Die Filmstadt
Ateliergelände Neubabelsberg
Hans-Michael Bock, in: Hans-Michael Bock / Michael Töteberg (Hg.): Das Ufa-Buch, Frankfurt/Main, 1992
Fest verbunden mit dem Image der Ufa ist das Atelier in Potsdam-Babelsberg — speziell nach den politischen und ökonomischen Ereignissen der letzten Jahre. In den Berichten um das Schicksal des Geländes — zwischen abruptem Ende der DDR und Zerfall der DEFA und den hochfliegenden Plänen einer Medien-Metropole unter französischer Regie — mischen sich Wahrheit und Legende. Besonders deutlich am publicity-trächtigen Hin und Her um die Benennung der Großen Halle: "Metropolis" oder Marlene Dietrich, falscher Monumentalismus oder flüchtiger Weltstar-Glamour. (...)
Im Herbst 1911 übernimmt Guido Seeber, Kameramann und technischer Leiter der Deutschen Bioscop-GmbH, die bislang ihre Filme in einem Dachatelier in der Chausseestraße 123 hergestellt hat, den Auftrag, geeignete Grundstücke und Gebäude ausfindig zu machen, in die die expandierende Produktion verlagert werden kann. Seeber berichtet: "Die mit allen Mitteln betriebene Umschau nach solchen Plätzen brachte mich unter anderem auch nach Neubabelsberg, wo auf einem völlig verwüsteten und keinen richtigen Zugang aufweisenden Grundstück ein seit längerer Zeit unbenutztes fabrikähnüches Gebäude stand. (...) Weit ringsherum waren keine Wohnhäuser zu finden, so daß selbst bei einem Brande die Umgebung nicht gefährdet werden konnte. Die Lage des Grundstückes, von dem ein Giebel direkt nach Süden zeigte, ließ die Errichtung eines Glasateliers als Verlängerung des Gebäudes ratsam erscheinen, denn es würde dann von früh bis spät immer unter Sonne, d.h. dem günstigsten Licht stehen. (...)
Aus der Fülle der eingegangenen Baupläne wurde der Firma H. Ulrich, Berlin-Charlottenburg, Kaiserin-Augusta-Allee, der Zuschlag erteilt und als Abmessung 15x20 m, bei 6m mittlerer Hohe, gewählt, (...) Um den Innenraum gut ausnutzen zu können, wurden die notwendigen Versteifungen der Eisenkonstruktion nicht in das Innere, sondern außerhalb angebracht. Drei große Schiebetüren wurden vorgesehen, so daß es möglich war, jederzeit einen Teil des sichtbaren Geländes mit zur Szene zu verwenden und andererseits ohne Mühe mit jedem großen und schweren Wagen direkt in das Aufnahmeatelier hineinfahren zu können. Dieses Prinzip, ein Atelier zu ebener Erde zu errichten, hat sich nicht nur bewährt, sondern ist unter Berücksichtigung der Vorteile sofort von anderen Firmen nachgeahmt worden.
Die Parterreräume des Gebäudes wurden zu Garderoben, Requisitenräumen, Tischlerei, Malerei und Kantine umgebaut. Die erste Etage enthielt das Büro sowie die Negativ- und Positiventwicklungseinrichtung, während in der zweiten Etage die Trockentrommeln, Kleberei und Titelanfertigung untergebracht wurden."
Der Umbau wird im Winter 1911/12 durchgeführt und das Atelier am 12. Februar 1912 mit den Aufnahmen zum Asta Nielsen-Film "Der Totentanz" eingeweiht. Die Befürchtungen um die unsichere Lage der Filmindustrie erweisen sich jedoch zunächst als unnötig (1916 tritt eine Krise ein, so daß vorübergehend der Verkauf der Anlage ins Auge gefaßt wird). Schon im ersten Jahr wird die Anlage erweitert. Es wird ein Nachbargrundstück von etwa 6000 qm gekauft. Darauf entsteht ein zweiter, in der Struktur dem ersten entsprechender Gebäude-Komplex. Das Glashaus ist mit 450 qm um die Hälfte größer.
Doch auch diese Erweiterung reicht schon bald nicht mehr aus. Seeber gelingt es, zu einem günstigen Kurs das angrenzende Gelände von 40.000 qm für die Firma zu erwerben, auf dem man nun größere Freibauten errichten kann, die nicht gleich wieder abgerissen werden müssen. So können bestimmte Standard-Dekorationen mehrfach benutzt werden. "Der erste Bau, der auf diesem neu erworbenen Gelände errichtet wurde, war ein Zirkus, von dem man allerdings nur drei Achtel des Umfanges aufbaute. Dieser fast historisch gewordene Zirkus, den man auch an andere Gesellschaften vermietete, hat fast 10 Jahre gestanden und seinen Zweck bestens erfüllt. (...) Bei dem Errichten einer zweiten Kopieranstalt wurde die Außenfront mit Rücksicht auf die oftmals wiederkehrenden Großaufnahmen vor verschiedenen Baustilen entsprechend gestaltet. Dieses Gebäude stellt also in gewissem Sinne ein Unikum dar, denn ein Frontteil ist romanisch, ein anderer gotisch, ein anderer altdeutsch, Renaissance usw. Selbst der Dachaufbau wurde mit verschiedenen Ziegelformen bedeckt, um sowohl deutsche wie auch italienische oder spanische Dachformen jederzeit für Aufnahmezwecke zur Verfügung zu haben." (Guido Seeber, 1930)
1919 und 1922 kommen hochmoderne unterirdische Filmlager hinzu, die eine sichere Lagerung des leicht entflammbaren Filmmaterials ermöglichen:
"Ein Novum sind die unterirdischen Filmkammern. Nach dem Vorbild der Sprengstoff- und mithin Filmfabriken sind 20 Kammern aus Beton unter der Erde erbaut worden, von denen nur Dächer und Entlüftungsschächte aus der Grasfläche herausragen. Diese Kammern haben Doppelwände und sind dergestalt eingerichtet, daß im Falle einer Explosion (— es kann das nur eine Selbstentzündung sein —) die eine Wand eingedrückt wird und die sich entwickelnden Gase einen unmittelbaren Abzug durch einen Luftkanal ins Freie haben, ohne daß die Nebenkammern im mindesten in Mitleidenschaft gezogen werden. Die Beleuchtung der Kammern, in denen der Rohfilm oder die belichteten Negative unter stets gleicher Temperatur auf Holzregalen lagern, erfolgt durch ein Fenster von außen, so daß keinerlei mechanische Entzündungsmöglichkeiten gegeben sind. Der Entwicklung und Vorbereitung des Rohfilms dient eine Musterkopieranstalt, in der 5000-6000 m Negativ täglich entwickelt werden kann und in der 21 Entwickler und Kleberinnen neben 4 Standfotographen beschäftigt sind."
Diese Schilderung der technischen Anlagen stammt von Alex Kossowsky, der 1924 das Gelände besucht und auch einen Blick auf die malerischeren Winkel des Freigeländes wirft: "Zurzeit stehen eine große Anzahl Bauten auf dem Gelände der Decla, wie der düstere "Turm des Schweigens" aus dem gleichnamigen Film (Regie Dr. Guter) und das Innere des höchsten Turmgemaches, das im Atelier I aufgebaut ist. Aus der "Chronik von Grieshuus" (Regie v. Gerlach) sind der Burghof mit seiner packenden Romantik und seinem trübe schillernden Burggraben, das einsame, ginsterüberwucherte Heidehaus und die Dorfkirche mit ihrem verfallenen Kirchhof aus dem gleichen Film noch nicht abgebrochen, und von weither, schon vom Eingang herüber, grüßt die Mauer aus den "Nibelungen", an welcher die Hunnen emporkletterten (Regie: Fritz Lang), und hinter einem Gebüsch guckt noch der (nun tote) Drache hervor... Gehen wir weiter, so sehen wir die gigantische, 60 m hoch als Freibau aufgeführte Hinterhausmauer aus dem "Letzten Mann" (Regie: F. W. Murnau), die mit ihren zahllosen Fenstern und ihrer unendlichen Monotonie die Großstadt verkörpern soll und Jannings eine Folie zu seiner Kunst gegeben hat. Zu demselben Film gehört auch der Großstadtplatz mit seinem Riesenhotel, das in Wirklichkeit nur aus 4 Stockwerken besteht, im Film aber als Wolkenkratzer erscheinen wird. (Fabrikationsgeheimnis!) 60 Autos, richtige und Modelle, sind über die Straßenkreuzung gefahren, und bewunderungswürdig ist ihr perspektivischer Aufbau. (...) In einer gewaltigen und düsteren Burg war Dr. Robison mit einer Aufnahme zu seinem neuesten Film "Pietro, der Korsar" beschäftigt, und diesen Bau (Architekt: Albin Grau) will ich zum Ausgangspunkt meiner Betrachtungen machen.
Zum Zeitpunkt dieses Besuchs ist das Atelier in Neubabelsberg gerade — nach einem kurzen Zwischenspiel als "Decla-Bioscop-Atelier"-in den Besitz der Ufa übergegangen. Die verlagert in den folgenden Jahren das Schwergewicht ihrer Produktion nach Babelsberg, während die Ateliers in Tempelhof überwiegend an fremde Produzenten vermietet werden.
Der nächste große Schritt beim Ausbau der Ufa-Ateliers zum führenden Filmproduktions-Zentrum Europas ist 1926 die Errichtung der "Großen Halle":
"Die Anregung zu diesem Atelier brachte Direktor Grau von seiner Amerikareise mit. In der Erkenntnis, wie ungeheuer dienlich diese Anlage für die Konzentration der Fabrikation der Ufa sein würde, finanzierte die Deutsche Bank sofort den Plan und so entstand das neue Riesenatelier in der fast unglaublich kurzen Zeit von 4,5 Monaten in einem geradezu amerikanischen Tempo. Der Entwurf stammt von dem Architekten Carl Stahl-Urach, der auch die Bauleitung inne hatte.
Die neue Aufnahmehalle in Eisenkonstruktion, massiv ausgemauert, 123,5 m lang, 56m breit, 14m hoch bis zu den Laufstegen, umfaßt mit Nebenräumen etwa 8000 qm bebaute Fläche und 20.000 cbm umbauten Raum, ist mit allen erforderlichen technischen Einrichtungen und Möglichkeiten ausgestattet worden. Aus betrieblichen Gründen ist die große Halle durch verschiebbare, ausgemauerte Wände unterteilt, so daß mehrere Großfilme und eine Anzahl kleinerer Filme zu gleicher Zeit gedreht werden können.
An der Ostseite zwischen den vorgebauten Kopfhallen befinden sich 40 Garderobenräume für Stars, Regie, Operateure, 10 Räume für Vorführung, Architekten, ausserdem ein großer Frisiersalon und 6 Bäder. Im Erdgeschoß eine Eingangshalle mit Office, Telephonkabinen, 4 große Komparsenräume für etwa 160 Personen, Toiletten, Brausen und dergleichen Nebenräume; auf der Westseite die Fundusräume für die zum Bau von Filmen notwendigen Bauteile, Lampen und dergleichen (...)
Über die Kosten des neuen Ateliers hatten sich schon allerlei legendäre Gerüchte verbreitet. Man staunte, als man hörte, daß der ganze Riesenbau nicht mehr und weniger als 550.000 Mark erfordert hat. Gewiß ein gutes Omen für den Willen der Leitung der Ufa, rationell zu arbeiten." (Reichsfilmblatt, 22.12.1926).