Ebbies Bluff
Ebbies Bluff
Thomas Koebner, film-dienst, Nr. 16, 1993
Dokumentarische Bilder aus dem Ruhrgebiet zu Beginn: Autos laufen vom Band, Fördertürme kippen langsam um. Ein junger Mann trainiert und ist demnächst im Ring zu bewundern, ein Boxer aus der Region (man ist in Bochum). Im Kampf wird er erbärmlich zusammengeschlagen und ausgezählt. In wenigen Sekunden taucht er weg in einen Traum, die Haupthandlung beginnt, in Farbe, während die Rahmenerzählung in Schwarz-weiß bleibt. Merkwürdig genug ist nicht der Boxer selbst, sondern sein Manager, die zentrale Figur dieses Traums. Der verschafft ihm eine kleine Karriere als Sänger. Mit einer Band tritt er da und dort auf, ahmt irgendwelche Stile nach, bei Elvis angefangen. Nach dem Überfall auf eine Gagenkasse kommen sie zu Geld, der Manager heiratet die Plattenproduzentin. Dann wacht der Boxer wieder auf, k.o. geschlagen. Das scheint seine Wirklichkeit zu sein.
In seinen Aufstiegsfantasien bewegt er sich in stereotypen Milieus: viel Kunstlicht, schäbige Interieurs, Auftritte in irgendwelchen Disko-Scheunen. Heiner Lauterbach muß einen trüben, ziemlich gewissenlosen Dieb spielen, der den großen Mann markiert, großmäulig, dabei schäbiger als andere sich danach abstrampelt, auf irgendeine Weise zu Geld zu kommen. Vor keiner kriminellen Schufterei scheut er zurück. Er wirkt weder melancholisch noch besessen (wie etwa Jean-Paul Belmondos "Dieb von Paris" in dem gleichnamigen Film von Louis Malle), weder charmant noch interessant-gewissenlos, sondern desillusioniert, ein bißchen angeschmutzt und verkommen, trotz allem ein Stehauf-Männchen, das anscheinend unbeirrt seinen Chancen nachjagt und dem jüngeren Freund, verblüffend genug, die Treue hält. Gelegentlich kreuzen ein Gangsterboß und dessen Bande seinen Weg, schlagen ihn nieder, schießen sein Auto zu Schrott, sind Exponenten der unwilligen Konkurrenz. Die Traumreise erlaubt satirische Seitenhiebe auf die Musikbranche, auf Plattenproduzenten und Betriebsfeiern, auf Ausstellungen mit neuer Kunst. Der Film wird etwas beiläufig erzählt, in gestückelten Szenen, häufig fotografiert aus abkältenden Entfernungen, als sei Identifikation nicht denkbar. Zwischendrin beschleicht einen der Eindruck, es handle sich um die Tagträumerei eines Lesers der Jugendzeitschrift "Bravo", dann wieder breitet sich das Versagerelend aus, das sich in tristen Bars um zwei Uhr nachts schon einstellen kann. Vielleicht will der Film etwas von der Trauer derer erzählen, denen Ideal und Hoffnung geraubt worden sind. Sicher ist es nicht, dafür ist alles zu diffus, auch zu wurstig erzählt, mehr angedeutet als präzise, hingewischt, beiseitegesprochen, ohne die ausgeprägte Fähigkeit, schrittweise etwas zu verdeutlichen und wahrnehmen zu lassen. Dem entspricht eine gewisse Ratlosigkeit beim Zuschauer: An wessen Geschichte will der Film eigentlich teilnehmen lassen? Und welchem Publikum will er was erzählen?