Vaya con dios – Und führe uns nicht in Versuchung
Rainer Gansera, epd Film, Nr. 4, 25.03.2002
Mönche sind dazu da, in Versuchung geführt zu werden. Zumindest auf der Leinwand, und in einer Komödie ganz besonders. Das haben sie davon, dass sie sich keck in Männer-WGs zusammentun, um all dem zu entsagen, was die Welt im Innersten zusammenhält: Geld, Macht, Ruhm, Sex. Zoltan Spirandelli erfindet für seinen amüsanten Wettstreit zwischen mönchischem A-cappella-Klang und weltlichem Sirenengesang den besonders liebenswert-weltentrückten Orden der Cantorianer. Im Chorgesang offenbaren sich diesen musischen Mönchen die himmlischen Harmonien, weshalb sie sich ganz dem Gesang hingeben und ansonsten nach schwer interpretierbaren Ordensregeln leben, die in einem kostbaren Buch niedergeschrieben sind und vor allem eines verlangen: Folge deiner inneren Stimme!
Kein Wunder bei dieser dogmatisch schwer zu fassenden Maxime, dass der Orden bereits 1693 als ketzerisch verurteilt wurde. Heutzutage befinden sich die kläglichen Überreste der Bruderschaft teils in Brandenburg, teils in der Toskana. Weil die Brandenburger ihr baufälliges Refugium – eine idyllische Kirchenruine – verlassen müssen, wollen sie bei der Toskana-Fraktion Unterschlupf suchen. Die Wanderschaft beginnt, und on the road lauert die Versuchung. Spirandelli zeichnet die letzten Cantorianer Deutschlands als genrehaft typisiertes Trio. Da ist der gestrenge Gelehrte Benno (Michael Gwisdek), der die Stirn in Falten legt und sich um die Auslegung der Ordensregeln kümmert. Der gutmütige, beleibte Tassilo (Matthias Brenner) widmet sich hingebungsvoll der Beschaffung der Mahlzeiten. Und der junge Arbo (Daniel Brühl), der im Kloster aufgewachsen ist, erschrickt beim Anblick von Frauen, weil er sie für Wesen von einem anderen Stern hält. So repräsentiert das Trio parabelhaft drei Sphären: Kopf, Bauch, jungfräuliche Unschuld - und bietet der Versuchung entsprechende Angriffsflächen.
Anfänglich schwankt der Film im Tonfall zwischen klischeehaftem Klamauk und subtilerem Witz und vermag es nicht, die mönchische Weltfremdheit prägnant zu skizzieren. Sobald aber die Kuttenbrüder im Cabrio der hübschen Fotoreporterin Chiara (Chiara Schoras) Platz genommen haben, kommt die Geschichte in Fahrt und gewinnt die Inszenierung komödiantische Kohärenz. Zuerst wird der dicke Tassilo abtrünnig. Er bleibt auf dem Hof seiner Mama hängen, wo er mit dem Traktor spielen darf und seine Lieblingsspeisen serviert bekommt. Dann gerät Benno mit seinem Gelehrsamkeitstrieb in einem Jesuiten-Kolleg in die Falle. Im dortigen musikhistorischen Archiv vergisst er sein Ordensgelübde, bis er bei einer Messfeier durch die Stimmen Arbos und des reumütig zurückgekehrten Tassilo zu seiner cantorianischen Berufung zurückgesungen wird: ein pathetisch-ironisches kirchenmusikalischer Showdown.
Das Jesuiten-Kolleg ist ein grotesk überzeichneter Hort religiösen Macht-Managements, dessen einziges Anliegen darin besteht, wahre Spiritualität abzuwürgen. An dieser Stelle wird "Vaya con dios" zu einer kuriosen popkulturellen Verteidigung mystisch-musischer Frömmigkeit gegen kircheninstitutionell veräußerlichte Macht. Für den jungen Arbo wird eine Schicki-Micki-Party zur Höllenfahrt. Natürlich wird er durch Chiara, die ihn in das Mysterium geschlechtlicher Liebe eingeweiht hat, gerettet. Und wenn er den Cantorianer-Orden verlässt, dann nur, um dessen zentraler Regel gehorsam zu sein: Folge deiner inneren Stimme! "Vaya con dios" ist ein eigenartiger Mix aus Frömmigkeits-Parabel und Komödienkalkül, aus Naivitäts-Behauptung und forcierter Bemühung um Mainstream-Appeal. Allen erzählerischen Dissonanzen zum Trotz gewinnt Spirandellis mit vier bayerischen Filmpreisen prämiertes Spielfilmdebüt doch durch seinen darstellerischen Elan anrührenden Witz und sympathische Konturen.