Fritz Langs "Metropolis" im Wandel der Zeit
Wohl kaum ein anderer deutscher Film hat in der Popularkultur des 20. Jahrhunderts so viele Spuren hinterlassen wie Fritz Langs "Metropolis". Dabei polarisierte das produktionstechnische Mammutunternehmen der Ufa seit seiner Uraufführung am 10. Januar 1927 gleichermaßen Kritiker, Historiker und Publikum. Bis heute existieren verschiedene, oft gänzlich unvereinbare Interpretationen des legendären Science-Fiction-Prototypen nebeneinander.Oft zitiert wurde etwa Luis Buñuels überaus ambivalente Einschätzung des Films, die er in der Gazeta Literaria vom 1. Mai 1927 veröffentlichte: "'Metropolis' ist nicht ein Film. 'Metropolis' sind zwei Filme, am Bauch aneinandergeklebt, aber mit unterschiedlichen, extrem antagonistischen Ansprüchen. Wer den Film als diskreten Geschichtenerzähler betrachtet, erlebt bei 'Metropolis' eine herbe Enttäuschung. Was uns hier erzählt wird, ist trivial, schwülstig, pedantisch, von einem übermächtigen Romantizismus. Aber wenn man sich nicht auf die Anekdote, sondern auf den plastischen Hintergrund konzentriert, dann übertrifft 'Metropolis' alle Erwartungen, erstaunt einen wie das wunderbarste Bilderbuch, das je geschaffen wurde."
(Deutsche Übersetzung aus: Luis Buñuel: Die Flecken der Giraffe. Ein und Überfälle. Berlin: Wagenbach 1991.)
Der kontroverse Klassiker
Tatsächlich reichte das Spektrum von der inhaltlichen Kritik am spekulativen Drehbuch Thea von Harbous über die Diskussion der formalen Qualitäten der aufwändigen Inszenierung bis hin zu Siegfried Kracauers berühmten Verdikt in seiner einflussreichen Studie "From Caligari to Hitler"; (1947), in der er Langs Zukunftsmärchen als protofaschistische Allegorie analysiert. Dabei widmet sich Kracauer insbesondere dem "Ornament der Masse",das in "Metropolis" durch die geometrisch choreographierten Aufmärsche der gewaltigen Komparserie in Erscheinung tritt. Für Kracauer sind diese entindividualisierten Massenszenen nicht zuletzt Manifestationen totalitärer Demagogie, wobei der Text auch auf die nationalsozialistischen Parteitagsinszenierungen der 1930er Jahre rekurriert.Auch die Coda des Films wurde zum Gegenstand verschiedener Interpretationen: War einigen Kritikern die abschließende Versöhnung zwischen Herrschenden und Arbeitern unter der Federführung von Brigitte Helms Maria und Gustav Fröhlichs Freder zuvorderst Beleg für einen naiven, letztlich weltfremden Symbolismus, so sahen andere im Ende von "Metropolis" eine anti-demokratische Apologie des Führerprinzips. Entsprechend unterschiedlich fielen die Deutungen der eingeblendeten Schlusssentenz "Mittler zwischen Hirn und Händen muss das Herz sein" aus.
Mythos Metropolis
Gerade diese Uneinigkeit in der Rezeption ist ein wirkender Teil der andauernden Faszination, die von "Metropolis" ausgeht. 2001 nahm der Filmwissenschaftler Thomas Elsaesser in seinem Buch "Metropolis. Der Filmklassiker von Fritz Lang" die wechselvolle Wirkungsgeschichte des Werks zum Anlass für eine ebenso assoziative wie zwingende Spurensuche, die den Ursprung sowie die popkulturellen Neudeutungen des Mythos "Metropolis" beleuchtet.Elsaesser sieht den Film als Produkt der "Buchstabensuppe der Avantgarde", gleichsam konstruiert aus Zitaten, Anspielungen und Anleihen aus der Kunst-, Literatur und Filmgeschichte der frühen Moderne: "Tatsächlich lag der Sinn dieser internationalen Superproduktion darin, ein Werk mit Wiedererkennungswert zu schaffen, das verschiedene Arten des kulturellen Gedächtnisses berührte und auch Ur-Szenen der Fantasie ansprach, während es eine Erfahrung bot, bei der das Auge sieht, was der Kopf nur selten zu verstehen sucht."Den Wiedererkennungswert hat "Metropolis" bis heute vor allem dank seiner unverwechselbaren Ikonographie bewahrt, denn ungeachtet der enttäuschenden Einspielergebnisse und eher zurückhaltenden Kritiken setzte der Film technische und ästhetische Maßstäbe. Die Filmarchitekten Otto Hunte, Erich Kettelhut und Karl Vollbrecht sowie die Kameraleute Karl Freund und Günther Rittau schufen für die an materiellen Superlativen reiche Großproduktion einen stilbildenden Look, der zum festen Bestandteil der internationalen Filmsprache und -geschichte wurde. Über die Jahrzehnte hat sich das Design von "Metropolis" sogar im visuellen Gedächtnis derer verankert, die den Film noch nie gesehen haben. Denn seit dem Erscheinen von "Metropolis" hat sich die Medienproduktion immer wieder in Rückgriffen auf Langs Zukunftsvision geübt.
Die stilbildende Stadt-Maschine
Wo immer in einem Science-Fiction-Film die "Stadt der Zukunft" visualisiert wird, wird fast zwangsläufig die himmelgreifende "Oberwelt"-Architektur aus "Metropolis" bemüht. Bei Lang sind Bauten und Maschinen jedoch mehr als nur Kulisse, sie sind mit charakterähnlichen Eigenschaften versehene Bedeutungsträger. So fand der urbane Organismus Metropolis in den Großstadtgemälden des amerikanischen Film-Noir der 40er Jahre seine psychologisch und stilistisch konsequenten Nachfahren. Und später trieb die Fusion aus Science-Fiction und Noir in Ridley Scotts "Blade Runner" (1982) den an "Metropolis" gemahnenden Retro-Futurismus auf eine vorläufige Spitze. Noch viel eindeutiger lässt sich natürlich der Einfluss des Roboters Maria nachzeichnen, dessen goldene Gestalt zu einer Ikone der Popkultur wurde. Kaum ein Bericht über Roboter, Maschinenmenschen und künstliche Intelligenzen verzichtet auf eine Illustration mit der Kunstfigur des Bildhauers Walter Schultze-Mittendorf – sie lebt fort als Prototyp der beseelten Mechanik, dessen Design die Vorstellung vom artifiziellen Ebenbild des Menschen auf Dauer geprägt hat.
Fluchtpunkt der Postmoderne
Angesichts der formal-ästhetischen Suggestivkraft von "Metropolis" wundert es nicht, dass der Kino-Mythos auch neue Adaptionen und Hommagen hervorbringt. Vom Superman-Comic – dessen Heimatstadt nicht umsonst Metropolis heißt –, über Videoclips bis zum Bühnenmusical reicht die Palette der kulturellen Weiterverarbeitung des Stoffs. Auch im Kino erwachte die Metropole zu neuem Leben: so beispielsweise 2001 – basierend auf der Manga-Reihe des berühmten Zeichners Osamu Tezuko – im japanischen Animationsfilm "Metoroporisu". Am kontroversesten diskutiert wurde jedoch die Neufassung, die der italienische Popkomponist Giorgio Moroder 1984 veröffentlichte. In seiner kolorierten und auf 87 Minuten gekürzten Version sind die Bilder Langs mit Popmusik unterlegt, die das Geschehen auf der Tonebene vorantreiben soll. Die Kritik fand größtenteils wenig Gefallen an dieser postmodernen Aneignung eines Klassikers, wobei Moroders Experiment gleichwohl die Auseinandersetzung mit dem "Original" beförderte.Der Begriff "Original" ist hier jedoch schon selbst durchaus fragwürdig, da die ursprüngliche Fassung von "Metropolis" nicht mehr existent ist. Bereits nach seiner Uraufführung wurde der Film verändert, gekürzt – bisweilen verstümmelt – und in alle Welt verstreut.
Rekonstruktion einer Utopie
Der Filmhistoriker Enno Patalas zeichnete als Leiter des Filmmuseums München verantwortlich für die erste umfassende Rekonstruktion von "Metropolis" in den 1980er Jahren. Über die aufwändigen Arbeiten und Recherchen berichtet sein Buch "Metropolis in / aus Trümmern. Eine Filmgeschichte." Patalas geht davon aus, dass ursprünglich drei Originalnegative gezogen und montiert wurden: eins für die deutsche Premierenfassung, eins für die Paramount (den amerikanischen Partner der Ufa), und eins für den Export in andere Länder. Alle späteren Kopien und natürlich auch restaurierte Fassungen stammten daher von diesen drei Originalnegativen ab.Während Patalas für die Münchner Fassung das Ufa-Originalnegativ verwendete, orientierten sich Martin Koerber und sein Team bei ihrer späteren Rekonstruktion des Films – von der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung in Auftrag gegeben, in Kooperation mit den Partnern im Kimentheksverbund realisiert und schließlich auf der Berlinale 2001 uraufgeführt – zwar an Patalas" grundlegender Arbeit. Jedoch griffen sie in der Auswahl des Ausgangsmaterials möglichst auf das Paramount-Originalnegativ aus dem Bestand des Bundesarchiv-Filmarchiv zurück.
Im Jahr 2008 folgte dann nichts Geringeres als eine filmhistorische Sensation: In Buenos Aires prüfte die Chefin des dortigen Filmmuseums, Paula Félix-Didier, ein 16-Millimeter-Negativ, nachdem sie Berichte über die ungewöhnliche Länge des Films erhalten hatte. Sie reiste mit einer Kopie nach Berlin und führte sie Experten vor, die sich schnell sicher waren, dass es sich bei dem Fund um die ursprüngliche, verloren geglaubte Langfassung des Films handelte.Bald darauf begann die Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung zusammen mit weiteren, fachkundigen Partnern ein umfangreiches Restaurierungsprojekt unter Einbezugnahme der verschollenen und nun wiederentdeckten Szenen. Mit der Welturaufführung dieser aufwändig rekonstruierten Fassung von "Metropolis" am 12. Februar 2010 in Frankfurt und Berlin kehrt die nahezu vollständige Urversion von Fritz Langs monumentalem Stummfilmklassiker auf die Kinoleinwand zurück.Dass der Film während seines ursprünglichen Kinoeinsatzes in Berlin vom 10. Januar bis zum 13. Mai 1927 lediglich um die 15.000 Besucher zählte, erscheint heute angesichts der weltweiten Präsenz und Bedeutung des Films eher unwirklich. Denn auch nach fast 80 Jahren bleibt "Metropolis" für Millionen die Stadt von Morgen.