Der heilige Berg
Die Musik von Edmund Meisel zu dem Film "Der heilige Berg"
Lichtbild-Bühne, Nr. 13, 15.1.1927
Nach wiederholtem Anhören der Musik stellt sich ihr Wert und ihre Originalität immer klarer in den Vordergrund. Die für konservative Seelen nicht immer gleich verständlichen Mittel der Instrumentation sind hier, wie eben bei jedem künstlerisch wertvollen Werk identisch mit den melodischen Mitteln, doch auch diese letzteren dürfen nicht mit dem Maßstab des Angenehmen bewertet werden. Was der Komponist nicht dringend genug tun konnte, nämlich vor der Einförmigkeit der Dynamik zu warnen, sei hier nachgetragen. Es sei daran erinnert, daß gerade hier, in diesem Naturgeschehen, der Rhythmus des Werdens, der Entwicklung, Steigerung und Höhe, des Abklingens, Verklingens usw. mit den dynamischen und so leicht zu nutzenden Mitteln des Musikers unbedingt in Einklang zu bringen sind. Dann nur werden die neuen Gedanken und die neuen Absichten auch erreicht werden. Es sind da Wiederholungen der Thematik. Sie sollen verhindern, daß der Hörer ermüdet werde, sie sollen beweisen, daß Filmmusik nicht melodische Musik sein darf, soll sie den Zuschauer nicht ablenken. Diese thematischen Wiederholungen erfordern ihre entsprechenden dynamischen und rhythmischen Einkleidungen, damit sie zweckfüllend werden. Es ist eine Selbstverständlichkeit, dem Skirennen Anfänge, Entwicklungen, trotzige Kampfesfreude, Schlappheitsaugenblicke, rasende Beschleunigungen zu geben, womit aber bei letzteren, den Beschleunigungen, der musikalische Ausdruck keineswegs gleich in einem forte oder gar in einem fortissimo auszudrücken ist. Die Diskretion bei der Vertonung der Bildtitel ist unerläßlich, wie denn auch die Gipfelpunkte der Handlung, so der Kampf mit den Naturgewalten auf dem Gipfel des Monte Santo nicht Gelegenheit werden dürfen, sich im Orchester auszutoben. Ein Naturfilm ist dieses Filmwerk in erster Linie und die hier dargestellten Naturgewalten, die Natur selbst ist hier so stark, so elementar, daß die Kunst, daß die Musik sie nimmermehr erreichen kann. Das fühlte der Komponist, aber das fühlen nicht alle seine Nachschaffer. Meisels Musik ist ein Novum nach der Richtung des Melodischen und des Instrumentalen. Man muß guten Willens sein. Dann aber wird man ihr mit größerer Freude dienen. Die Musiker haben, instrumental gedacht, hohen Anteil an der Wirkung der Musik, weil ihnen Meisel ihre individuellen Rollen zuweist. Es ist sehr schade, daß nicht jeder Musiker während des Spielens Gelegenheit hat, auch zu sehen, welcher Phase der Filmdichtung er dient. Ich denke hier an die pastorale Szene, ich denke an die Chromatik des Hauptthemas, auch die Rufe der Bläser sind so plastisch, wie es das Bild eben nie sein kann. Neben solchem Hervortreten des solistischen Elements in dieser Filmmusik gerät die orchestrale Wirkung nie in den Hintergrund, wenn sie auch, wie schon angedeutet, den Grundstock zu einer neuartigen Betrachtungsweise, zu einem neuen Filmmusikstil bildet. Meisels Technik wollte sich hier nicht überwinden, sie wollte auch nicht Spezialistik werden. So sehr sie auch Anlaß zu geben scheint, sie als solche zu werten. Die Zukunft wird ihm recht geben und er wird der Zukunft auch weiterhin gerecht werden.