Anna Boleyn

Deutschland 1920 Spielfilm

Anna Boleyn (Drehbericht)


Fritz Podehl, Der Film, Nr. 40, 2.10.1920


Das Auto stoppt: Vor uns liegt das Tempelhofer Filmgelände der Union, seltsam verändert. Gleich vorn rechts die Westminster Abtei, genau dem Original nachgebildet in hochragender Gotik. Nicht nur die Fassade, sogar das Abbild von Chorgestühl, von Apsis und Altar, selbst von den mystisch-bunten Fenstern ist von unsichtbarer Hand hierhergezaubert.

Nicht weit davon ein altenglisches Stadtviertel, niedrige Häuser ohne Fenster, rechts anschließend der Turnierplatz, ein großes Geviert, umgeben von Profanbauten in steifer Gotik. Die Hauptsache aber ist die breite Einzugsstraße, die von dem mächtigen Stadttor zur Abtei führt.

Diese aus mehrhundertjährigem Schlaf erweckte Zeit würde nicht viel lebendiger wirken, als Holz, Papiermaché, Farbe, Kleister nun einmal wirken können, wenn nicht ein Aufgebot von mehr als viertausend Komparsen sie belebte. Männer, Greise, Frauen, Kinder im Kostüm der Zeit, geharnischte Reiter und Herolde (es sind verkleidete Reichswehrsoldaten), Kaufleute, Handwerkergilden mit ihren historischen Zunftabzeichen, Mönche, niedere und höhere Geistlichkeit mit Bischofsmützen und Krummstäben. Sie stehen schwatzend, essend, zigarrettenrauchend, lachend, teils in Gruppen, teils schon an ihren Aufnahmeplätzen, teils zerstreut herum.

Es soll der Hochzeitstag Anna Boleyns gekurbelt werden, die eben im Auto mit Jannings, dem Darsteller Heinrichs VIII. ankommt. Sie – strahlende, blonde Schönheit – ist Henny Porten. Das "Volk" ist wirklich begierig, nicht nur die Tribünenzuschauer.

Aber das Starfieber wird gedämpft, abgelöst durch ein anderes Ereignis: Reichspräsident Ebert ist mit einigen Regierungsvertretern erschienen, um der Filmaufnahme beizuwohnen. Gegenseitige Vorstellung: Reichspräsident Ebert! Anna Boleyn-Porten. Ein Photoereignis!

Man probt. Nicht alles gelingt. Die berittenen Herolde müssen zu Fuß die Treppenstufen des Tores passieren: Die Gäule streiken, wollen nicht. Schade! Nebenbei: Herr Jannings paßt nicht ganz unter den schmalen Baldachin, der sich über ihn und seiner Henny wölben soll; kaum ist alles durchgeprobt und kurbelfertig, als der Himmel eine Wolke vor die Sonne schiebt. Schließlich, endlich, – es geht auf drei Uhr – kann der Einzug Anna Boleyns von statten gehen.

Eine schrille Trillerpfeife schlägt in das Chaos schwirrender Stimmen, magnetisiert das farbenwechselnde, prächtich Bild, das allmählig zur Ruhe erstarrt. Obwohl durch Sprachrohr verstärkt, dringt die Stimme Ernst Lubitschs, des Regisseurs, zwar deutlich vernehmbar, doch wie aus unwirklich weiter Ferne ans Ohr. Er steht auf dem Podest des Operateurs, inmitten eines Stabes von Hilfskräften. Gruppenregisseure nehmen seine Anweisungen auf, geben sie weiter, Fanfaren setzen ein – das Spiel kann beginnen!

Es ist natürlich "alles" draußen, was dazu gehört: Meßterwoche, Tagespresse, und außer den politischen Persönlichkeiten u. a. Lovis Corinth, Leopold Jessner, als Repräsentanten der Ufa die Direktoren Braatz und Davison.

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