Das weisse Rauschen

Deutschland 1999-2001 Spielfilm

Schizophonie

Der Kölner Hochschulfilm "Das weiße Rauschen"


Daniel Kothenschulte, Frankfurter Rundschau, 02.02.2002


Was für ein schöner Titel für einen Film. Früher, als es noch einen Sendeschluss gab, hat es uns behutsam aus dem Schlaf geweckt: Das weiße Rauschen. Heute müssen wir, wenn wir nicht die Antenne aus unserem Fernseher herausziehen wollen, schon eine leere Videokassette einlegen und auf „Play" drücken, um das weiße Rauschen zu sehen. Es hat übrigens sehr früh seinen Weg in die Filmgeschichte gefunden, dieses ominöse Rauschen. Als James Dean in "Denn sie wissen nicht, was sie tun" eine nächtliche Unterredung mit seinem schwächlichen Vater führt, sitzt der gerade vor seinem verschneiten Lieblingsprogramm, das sich durchaus als Bild geistiger Verarmung lesen ließ.

Dem Fernsehrausch wurde damals in Hollywood mit Verachtung begegnet, bald aber kapitulierte man vor dem neuen Medium. Nie jedoch wurde es ästhetisch so umworben wie heute, da digitales Video vom Publikum offenbar endgültig als Kinoformat akzeptiert worden ist. Es ist der Trick der dänischen Dogmafilme wie gegenwärtig "Italienisch für Anfänger", ihren wohl konstruierten und klassisch inszenierten Stoffen allein durch die Video-Handkamera einen äußeren Anstrich von Improvisation und Direktheit zu verleihen. Aber es ist ein Irrtum anzunehmen, dass der Blick durch das enge, wacklige Videofenster ein Zeichen von Realismus sei. Wenn wir uns durch die Welt bewegen, wackeln wir nicht mit dem Kopf, und wir heften uns auch nicht kurzsichtig an die Poren unserer Mitmenschen. Das digitale Format selbst ist gar nicht schuld an seinem indiskreten Gebrauch. Man hat einfach vergessen, dass auch Halbnah eine schöne Einstellungsgröße ist, und dass es einmal einen japanischen Regisseur gab, der sich weigerte ein anderes Objektiv als das "50er" zu benutzen, weil eben nur diese simple Brennweite der des menschlichen Auges entsprach – und man die Kamera ruhig auch auf ein Stativ in Augenhöhe stellen kann.

Es ist also eine äußerliche Intensität, die der Kameraarbeit dieser mit dem Max-Ophüls-Preis ausgezeichneten Kölner Hochschulproduktion anhaftet – im Gegensatz übrigens zu einer zweiten, im letzten Jahr ebenfalls preisgekrönten Videoarbeit aus dieser Schule, Jan Krügers meisterhaft fotografiertem Jugendfilm "Freunde". Die äußere Indiskretion tritt dabei in Konflikt zu einem äußerst sensiblen Darstellerspiel, das derartige Übersteigerung alles andere als nötig hätte.



Daniel Brühl, der hochtalentierte Jungstar des deutschen Films, verkörpert in dieser medizinischen Fallstudie den unter Schizophrenie leidenden Studenten Lukas. Ein klassischer Verlauf: Der an Verfolgungswahn Leidende wird von Stimmen, die er hört, in einen Selbstmordversuch getrieben, vorübergehend stationär behandelt, setzt seine Medikamente wegen der Nebenwirkungen ab und findet nur kurzzeitig Ruhe: Im weißen Rauschens des Regens etwa, für Regisseur Hans Weingartner Anlass zu einem verspielt-poetischen Augenblick innerhalb eines radikalen psychologischen Naturalismus. Erst zum Ende, wenn Lukas Zuflucht bei Hippies auf dem Weg nach San Sebastian findet, entwickelt sich überhaupt eine freiere, vom Abbildhaften gelöste erzählerische Form. Zugleich aber verstrickt sich das Drehbuch in die Konventionalität jener einfachen Road-Movie-Bewegung, die unweigerlich zu einem Finale am Meer führt. Als ersten Langfilm feiert die Kölner Schule diese Abschlussarbeit, doch genau genommen wäre dies ein typischer, auf ein einziges Thema konzentrierter – und darin überaus überzeugender Kurzfilm gewesen. Abgesehen vom wahrhaft kunstvollen Spiel Daniel Brühls gäbe es also keinen künstlerischen oder wenigstens narrativen Mehrwert, der dem Zuschauer über die 100 Minuten hülfe – oder gar das – vom Verleih aus der Saarbrücker Laudation übernommene Label "Psychothriller"" rechtfertigte. Wäre da nicht eine weitere, ganz selten zu solcher Qualität entwickelte Gestaltungsebene – der Ton. Außer Godard und David Lynch gibt es nur wenige Filmemacher, die erkannt haben, welches Potential im Fünfkanalton des Dolbysystems liegt.

So entwickeln sich die Stimmen in Lukas" Kopf zum eigentlichen Ensemble und das Sounddesign zum dringend nötigen Widerpart innerhalb des naiven realistischen Konzeptes. Erstaunlicherweise hält man diese Nachschöpfung der schizophrenen Wahrnehmung für absolut glaubhaft. Und bemerkt, welchen Wert man in der Kölner Hochschule der akustischen Kunst beimisst.


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