vorfilm "Lothringen!", Straubs erste filmische Auseinandersetzung mit einem Text des aus Lothringen stammenden Schriftstellers Maurice Barrès.
Donnerstag, 18. Mai, 18 Uhr
"O somma luce", Frankreich 2010. R: Jean-Marie Straub. 18 Min. DCP. ital. OmU
"Un conte de Michel de Montaigne", Frankreich/Schweiz 2013. R: Jean-Marie Straub. 34 Min. DCP. frz. OmU
"L'aquarium et la nation", Schweiz/Frankreich 2015. R: Jean-Marie Straub. 31 Min. DCP. frz. OmU
In "O somma luce" rezitiert Giorgio Passerone Verse aus der "Göttlichen Komödie" von Dante. Die "Erzählung von Michel de Montaigne", das ist dessen Essay II/6, "Über das Üben", und die Worte vermögen eine Statue zum Leben zu erwecken. "L'aquarium et la nation" besteht aus drei Teilen: Man sieht ein Aquarium, einen Mann, der einen Text von Malraux liest, und einen Ausschnitt aus Jean Renoirs "La Marseillaise" (1938). Ein Film über Kultur und Nation, Begrenzung und Freiheit.
Freitag, 19. Mai, 20:30 Uhr
"Corneille-Brecht", Frankreich 2009. R: Jean-Marie Straub. 26 Min. Digital. teilw. frz. OmU
"Schakale und Araber", Schweiz 2011. R: Jean-Marie Straub. 11 Min. Digital
"Un héritier", Republik Korea/Frankreich/Schweiz 2011. R: Jean-Marie Straub. 21 Min. Digital. frz. OmU
"La mort de Venise", Italien 2013. R: Jean-Marie Straub. 2 Min. Digital. frz. OmeU
"À propos de Venise, Geschichtsunterricht", Schweiz/Frankreich 2014. R: Jean-Marie Straub. 23 Min. DCP. frz. OmU
In "Corneille-Brecht" liest Cornelia Geiser zwei kurze Texte von Corneille und den Anfang des "Verhörs des Lukullus" von Brecht. "Schakale und Araber" ist die Adaption eines Textes von Kafka. Mit "Un héritier" und "À propos de Venise" setzte sich Straub nach "Lothringen!" (1994) erneut mit dem nationalistischen Schriftsteller Maurice Barrès auseinander, einmal mit dessen Buch "In deutschen Heeresdiensten", das andere Mal mit einem Text über Venedig.
Sonntag, 21. Mai, 18 Uhr
"Klassenverhältnisse", BRD/Frankreich 1984. R: Danièle Huillet, Jean-Marie Straub, D: Christian Heinisch, Nazzareno Bianconi, Mario Adorf. 127 Min. 35mm
Gewissermaßen der "kommerziellste" Film von Huillet/Straub. Eine Adaption von Franz Kafkas Amerika-Roman "Der Verschollene", mit Bildern, die an die Kriminalfilme von Fritz Lang erinnern. Auch hier ist die Hauptfigur anonymen Mächten und Strukturen unterworfen. Ohne jede Psychologisierung, aber nicht ohne Humor zeigt der Film, wie sich Karl Roßmann, der "Verschollene", durch ein Amerika bewegt, das wie eine Albtraumwelt völliger Entfremdung erscheint.
Dienstag, 23. Mai, 20:30 Uhr
Donnerstag, 25. Mai, 18 Uhr
"Europa 2005 - 27 Octobre", Frankreich 2006. R: Danièle Huillet, Jean-Marie Straub. 11 Min. Digital. o.D.
"Joachim Gatti", Frankreich 2009. R: Jean-Marie Straub. 2 Min. Digital. frz. OmU
"La Guerre d'Algerie", Frankreich 2014. R: Jean-Marie Straub. 2 Min. DCP. frz. OmU
"Kommunisten", Frankreich/Schweiz 2014. R: Jean-Marie Straub. 70 Min. DCP. teilw. frz. OmU
Was ist ein kommunistischer Film? Auf jeden Fall einer, der die Utopie des Kommunismus wachhält im Fall von "Kommunisten" anhand der Adaption einer Erzählung von André Malraux aus dem Jahre 1935 und von Ausschnitten aus fünf früheren Filmen Straubs. Eine Art filmisches Testament. Zuvor drei kurze "Cinétracts": ein Kino der Empörung und des direkten politischen Aufrufs.
Dienstag, 30. Mai, 20:30 Uhr
"Die Antigone des Sophokles nach der hölderlinschen Übertragung für die Bühne bearbeitet von Brecht 1948 (Suhrkamp Verlag)", Deutschland/Frankreich 1992. R: Danièle Huillet, Jean-Marie Straub, D: Astrid Ofner, Ursula Ofner. 100 Min. 35mm
Den Vermittlungsschritten, die der Titel benennt, kann noch hinzugefügt werden, dass Huillet/Straub das Stück an der Berliner Schaubühne inszeniert und dann im griechischen Theater von Segesta auf Sizilien verfilmt haben. Eigentlicher Ausgangspunkt des Films war aber tatsächlich dieses antike Theater und dessen Szenerie unter freiem Himmel. Die Geschichte ist leider immer noch von hoher Aktualität: Es geht um einen Angriffskrieg, um die Kollaboration mit der Macht und den nötigen Widerstand gegen sie.
Quelle: www.deutsches-filmmuseum.de