Stummfilmkomödie

Siegfried Kracauer, in: Ders., Kino. Essays, Studien, Glossen zum Film, hg. von Karsten Witte, Frankfurt/Main, 1974, S. 16-22

Die Stummfilmkomödie, welche in den zwanziger Jahren in Amerika ihren Höhepunkt erreichte, nahm von Frankreich aus ihren Ausgang, wo ihre wesentlichen Züge schon lange vor dem ersten Weltkrieg entwickelt wurden. Zu einer Zeit, da die Kunst der Filmerzählung noch unbekannt war – D. W. Griffith war noch nicht auf der Szene erschienen – hatte dieses Genre fast schon eine gewisse Vollkommenheit erreicht. Es wurzelte in der Tradition der "Music Hall" des Zirkusses, der Burleske und der Jahrmarktspiele, alles Schaustücke, die mehr oder weniger stark aus der Faszination lebten, welche Katastrophen, Gefahren und physische Schocks auf den zivilisierten Menschen ewig ausüben.

Von Beginn an häufte die Filmkomödie diese Art von Spannungsmomenten in immer neuen Kombinationen, wobei natürlich klar war, daß es den in sie verstrickten Personen im letzten Augenblick gelingt, sich in Sicherheit zu bringen. Ziel war ja schließlich das Vergnügen. Ein Junge fuhrwerkt mit einem Gartenschlauch herum und setzt dabei die Wohnungen eines benachbarten Hauses unter Wasser; Leute, die gerade einen Spaziergang machen, fallen unvermittelt in den See; Juckpulver im Fischgericht bewirkt wundersame Dinge bei den Tischgästen; eine Braut, die irgendwo hängenbleibt, erscheint in Unterwäsche auf der Hochzeitsfeier – solche Gags waren in Frankreich zwischen 1905 und 1910 allgemein üblich. Einige Motive kamen nach Amerika und zählten dort zum eisernen Bestand. So tauchten z. B. die Polizisten, stehende Figuren aus der frühen französischen Farce, als Keystone-Bullen wieder auf. Sie überlebten die Sennett-Ära und fuhren bis zuletzt fort, ihre Doppelrolle als aufgeblasene Verfolger und kleinmütige Verfolgte zu spielen, wobei der erste Teil der Rolle nur dazu diente, ihren Zusammenbruch um so drastischer erscheinen zu lassen. Es gibt kein kurzes Chaplin-Lustspiel, in welchem der Tramp nicht abwechselnd vor einem bulligen Polizisten zitterte und ihn dann an der Nase herumführte – ein Katz-und-Maus-Spiel.

Gleich zerbröckelnden Säulen der öffentlichen Ordnung waren diese Polizisten und Bullen sichtlich dazu bestimmt, den Eindruck von einer total verrückten Welt zu vertiefen. Ebenso zog das Angsttraum-Motiv, seiner Kleider in Gegenwart normal angezogener Leute beraubt zu werden, sich wie ein roter Faden von Anfang bis Schluß durch den Slapstick. Harold Lloyd, der seine Hosen verliert, war nur eine andere Version der Braut in Unterwäsche, das Filmlustspiel beschwor das materielle Leben da, wo es sich am rohsten zeigte. Und da in jenen Uranfängen der unbewegten Kamera das Leben auf der Leinwand gleichbedeutend war mit bewegtem Leben, gaben die Filmkomiker ihr Äußerstes, um alle natürliche Bewegung zu übertreiben. Mit Hilfe eines einzigen Kameratricks ließen sie die Menschheit rasen und berauschten sich am Spiel mit der Geschwindigkeit.

In Onésime Horloger (1910), einem entzückenden französischen Kurzfilm, läuft Paris Amok, die Avenue de l'Opera verwandelt sich in einen erregten Ameisenhaufen, und Tapeten fliegen an Wände, die kurz zuvor wie Pilze aus dem Boden schossen. Das war Kino; das war Spaß; es war, als ob man in einem Wagen auf der Achterbahn mit vollem Karacho fuhr, während sich einem der Magen drehte. Das Schwindelgefühl gesellte sich prima zu den Schockwirkungen von Unfällen und scheinbaren Zusammenstößen. Als Rahmen für diese raumverschlingenden Abenteuer bot sich die Jagd als unschätzbarer Vorwand an. Polizisten jagen einen Hund, der dann den Spieß umdreht (La course des sergents de ville, ca.1910?); vom Karren rollende Kürbisse werden vom Gemüsehändler, seinem Esel und Passanten durch Abgußkanäle und über Dächer verfolgt (La course des potirons, 1908; englischer Titel The Pumpkin Race). Für jede Keystone-Komödie wäre es ein Unentschuldbares Verbrechen gewesen, die Verfolgungsjagd wegzulassen. Es war die Klimax des Ganzen – sein orgiastisches Finale – ein Pandämonium mit dahinrasenden Zügen, die sich in Automobile schoben, und knappen Fluchtwegen an Seilen hinunter, die über einer Löwenhöhle baumelten.

Es dürfte nun auch klar sein, daß diese Verfolgungsjagden und extremen Zustände nicht nur Bullen und Räuber umfaßten, sondern ebenso Möbelstücke und Landstraßen. Die Komödie erwies sich auch darin als filmisch, daß sie ihre Reichweite ausdehnte, um die gesamte physische Realität einzuschließen, die vom Kameraauge erfaßt werden konnte. Es galt die Regel, daß unbewegten Dingen eine wichtige Stellung zukam und daß sie ihre eigene Vorlieben entwickelten. Meist waren sie von einer gewissen Arglist gegenüber allem erfüllt was menschlich war. Wenn die Kürbisse einen Hang hinab und wieder hinauf rollten, so machte es tatsächlich den Eindruck als ob sie sich einen üblen Scherz mit ihren Verfolgern erlaubten. Und wer erinnerte sich nicht an Chaplins heroische Kämpfe mit der Rolltreppe, dem Strandstuhl und dem widerspenstigen Murphy-Bett? Unter den dargestellten Gegenständen waren gerade jene, die um unsere Bequemlichkeit ersonnen waren, besonders bösartig.

Anstatt dem Menschen zu dienen, erwiesen sich diese fortschrittlichen Erfindungen als die besten Freunde gerade der Kräfte, die sie im Zaum hallten sollten; anstatt uns von den Launen der Materie unabhängig zu machen, waren gerade sie die Stoßtrupps ungebändigter Natur und fügten uns eine Niederlage nach der anderen zu. Sie verschwörten sich gegen ihre Meister, sie enthüllten die angeblichen Wohltaten der Mechanisierung als Lüge. Ihre Verschwörung war so mächtig, daß sie das Lächeln Buster Keatons im Keime erstickte. Wie hätte er auch in einer mechanisierten Welt lächeln können? Sein unabänderlicher Gleichmut war ein Zugeständnis, daß in dieser Welt die Maschinen und Apparaturen die Gesetze bestimmen und daß es besser wäre, wenn er sich ihren Erfordernissen anpaßte. Zur gleichen Zeit jedoch ließ ihn diese Leidenschaftslosigkeit, so unmenschlich sie auch war, in rührender Weise menschlich erscheinen, denn sie war untrennbar mit Trauer verbunden, und man empfand, hätte er je gelächelt, während er Knöpfe drückte und seine Liebe erklärte, so hätte er seine Trauer verraten und einen Stand der Dinge gutgehießen, in dem er selbst wie ein kleines technisches Gerät sich verhalten mußte.

Natürlich war alles nur Spiel, und die Drohungen wurden nicht wahrgemacht. Wann immer die zerstörerischen Kräfte der Natur, feindliche Gegenstände oder rohe Menschen den Sieg davonzutragen schienen, wandte sich das Geschick plötzlich zugunsten ihrer mitleiderregenden Opfer. Die Kürbisse kehrten auf den Karren zurück, die Verfolgten entflohen durch ein Schnupfloch und die Schwachen erreichten einen vorläufigen Zufluchtsort. Häufig verdankten sich solche kleineren Siege akrobatischen Kunststücken. Im Gegensalz zu den meisten Zirkusvorstellungen jedoch verherrlichte die Filmkomödie nicht die Tüchtigkeit des Darstellers, mit der diese dem Tod trotzten und unvorstellbare Schwierigkeiten überwanden; viel eher bagatellisierte es dessen Fertigkeiten durch die Anstrengung, erfolgreiche Rettung als Resultat des reinen Zufalls auszugeben. Zufälle traten an die Stelle des Schicksals; einmal kündeten unvorhersehbare Umstände Unheil an, ein anderes Mal wieder verfestigten sie sich aus unerfindlichem Grund zu günstigen Konstellationen. Da ist zum Beispiel Harald Lloyd auf dem Wolkenkratzer; was ihn davor bewahrte, sich zu Tode zu stürzen, war nicht seine Heldentat, sondern eine zufällige Verbindung äußerer und völlig unzusammenhängender Ereignisse, welche sich so vollkommen ineinanderfügten – obwohl sie ihm keineswegs zu Hilfe kommen sollten -, daß er nicht hätte fallen können, selbst wenn er es gewollt hätte.

Zufälle machten das eigentliche Wesen des Slapsticks aus. Auch dies entsprang dem Filmischen selbst, denn es entsprach dem Geist eines Mediums, das vorherbestimmt war, die zufälligen Aspekte physischen Lebens einzuengen. Aufgrund der häufigen Happy-Ends wurde der Zuschauer dazu gebracht, zu glauben, daß die den Gegenständen innewohnende Arglist in bestimmten Fällen einem Wohlwollen wich. Harry Langdon zum Beispiel gehörte zu den Lieblingen der Natur. Als ein somnambuler Märchenprinz watschelte er sicher durch eine Welt tödlicher Gefahren, weitentfernt, zu ahnen, daß er nur deswegen sicher war, weil die Kräfte der Natur seiner babyhaften Offenheit und süßen Idiotie erlegen waren. War es nicht sogar möglich, den Zufall zu beeinflussen und die Bosheit zu besänftigen? Als Chaplins Tramp von einem Grobian angegriffen wird, beschwört er die magische Kraft des Rhythmus", um das Schlimmste abzuwenden; er macht einige elegante Tanzschritte und vortreffliche Gesten und versetzt mit Hilfe dieses in der Not erfundene Rituals den Raufbold in einen Zustand ungläubiger Verwunderung, welche ihn gerade solange lähmt, um dem listigen Tramp die Zeit zu geben, sich aus dem Staube zu machen.

Jeder dieser Gags formte eine kleine abgeschlossene Einheit, und jede Komödie war ein Paket von Gags, die, nach der Art der "Music Hall"-Spiele, viel eher autonome Einheiten denn Teile einer Story enthielt. Meist gab es irgendeine Art von Story, aber sie hatte allein die Funktion, diese monadenähnlichen Einheiten aneinanderzureihen. Wichtig war, daß sie ohne Unterbrechung aufeinanderfolgten, nicht, daß ihre Anfolge einen Handlungsablauf erstellte. Gewiß kam es oft vor, daß sie eine halbwegs stimmige Intrige aufbauten, jedoch war die Intrige nie so anspruchsvoller Art, daß ihre Bedeutung auf die sie konstituierenden Einheiten übergegriffen hätte. Obwohl The Gold Rush (1925) und City Lights (1930) über das Genre hinausgingen, kulminierten beide Filme doch in solchen Episoden wie dem Tanz mit der Gabel oder der Missetat der verschluckten Trillerpfeife, beides eine Ansammlung witziger Einfälle, die in bezug auf ihre Bedeutung und ihren Effekt in solch geringem Maße von der Erzählung, in der sie vorkamen, abhingen, daß sie ohne Beschädigung leicht herauszulösen wären. Die Filmkomödie war ein Feuerwerk witziger Einfälle. Darüber hinaus erging sie sich in Absurdität, als wolle sie unmißverständlich deutlich machen, daß keine Katastrophe als wirklich verstanden werden sollte, noch, daß irgendeine Handlung von Bedeutung sei.

Die widersinnigen Possen von Sennetts badenden Mädchen erstickten die zarten Anfänge eines verständlichen Handlungsgefüges, und die vielen sichtlich angeklebten Schnurrbarte bezeugten eine übermütige Leidenschaft für unerklärbare Narretei. Absurdität entkleidete die Ereignisse ihrer möglichen Bedeutungen. Und da sie so mögliche Folgerungen, welche die Ereignisse uns sonst mitgeteilt hätten, abschnitt, waren wir um so mehr gezwungen, sie um ihrer selbst willen aufzunehmen. Es stimmt, daß die Filmkomödie Gewalttaten und außergewöhnliche Situationen nur darstellte, um im nächsten Augenblick ihre Ernsthaftigkeit in Abrede zu stellen; so lange jedoch, wie sie dargestellt wurden, teilten sie nichts als nur sich selbst mit. Sie waren, was sie waren, und die Aufnahmen, die sie wiedergaben, hatten ausschließlich die Funktion, uns Schauspielen zuschauen zu lassen, die im wirklichen Leben zu roh waren, um leidenschaftslos wahrgenommen zu werden. Es war echtes Kino, und die Betonung lag auf den Streichen, die die Dinge spielten, und auf den Attacken der Natur. Dies erklärt, weshalb das Bildmaterial vom frühen Slapstick bis zu Chaplins abendfüllenden Filmen bis zu einem gewissen Maß den Charakter von Schnappschüssen beibehielt. Es war viel eher Tatsachenbericht als expressive Photographie. Doch würde nicht die photographische Kunst all jene Bedeutungen eingeführt haben, welche die Filmkomiker instinktiv zu vermeiden wünschten? Ihre Teilnahme galt entfremdeter physischer Existenz.

Die Filmkomödie starb mit dem Stummfilm. Vielleicht beschleunigte die Weltwirtschaftskrise ihren Tod. Jedoch starb sie nicht durch die Veränderungen gesellschaftlicher Bedingtheiten, so unglücklich diese auch gewesen sein mögen; vielmehr erlag sie einem Wandel innerhalb des Mediums selbst – durch das Hinzukommen des Dialogs. Diese albtraumhaften Verwirrungen, das Spiel mit der Geschwindigkeit und mit der sprachlosen Materie, untrennbar mit der Komödie verbunden, bewegte sich in einer Tiefe des materiellen Lebens, in die Worte nicht hinabdringen; die Sprache und mit ihr alles, was aus ihr an artikulierten Gedanken und Emotionen folgt, mußte daher notwendig das eigentliche Wesen dieses Genres verdunkeln. Die Komödie hörte dem Moment auf, Komödie zu sein, in dem das Hinzutreten des Dialogs unsere visuelle Erfahrung sprachloser Ereignisse trübte; in dem Moment, in dem uns die Notwendigkeit, dem mehr oder weniger verständlichen Gespräch zu folgen, uns von dem Bereich der Materie, in dem alles nur geschah, weglockte in den Bereich der diskursiven Rationalität hinein, dem alles schon irgendwie beschildert und sprachlich verdaut war. Es war in der Tal unvermeidbar, daß das gesprochen Wort einem Genre,welches allergisch auf es reagierte, ein Ende bereiten würde. Nur Harpo überlebte die Stummfilmzeit. Wie die Götter der Antike, die nach ihrem Sturz als Puppen, Schreckgespenster und andere niedere Dämonen durch Jahrhunden fortlebten, in denen man nicht mehr an sie glaubte, so ist Harpo ein Relikt der Vergangenheit, ein exilierter Komödiengott, dazu verurteilt – oder auch auserkoren – , die Rolle eines mutwilligen Poltergeistes zu spielen. Aber die Welt, in der er auftritt, ist so mit Worten gefüllt, daß er schon lange verschwunden wäre, wenn es nicht Groucho gäbe, der die zerstörerischen Anschläge des Kobolds unterstützte. Die Wortkaskaden Grouchos, die so schwindelerregend sind wie irgendein stummer Zusammenstoß, verwüsten die Sprache, und unter den verbleibenden Trümmern kann Harpo weiter gedeihen!

Aus dem Amerikanischen von Barbara Rupp (1951)

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