Anna Boleyn

Deutschland 1920 Spielfilm

Anna Boleyn


Das Tage-Buch, Nr. 51, 31.12.1920 (...)

"Anna Boleyn" ist der historische Film. Der Verfasser, Norbert Falk, hat ein dramatisch fest gebautes Buch geboten, in dem für viele Bildmöglichkeiten Raum gelassen.wurde. Man kann sich kaum ein saubereres, anständigeres, klügeres Buch wünschen. Kein einziger dichterischer Einfall. Keine leise Anwandlung von Humor. Keine phantastische Regung. Aber ein musterhaft ausgerechnetes, dank seiner Nüchternheit höchst wirksames Buch. Soll man von einer geistigen Absicht des Textes reden, so müßte man annehmen, der Verfasser sei ein Römling, der mit der Lebensgeschichte der armen Anna Boleyn beweisen wollte, wie schlecht es allen Weibsen geht, wenn sie gegen den Willen des Papstes einen untrennbar verheirateten Katholiken zum Gatten nehmen. Solcher Frevel gegen des Papstes Willen endet auf dem Schaffot. Die gute Luise Mühlfeld, der freie Gregor Samarow werden sich im Grabe umdrehen, wenn sie hören, wie romfreundlich ihr Nachfolger handeln läßt. Aber es ist nicht anzunehmen, daß Norbert Falk bewußt päpstliche Propaganda für die Unlösbarkeit der katholischen Ehe treiben wollte, der Verfasser ist ja, so viel ich weiß, kein orthodoxer Katholik und auch Davidsohn und Lubitsch liegt Zentromspropaganda fern. Immerhin kann dieser Film auch in katho­lischen Jünglingsvereinen vorgeführt werden.

Ich sah ihn zwei Stunden lang mit Vergnügen an. Das ist Lubitschs Werk. Die "Anna Boleyn" ist weit besser geglückt als der "Sumurun-Film"; erstens, weil die Handlung klarer und geordneter ist, zweitens, weil Lubitsch hier zwischen Massenszenen sehr geschickt die Personenbilder eingeschoben hat. Die Masse, von Lubitsch ganz souverän verwendet, drängt sich hier nicht vor, der Einzeldarsteller kommt zu seinem Recht. Unzweifelhaft ist in diesem Manövrieren mit ein paar Tausend Filmrekruten ein wilhelminisches Element. Deshalb erinnert ein oder das andere Bild an Momentaufnahmen der "Woche". Die menschenübersäte Straße, der Einzug des Königspaares, das Tücherschwenken des zur Begeisterung kommandierten Volkes – all das enthält Reminiszenzen an das wilhelminische Zeitalter, und da die Deutschen ihm innerlich noch nicht entwachsen sind, war diese unbewußte Erinnerung und Durchflechtung mit monarchischen Bildern ein Element des großen Erfolges.


Der große Erfolg war da. Und er wäre dagewesen, auch wenn Norbert Falk nicht leitender Redakteur bei Ullstein wäre. Er hätte sich auch eingestellt, wenn die erste Vorstellung nicht zugunsten der Berliner Presse stattgefunden hätte. Der Film hat Spannung und Knappheit, Logik und Steigerung und das Kulturhistorische ist weise dosiert.

Lubitsch hat ihn mit souveräner Sicherheit dirigiert. Sicher wird dergleichen nur in Deutschland so tadellos inszeniert. Ich habe immer das Gefühl, bei Reinhardt wie bei Lubitsch, daß jetzt wir im Theater und Film die Vorzüge der alten militaristischen Epoche ein­heimsen. Die Massenszenen können nur bei einem manövergeübten Volke so stramm durchgeführt werden. Aber Lubitsch ist mehr als ein Generalstabschef der Filmstatisterie. Das sieht man in den Einzelszenen, im besonderen in den Szenen mit der eigentlich kühlen, aber reizenden Egede Nissen. (Weil ich Phantasie über Kommandogewalt stelle, deshalb bleibt mir der Lubitsch der "Puppe" der wertvollste.) (...)

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